Ein „Danke“ für die Helfer vom Hauptbahnhof
München - Andreas Duchmann ist blass, das graue T-Shirt nassgeschwitzt, seine Augen haben dunkle Ringe. Er hat seit Stunden nicht geschlafen. „Wir brauchen Wasser, Wasser ohne Kohlensäure“, ruft er einer Frau mit Dreadlocks zu. „Kannst du das posten?“ Dann lächelt der 20-Jährige, drückt einem kleinen Kind einen Apfel in die Hand und sagt: „Es ist so schön, dass wir helfen können.“
Es ist Dienstagmorgen, kurz vor zehn Uhr, die Polizei hat den Bahnhofsvorplatz an der Arnulfstraße abgeriegelt, trotzdem ist er voller Menschen. 900 Flüchtlinge sind in der Nacht mit Zügen aus Budapest nach München gekommen, darunter viele syrische Familien. Die meisten wurden bereits registriert und mit Bussen ins Ankunftszentrum an der Lotte-Brantz-Straße oder eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht. Noch immer lagern Hunderte Frauen, Männer, Kinder im Schatten und warten.
Eigentlich wollten Andreas Duchmann und seine Freunde am Montagabend nur gegen Pegida demonstrieren und anschließend nach Hause gehen. Doch dann kamen die Flüchtlinge. Seitdem sammeln und verteilen die jungen Leute Spenden an die Gestrandeten. „Wir haben am Anfang einfach zusammengelegt, Wasser und Lebensmittel für die Menschen gekauft“, sagt Studentin Eli (19), die selbst 60 Euro gespendet hat. Dann baten sie Radiosender und Internetportale um Unterstützung und verbreiteten Spendenaufrufe bei Facebook. Einfach so. Auf eigene Initiative. Sie blieben nicht lange allein. „Wir haben mit 20 Mann angefangen, mittlerweile sind wir 60 Helfer“, sagt Andreas Duchmann und strahlt.
Um 10.25 Uhr rollt auf Gleis 12 der nächste Zug aus Wien ein. Wieder steigen Flüchtlinge aus. Weit über 100. Wieder sind viele kleine Kinder dabei. Manche lächeln, andere sind sichtlich erschöpft. „Sind wir endlich in München?“, fragt ein afghanischer Teenager in holprigem Englisch. Ja. Er umarmt seine Mutter. Sie hat Tränen in den Augen. Nicht alle Neuankömmlinge vertrauen den Uniformierten, die sie zum Bahnhofsvorplatz geleiten. Die Beamten wissen, sich zu helfen: Ein paar Passanten, die sich auf Arabisch unterhalten, werden kurzerhand als Dolmetscher eingesetzt.
„Wir brauchen Gebäck, Nussschnecken und so, außerdem Laugenstangen, frisches Gemüse und Reis, den wir für die Menschen aufkochen können. Können Sie das vielleicht auf Ihre Homepage schreiben?“, fragt draußen Andreas Duchmann, während er in einem fort Kisten mit Spenden entgegennimmt. „Windeln und Babynahrung wären auch gut.“ Dann entdeckt er Oberbürgermeister Dieter Reiter, der gerade eingetroffen ist. Duchmann stürmt zu ihm. „Der OB hat versprochen, für Wasser zu sorgen. Das ist echt geil“, sagt er, als er zurückkommt.
Auch Dieter Reiter ist beeindruckt. „Es ist begeisternd, wie schnell die Ehrenamtlichen zur Stelle waren.“ Außerdem lobt der Rathauschef die Arbeit von Polizei und Sicherheitskräften. Dann organisiert er kistenweise Obst – und Sonnenschirme, weil die Hitze auf dem betonierten Platz fast unerträglich wird. „Es läuft alles einen sehr geregelten Gang“, sagt er zufrieden. „Ich kümmere mich hier vor Ort, weil es meine Stadt ist, mein Hauptbahnhof, und weil es hier um Menschen geht. Das darf man in der ganzen Debatte nie vergessen.“ Die Feuerwehr legt eine Wasserleitung – auch dieses Problem ist gelöst.
Während ihre Eltern Schlange stehen, um registriert und im Anschluss mit dem Bus in eine Unterkunft gefahren zu werden, rennen jetzt etliche Flüchtlingskinder Nicola Kopp de Vagas hinterher, die eine Kiste mit Teddybären vor sich herträgt. „Ich bin vom Bayerischen Pilgerbüro. Das liegt hier ums Eck“, sagt die 32-Jährige. „Meine Kollegen und ich haben gesehen, was los ist und spontan beschlossen, dass wir beim Verteilen der Spenden helfen.“ Die Gaben stammen von Münchnern wie Sabine Hassbach, die heute Urlaub hat. „Wir haben beim türkischen Laden Verde in der Landwehrstraße zwei Einkaufswagen mit Lebensmitteln vollgepackt. Einen dritten mit Obst, Ayran und Gebäck hat der Chef des Shops gespendet – und sogar noch einen Angestellten zum Schieben mitgeschickt.“ Große Supermarkt-Ketten schicken jetzt lasterweise Lebensmittel.
Anders als Sabine Hassmann hätte Andreas Duchmann längst bei der Arbeit sein müssen. Er ist angehender Verkäufer: „Ich habe meinem Boss auf die Mailbox gesprochen, dass ich in einem Katastrophenfall helfe. Das ist doch nichts anderes hier.“ Er hat nicht ganz unrecht. Bis zum Mittag kommen 1800 weitere Flüchtlinge in München an. Dann entspannt sich die Lage. Mit dem nächsten Zug aus Budapest werden nur noch 40 Migranten erwartet. Gegen 14 Uhr bittet die Polizei per Twitter, nichts mehr zum Hauptbahnhof zu bringen: „Die vorhandenen Spenden für die (noch) anwesenden und die heute noch kommenden Flüchtlinge reichen aus. Danke.“ Danke, München!