"Eine Stadt, die relativ satt ist": Wie Obdachlose München fotografieren

40 Männer und Frauen, die auf der Straße leben, haben ihre Münchner Lieblingsorte mit einer Einmalkamera abgelichtet – für den Fotokalender "Mein München 2025". Wo man ihn ab sofort kaufen kann.
Irene Kleber |
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Der Obdachlose Johan fotografierte diese Szene an der Hackerbrücke. Gerade posiert dort das Model Melinda (Instagram: melinda.prade) in einem märchenhaften Kleid mit Ballons für ein Shooting. Dieser Moment vor der prunkvollen Brückenkonstruktion habe ihn sehr berührt, sagt er.
Der Obdachlose Johan fotografierte diese Szene an der Hackerbrücke. Gerade posiert dort das Model Melinda (Instagram: melinda.prade) in einem märchenhaften Kleid mit Ballons für ein Shooting. Dieser Moment vor der prunkvollen Brückenkonstruktion habe ihn sehr berührt, sagt er. © Johan, Kalender "Mein München 2025"

München – Für Johan, Friedo, Bettina, Mbay und all die anderen sind die fünf Tage im September wirklich eine Herausforderung gewesen. Nachts haben sie wie immer auf Münchner Parkbänken, auf der Straße oder unter der Brücke geschlafen. Tagsüber waren sie mit ihren Einmalkameras unterwegs, um München zu fotografieren. Aus ihrem Blickwinkel. Mit dem Blick von Obdachlosen.

Herausgekommen ist der Foto-Kalender "Mein München 2025", den man ab sofort am Elisabethmarkt kaufen kann. Der Erlös fließt über die Caritas-Trinkerstube D3 in Projekte für Münchner Obdachlose.

Der Obdachlose Johan fotografierte diese Szene an der Hackerbrücke. Gerade posiert dort das Model Melinda (Instagram: melinda.prade) in einem märchenhaften Kleid mit Ballons für ein Shooting. Dieser Moment vor der prunkvollen Brückenkonstruktion habe ihn sehr berührt, sagt er.
Der Obdachlose Johan fotografierte diese Szene an der Hackerbrücke. Gerade posiert dort das Model Melinda (Instagram: melinda.prade) in einem märchenhaften Kleid mit Ballons für ein Shooting. Dieser Moment vor der prunkvollen Brückenkonstruktion habe ihn sehr berührt, sagt er. © Johan, Kalender "Mein München 2025"

Die Idee für das Obdachlosenprojekt stammt aus London

Die Idee zu diesem gemeinnützigen Projekt stammt aus London, wo Obdachlose seit 2015 ihre Stadt für Fotokalender fotografieren. Nach München gebracht hat das Projekt der Wirtschaftsingenieur Matthias Müller, der hier eine Softwarefirma leitet. "Ich bin morgens aufgewacht", erzählt er, "und dachte: Mir geht's so gut, ich muss was für andere machen, denen es nicht gut geht."

Schauspieler Michael Brandner (l.), Kommunalreferentin Jacqueline Charlier und der Projektinitiator Matthias Müller präsentieren den Fotokalender vor dem Standl 19 am neuen Elisabethmarkt. Das gemeinnützige Projekt "Mein München 2025" darf das städtische Standl, in das erst im Januar ein Marktgeschäft einzieht, bis 30. Dezember als Zwischennutzung nutzen.
Schauspieler Michael Brandner (l.), Kommunalreferentin Jacqueline Charlier und der Projektinitiator Matthias Müller präsentieren den Fotokalender vor dem Standl 19 am neuen Elisabethmarkt. Das gemeinnützige Projekt "Mein München 2025" darf das städtische Standl, in das erst im Januar ein Marktgeschäft einzieht, bis 30. Dezember als Zwischennutzung nutzen. © Daniel von Loeper

"Wir zahlen dafür, dass wir sie nicht sehen."

So kam es, dass der Londoner Projektgründer Paul Ryan 40 Einmalkameras vom Sponsor Fujifilm nach München brachte, Cewe sagte den kostenlosen Druck von 500 Kalendern zu. Die Fotografen und Fotografinnen fand Müller über die Caritas-Trinkerstube D3 nahe dem Hauptbahnhof.

