"Eine Stadt, die relativ satt ist": Wie Obdachlose München fotografieren

München – Für Johan, Friedo, Bettina, Mbay und all die anderen sind die fünf Tage im September wirklich eine Herausforderung gewesen. Nachts haben sie wie immer auf Münchner Parkbänken, auf der Straße oder unter der Brücke geschlafen. Tagsüber waren sie mit ihren Einmalkameras unterwegs, um München zu fotografieren. Aus ihrem Blickwinkel. Mit dem Blick von Obdachlosen.
Herausgekommen ist der Foto-Kalender "Mein München 2025", den man ab sofort am Elisabethmarkt kaufen kann. Der Erlös fließt über die Caritas-Trinkerstube D3 in Projekte für Münchner Obdachlose.

Die Idee für das Obdachlosenprojekt stammt aus London
Die Idee zu diesem gemeinnützigen Projekt stammt aus London, wo Obdachlose seit 2015 ihre Stadt für Fotokalender fotografieren. Nach München gebracht hat das Projekt der Wirtschaftsingenieur Matthias Müller, der hier eine Softwarefirma leitet. "Ich bin morgens aufgewacht", erzählt er, "und dachte: Mir geht's so gut, ich muss was für andere machen, denen es nicht gut geht."

"Wir zahlen dafür, dass wir sie nicht sehen."
So kam es, dass der Londoner Projektgründer Paul Ryan 40 Einmalkameras vom Sponsor Fujifilm nach München brachte, Cewe sagte den kostenlosen Druck von 500 Kalendern zu. Die Fotografen und Fotografinnen fand Müller über die Caritas-Trinkerstube D3 nahe dem Hauptbahnhof.
Die Schirmherrschaft übernahm spontan und sehr gerne der Schwabinger Schauspieler Michael Brandner ("Hubert ohne Staller"), dem Müller am Elisabethmarkt zufällig beim Obstkaufen begegnete. "Wir haben hier ja eine Stadt, die relativ satt ist", sagt der Schauspieler.
Trotzdem gebe es "genug Beispiele, wo Leute innerhalb von einem Jahr plötzlich auf der Straße landen und da auch nicht mehr weggkommen." Und auch, wenn man "ihnen was in den Hut" werfe: "Wir zahlen dafür, dass wir sie nicht sehen." Er finde es gut, dass dieses Projekt Obdachlose sichtbar macht.

"Das sind Hürden, die können sich viele nicht vorstellen."
Insgesamt 40 Männer und Frauen, die auf der Straße leben – alle zwischen 30 und 50 Jahre alt – zogen ab 18. September fünf Tage mit den Kameras los. Der gebürtige Schwede Johan etwa, der eine für ihn berührende Szene an der Hackerbrücke einfing. Dort posierte gerade ein Model in einem märchenhaften rosa Kleid mit bunten Luftballons für ein Fotoshooting.
Oder Mbay Nyuedji, der fürs Projekt selbst fotografierte, sich für eine Aufnahme zum Thema Freundschaft auf der Straße aber auch selbst fotografieren ließ. "Man hat all diesen Menschen mit ihren Schicksalsschlägen eine Aufgabe gegeben und sie haben abgeliefert", erzählt Matthias Müller.
Alle Teilnehmer bekamen dafür ein kleines Entgelt. Dabei sei die Aufgabe auch sehr herausfordernd gewesen: "Wenn man Menschen fotografieren will, muss man ja hingehen und fragen. Das sind Hürden, die können sich viele nicht vorstellen."
Aus den 27 Fotos auf ihrem Einmalkamera-Film haben die Obdachlosen jeweils ihre drei Favoriten ausgesucht und fürs Projekt abgegeben. Über die zwölf Monatsbilder, die es am Ende in den Kalender geschafft haben, entschied eine Jury um den Fotografen Heiko Müller.
Ab sofort und bis 30. Dezember 2024 kann man den Fotokalender "Mein München 2025" in der Zwischennutzung am Elisabethmarkt (Elisabethplatz, Standl 19) für 7,50 Euro kaufen. Der Betrag deckt nur die Herstellungskosten, deshalb darf auch gern mehr gespendet werden. Geöffnet: Mo-Do 10-17 Uhr, Fr 10-16 Uhr, Sa 9-14 Uhr.
Onlinebestellung über mm@brainstorm-gmbh.de
Mehr Infos: mein-muenchen-kalender.com
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