Einladung zum Gesichtsabgleich: Münchens Kriminellen-Kartei

München - Zwei Minuten, nachdem mein (vier Jahre altes) Handy geklaut wurde, habe ich es bemerkt. Aber was hätte ich tun sollen? Die Diebin umdrehen und schütteln, bis das Handy rausfällt? "Zu Hilf" brüllen und mit dem Finger auf sie zeigen? Ich bin nicht einmal umgedreht, sondern habe die Polizei angerufen und die Frau beschrieben.
Immerhin so gut, dass ich einen Monat später zur Lichtbildsuchung eingeladen wurde. Ich hätte ablehnen können, aber wenn man die Chance hat, Münchens Verbrecherinnen in einer Kartei durchzublättern und womöglich jene zu finden, die mir mit einem billigen Trick (ansprechen, anfassen) das Handy aus der Manteltasche gezogen hat, warum nicht?
Die Polizei ist beim Termin sehr entgegenkommend, ich darf’s mir aussuchen, weil – das betont der Beamte – ich freiwillig der Polizei helfe. Rund eine Stunde soll’s dauern und so ist es dann auch. Über die Personen, die ich sehen werde, darf ich nicht sprechen.
Ich bin überrascht, wie unsicher ich bin
Zuerst gehe ich mit der Beamtin durch, wie die Frau aussah. "War sie schlank oder hager?", "Dunkle Haare sagen Sie. Schwarz oder braun?", "Größer oder kleiner als Sie?" Ich bin überrascht, wie unsicher ich bin und muss immer wieder zugeben, dass ich mich an Einfaches wie die Haarfarbe (dunkler) nicht erinnere.
Während ich im Warteraum lese, gibt die Beamtin meine Angaben in eine Suchmaske ein. Später wird sie die Suchoptionen erweitern – aber die Frau ist nicht darunter.
Jeweils acht Frauen werden mir auf einer Seite gezeigt. Ich klicke mich durch sieben Seiten und sehe vor allem traurige Lebensgeschichten: Frauen, die kaum einen Zahn im Mund haben und dicke Pusteln im Gesicht. Viele Fotos erzählen von Drogenmissbrauch. Eine Frau lacht. Es wirkt irre inmitten all der Gesichter, die abwesend bis finster starren.
Zu einer Frau klicke ich immer wieder. Ich bin mir unsicher, möchte niemanden zu Unrecht beschuldigen. Würde ich sagen, "Das ist sie!", würde die Polizei ermitteln. "Meine Diebin" aber sah verlebter aus. Das Foto ist vom Juni. Sie kann nicht innerhalb von zwei Monaten so gealtert sein, wie ich sie in Erinnerung habe. Die Polizistin notiert "typähnlich", dann steige ich in den Paternoster. Wenn ich schon die Diebin nicht identifiziert habe, bin ich wenigstens Paternoster im Polizeipräsidium gefahren.
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