Einzelhandel in der Krise: München wird wie Sydney
München - "Die Neuhauser- und die Kaufingerstraße, die sind die Supertanker, das Flaggschiff, das so schnell nicht ins Wanken kommt", sagt Stephan Kippes vom IVD-Institut.
Was der Immobilienspezialist meint: Die Fußgängerzone ist und bleibt Münchens Toplage für Gewerbe, daran ändern auch die teuren Ladenmieten nichts. Im Gegenteil: "Es gibt eine Warteliste von Filialisten, die nach München – und zwar in diese Lagen – wollen", sagt Kippes.
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Hohe Fluktuation bei Geschäften
Was den Experten beim Blick auf die Münchner Innenstadt überrascht, ist etwas anderes – die Fluktuation der Geschäfte. "Noch vor zehn Jahren hätte ich so viel Wechsel nicht prognostiziert", sagt Kippes. Seit 2005/06 hätten gut 80 Prozent der Geschäfte in der Innenstadt gewechselt, so Kippes. Daran könne man die Veränderung der Stadt ablesen, denn "der Handel ist immer zur Anpassung gezwungen".
Der IVD hat die Fluktuation und die Filialisierung, also die Veränderung der Ladenstruktur, in der Münchner Innenstadt in einem Zeitraum von etwa zwölf Jahren untersucht.
Viele Neueröffnungen bei internationalen Ketten

Das Ergebnis: Wo in der Innenstadt Neueröffnungen stattfanden, handelte es sich meist um internationale Ketten, die entweder neu nach München kamen oder weitere Filialen eröffneten. Der Anteil der Filialisten in der Kaufingerstraße liegt bei 97 Prozent (2005/06: 92 %), die Fluktuation bei 37 Prozent. Auch in der übrigen Innenstadt stieg der Filialisierungsgrad: Maximilianstraße 91 Prozent, Sendlinger Straße 81 Prozent, Theatinerstraße 89 Prozent. Die Ladenstruktur hat sich mit verändert: In den genannten Straßen finden sich vor allem klassische Bekleidungs-, Schuh- und Juwelierläden sowie Parfümerien – am Marienplatz und im Tal hingegen die Kategorie Gastronomie, Elektronik, Einrichtung und Banken.
Spezialsituation am Marienplatz
"Wobei wir am Marienplatz eine Spezialsituation haben", sagt Kippes. Hier gehören rundherum viele Immobilien der Stadt, die vermietet ihre Läden nicht an Ketten. Dementsprechend liegt der Filialisierungsgrad hier nur bei 47 Prozent, die Fluktuation nur bei 25 Prozent. Ganz anders in der Dienerstraße: Gemessen an der Anzahl der Läden wurden hier im Vergleichszeitraum die meisten Veränderungen gemessen: 79 Prozent Fluktuation.
Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Natürlich sind die Mieten ein Grund, so Kippes. Je kleiner der Laden, desto teurer der Quadratmeterpreis. Das trifft nicht nur, aber auch inhabergeführte Geschäfte. Oft ziehen Einzelhändler auch als "Reaktion auf das Mietniveau" aus den Toplagen in günstigere.
Filialen statt inhabergeführte Geschäfte
Und es gibt es strukturelle Gründe: Eine Umwandlung in eine Fußgängerzone wie in der Sendlinger Straße sorgt für eine Aufwertung, die sich in den Mieten niederschlägt. Dies werde sich in zwei bis drei Jahren ausgewirkt haben. "Der Preis der Umgestaltung heißt Filialisten statt inhabergeführte Geschäfte." Die verschwänden weiter. "Der Wettbewerb ist schwierig", so Kippes. Schon jetzt ist der Anteil der Nicht-Filialisten hier nur noch bei 20 Prozent (2005/06 40%). Dabei seien die "das Salz in der Suppe". Sonst sähen Einkaufsstraßen von München bis Sydney bald gleich aus.
Billig-Friseur statt Mode-Boutique in den Vierteln

Online-Konkurrenz, Mieten, keine Touristen: Die Einkaufsstraßen in den Vierteln leiden.
Die Innenstadt, das sind im Immobilien-Deutsch die 1a- und 1b-Einzelhandels-Lagen. Hier brummt das Geschäft. Doch abseits davon sieht es oft ganz anders aus. Die Leopoldstraße etwa gilt noch als eine solche gute Lage, auch wenn sie mit der Innenstadt nicht ganz mithalten kann. Aber zumindest zwischen Siegestor und Münchner Freiheit hat sich eine Gastronomiemeile mit Geschäften entwickelt.
Anteil von Supermärkten und Banken steigt
Seit 2005/06 haben sich hier 19 neue Läden angesiedelt, so der IVD. Fünf alleine seit dem letzten Jahr. Dabei hat sich die Ladenstruktur verändert: 2005/06 zählten 25 Läden zur Kategorie "Fashion/Accessoires/Beauty", 2018 sind es nur noch 17 (siehe auch Seite 11). Stattdessen stieg der Anteil von Läden wie Supermärkten und Banken. Dies, so der IVD, liege auch daran, dass die Leopoldstraße eben keine klassische Einkaufsmeile sei wie die Fußgängerzone, sondern eben auch zur Nahversorgung der Anwohner diene.
Ladensterben in Schwabing

Genau das erklärt auch, zumindest teilweise, was hier gleich ums Eck passiert. Die Hohenzollernstraße, einst Schwabings Modemeile, wird gerade von einem Ladensterben heimgesucht. Viele der Boutiquen sind verschwunden. In solchen Nebenlagen ist es oft schwieriger, Nachmieter zu finden, so Stephan Kippes. Oft kämen dann eher Dienstleister wie Friseure, Nagel- oder Tattoostudios, Praxen, auch mal eine Kita oder eben Nahversorger, so der Experte. Übergangsweise auch gerne mal Pop-up-Stores, die sind beliebt, weil sich belebte Ladenflächen weit besser neu vermitteln lassen als leere, heißt es. Gegen den Leerstand könnte man außerdem vielleicht den Gastronomieanteil erhöhen, meint Kippes.
Tourismus-Faktor fehlt
Die Ursachen müsse man freilich genauer erforschen, klar sei aber, auch wenn man sich hier im schönsten Schwabing befindet: Die Lauffrequenz ist nicht annähernd die wie in besseren Lagen. Gut möglich, dass das nicht mit der Struktur der Mieten zusammen passt. Eine niedrigere Frequenz habe man etwa auch in der Maximilianstraße, aber dort das entsprechend kaufkräftigere Publikum, so Kippes. Aber auch das sei hier nicht gegeben. Zusätzlich fehlt, anders als in der Innenstadt, der Tourismus-Faktor, der dort viele Kunden in die Läden spült. Und es gibt natürlich auch noch einen anderen Grund: Die Nebenlagen, so Kippes, sind die Hauptopfer des Internethandels.
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