Die Schirmherrschaft übernahm spontan und sehr gerne der Schwabinger Schauspieler Michael Brandner ("Hubert ohne Staller"), dem Müller am Elisabethmarkt zufällig beim Obstkaufen begegnete. "Wir haben hier ja eine Stadt, die relativ satt ist", sagt der Schauspieler.

Trotzdem gebe es "genug Beispiele, wo Leute innerhalb von einem Jahr plötzlich auf der Straße landen und da auch nicht mehr weggkommen." Und auch, wenn man "ihnen was in den Hut" werfe: "Wir zahlen dafür, dass wir sie nicht sehen." Er finde es gut, dass dieses Projekt Obdachlose sichtbar macht.

Für diese Szene am Sendlinger-Tor-Platz hat sich der Obdachlose und Kalenderfotograf Mbay Nyuedji (2.v.l.) selbst mit aufs Bild begeben. Es soll zeigen, wie er "den Moment und die Freundschaft" genießt.
Für diese Szene am Sendlinger-Tor-Platz hat sich der Obdachlose und Kalenderfotograf Mbay Nyuedji (2.v.l.) selbst mit aufs Bild begeben. Es soll zeigen, wie er "den Moment und die Freundschaft" genießt. © Kalender "Mein München 2025"

"Das sind Hürden, die können sich viele nicht vorstellen."

Insgesamt 40 Männer und Frauen, die auf der Straße leben – alle zwischen 30 und 50 Jahre alt – zogen ab 18. September fünf Tage mit den Kameras los. Der gebürtige Schwede Johan etwa, der eine für ihn berührende Szene an der Hackerbrücke einfing. Dort posierte gerade ein Model in einem märchenhaften rosa Kleid mit bunten Luftballons für ein Fotoshooting.

Oder Mbay Nyuedji, der fürs Projekt selbst fotografierte, sich für eine Aufnahme zum Thema Freundschaft auf der Straße aber auch selbst fotografieren ließ. "Man hat all diesen Menschen mit ihren Schicksalsschlägen eine Aufgabe gegeben und sie haben abgeliefert", erzählt Matthias Müller.

Alle Teilnehmer bekamen dafür ein kleines Entgelt. Dabei sei die Aufgabe auch sehr herausfordernd gewesen: "Wenn man Menschen fotografieren will, muss man ja hingehen und fragen. Das sind Hürden, die können sich viele nicht vorstellen."

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Aus den 27 Fotos auf ihrem Einmalkamera-Film haben die Obdachlosen jeweils ihre drei Favoriten ausgesucht und fürs Projekt abgegeben. Über die zwölf Monatsbilder, die es am Ende in den Kalender geschafft haben, entschied eine Jury um den Fotografen Heiko Müller.

Ab sofort und bis 30. Dezember 2024 kann man den Fotokalender "Mein München 2025" in der Zwischennutzung am Elisabethmarkt (Elisabethplatz, Standl 19) für 7,50 Euro kaufen. Der Betrag deckt nur die Herstellungskosten, deshalb darf auch gern mehr gespendet werden. Geöffnet: Mo-Do 10-17 Uhr, Fr 10-16 Uhr, Sa 9-14 Uhr.
Onlinebestellung über mm@brainstorm-gmbh.de
Mehr Infos:  mein-muenchen-kalender.com

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  • Münchner Kindl am 18.11.2024 13:55 Uhr / Bewertung:

    Sehr schöne Idee !

  • Amarsha am 17.11.2024 13:29 Uhr / Bewertung:

    Super Idee und soll großzügig geholfen werden.

  • OnkelHotte am 17.11.2024 12:20 Uhr / Bewertung:

    Und dann, was passiert dann mit den Betroffenen ?
    Richtig -> NICHTS !!!!
    Die Leute werden mehrheitlich weder arbeiten noch was anderes machen.
    Wer auf der Platte lebt, der bleibt auf der Platte und nimmt lieber bettelalmosen anstelle früh nüchtern aufzustehen, zu arbeiten, und Steuern zu zahlen.
    DAS ist die überwiegende Wahrheit,

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