Eine Münchnerin sticht mit einer ungewöhnlichen Technik Tattoss: Mit Bambusnadeln
München - Wie ein Füllfederhalter ziehen die Nadeln die Farbe aus dem Topf, und mit jedem Stoß geben sie das Schwarz an die Haut ab. Linien entstehen, die sich später zu einem Totenkopf über den gesamten Rücken formen. Georgina Ostheimer führt den dreißig Zentimeter langen Stab mit den spitzen Enden konzentriert über die Haut ihres Kunden. Die 33 Jahre alte Münchnerin beherrscht die Kunst des Bamboo-Tätowierens, eine Technik des Handstechens aus Thailand.
Die ursprünglichen Motive sind magische Schutzzeichen, Sak Yant genannt. "Buddhistische Mönche haben Krieger so auf den Kampf vorbereitet", erklärt soe. Die Farbe wurde mit einem angespitzten Bambusholz unter die Haut gebracht, daher der Name. Ostheimers Stab besteht aus Edelstahl und hat vorne austauschbare, sterile Nadeln - aber die spirituelle Idee hinter Bamboo fasziniert sie. "Tätowieren hat generell sehr viel Tiefe. Bei meiner Arbeit spielt alles mit: Das Motiv, das Thema, die Stimmung beim Arbeiten." Immerhin soll das Werk den Träger ein Leben lang begleiten.
Dringend gesucht: Ein Helfer für Isabella (1)
Es ist an diesem Tag die dritte Sitzung in einem Studio in Grafing bei München, in der Ostheimer am Rückengemälde ihres Kunden arbeitet. Den Totenkopf sticht sie Freihand, ohne Vorlage. Währenddessen tauschen sich die beiden aus – das Bild entwickelt sich in diesem Prozess. Mit 16 sticht sich Ostheimer selbst ihr erstes Tattoo. "So wie wohl viele Tätowierer angefangen haben: Mit einer Nadel ins eigene Bein." Später tätowiert sie Bekannte mit einer elektrischen Maschine. Aber möglichst ausgefallene oder kunstvolle Motive reichten ihr nicht. "Ich wollte schon immer wissen, wo der Ursprung des Tätowierens liegt." Auf der Haut von Gletschermumie Ötzi fanden sich Zeichnungen, gebannt für die Ewigkeit, auch von den Maori sind derartige Praktiken überliefert.
Im Knast von Insassen gelernt
Auf einer Messe trifft Ostheimer ihren zukünftigen Meister: einen Deutschen, der mehrere Jahre in Bangkok im Gefängnis saß. Insassen brachten ihm dort das Tätowieren bei. "Das hat ihm das Leben gerettet. Und den Spirit hat er an mich weitergereicht." Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist damals verheiratet, schwanger und ohne Perspektive. "Vielleicht wäre ich einfach Hausfrau geworden." Stattdessen geht sie 2012, kurz nach der Geburt ihres Sohnes, in die Lehre. Fünf Monate, mit offiziellem Ausbildungsvertrag. "Das war sehr streng, sehr traditionell. Ich habe vier Monate nur zugeschaut, die Haut gespannt. Erst am Ende durfte ich an die Nadel."
Nur wenige stechen in Deutschland mit dieser Technik, in Wiesbaden und in Schwienau inmitten der Lüneburger Heide gibt es Studios, die Bamboo Tattoos anbieten. Ostheimer ist viel unterwegs in Deutschland und in Europa. Die vergangenen Wochen hat sie in Mönchengladbach gearbeitet.
Motive werde auch mal abgelehnt
Der Hautarzt Gerd Kautz entfernt in seiner Klinik unliebsam gewordene Körperkunst. Handgestochene Motive machen ihm häufig Probleme. "Maschinen bringen ein einheitlicheres Ergebnis. Manuell werden die Farbpigmente oft unterschiedlich tief in die Haut gebracht. Da hängt alles davon ab: Wie gut ist der Tätowierer?" Eineinhalb Millimeter steche sie tief, sagt Ostheimer, flacher als die Maschinennadeln. "Es verlangt mehr Feingefühl, mehr Geduld und mehr technisches Verständnis. Ich muss mich jedes Mal neu auf die Haut einlassen und damit auf den Menschen."
Gerade dieser intensive Kontakt macht für sie den Reiz an Bamboo aus. "Du interessierst dich ja, warum jemand Schutz oder Hilfe sucht. Es geht darum, die individuelle Geschichte auf den Körper zu schreiben." Manchmal lehnt Ostheimer Motivwünsche ab. Schmetterlinge oder Unendlichkeitszeichen überlässt sie gerne Kollegen mit der Maschine. Die erste Tätowierung von einem Profi auf ihrem Körper hat die Bedeutung über die Jahre verloren. Das Tribal an der Hüfte überdeckt längst ein anderes Tattoo.
- Themen: