Diese Geheimnisse birgt Münchens Unterwelt
München - Was er will? Menschen auf die Spur bringen. Ganz einfach. Auf die Spur für all das Mysteriöse und Geheimnisvolle, das Schaurige und Gruselige, das Verborgene, wovon es, wie er sagt, in München mehr gibt, als man denkt.
Er weiß das, weil er sich seit Jahren mit fast nichts anderem beschäftigt. Und aus seiner Leidenschaft einen Beruf gemacht hat. Christopher Weidner (48) ist einer der Gründer von Die Stadtspürer (www.stadtspuerer.de), die Stadtführungen durch ein mystisches München anbieten.
Er wartet vor der Frauenkirche an einem dieser Tage, an denen der Himmel vergessen hat, dass er in Bayern weiß-blau zu sein hat. Man erkennt ihn an der Umhängetasche, auf der das Logo der Stadtspürer zu sehen ist: Ein Sonnenkranz, in dem ein Gnom sitzt, den er Mystix nennt.
Lesen Sie auch: Polizeipräsident Schreiber ist tot
Freimaurer, Illuminaten, Theosophen, Templer und die Guglmänner
Ersonnen hat Weidner das Logo selbst. Er kennt sich schließlich aus mit Symbolen und ihrer Bedeutung. Und wer mit ihm durch München läuft, entdeckt sie an den unvermutetsten Ecken und Häusern. Sieht Zeichen, Sonderbares und München mit einem ganz anderen Blick. Wundert sich über Hades, den Gott der Unterwelt, der in einem Geldinstitut in der Kardinal-Faulhaber-Straße die Besucher im Eingangsbereich versteinert empfängt. Fragt sich, wie der kabbalistische Baum des Lebens in die Dreifaltigkeitskirche kam.
Warum all diese Dinge angebracht wurden? Weidner zuckt die Schultern. Lächelt. Geheimnisvoll. Vermutlich weiß er es – oder zumindest mehr, als er zu sagen bereit ist. Aber das ist Teil seines Stadtspürer-Konzepts. Fragen bewusst offen zu lassen.
„Glauben Sie, was Sie wollen“, sagt er auch zu seinen Kunden. Und erzählt dann, dass München der „Hotspot“ der Geheimgesellschaften war. Freimaurer und Illuminaten, die Theosophen und Antroposophen, die Templer und die bayerischen Guglmänner, die, sagt er, „bis in höchste Politikerkreise viel Macht zu haben scheinen“, haben hier gewirkt. Und tun es vielleicht immer noch.
Wirklich? „Weiß man’s?“, antwortet er. Lächelt wieder. Begraben seien die Illuminaten und Freimaurer übrigens vorallem auf dem Alten Südfriedhof. Christopher Weidner bedient sie gekonnt, diese, wie er sagt, „Sehnsucht und Ahnung in jedem Menschen, dass es noch etwas gibt, das über die Ratio hinausgeht“. Das Mysteriöse, Unsichtbare, ein bisschen Unheimliche, die Fantasie aufs wildeste befeuernde – zumindest bis sich die Vernunft wieder einschaltet. „Als Kind“, sagt Weidner, „durfte man alles glauben.“
Er glaubte als Kind an Feen, Engel, die Zwischenwelten, alles Mystische eben. Ungewöhnlich für einen Jungen. Andererseits: „Ich bin überzeugt, dass man als Kind weiß, was man werden möchte“, sagt er. Wenn das stimmt, war das bei ihm: Experte für Außergewöhnliches.
Dass er damit heute seinen Lebensunterhalt gut bestreiten kann, freut ihn. Sehr sogar. „Manchmal denke ich mir, ich muss doch gleich aufwachen, weil Arbeit doch schwer sein muss.“
Lesen Sie auch: Kommt der verkaufsoffene Sonntag nach München?
Es begann mit germanischer Altertumskunde
Geboren ist Christopher Weidner in München, „auch wenn man mir das nicht anhört“. Vielleicht, weil sein Vater aus der Nähe von Berlin kam, die Mutter aus Südamerika. Aufgewachsen ist er in Solln, von wo aus er sich im Lauf der Jahre „immer mehr ins Zentrum vorgearbeitet“ hat.
Sein Lebenslauf ist nur bis zum Abitur mit anschließendem zweijährigen Zivildienst normkonform. Denn danach folgte er seinem Leitspruch: „Tun, was mir Spaß und Freude macht.“ Zum Beispiel 14 Tage Urlaub in (!) der Kathedrale von Chartres zu machen. „Das war so toll“ sagt er. Und auch, dass ihn andere dafür vermutlich für „bekloppt“ halten.
Fraglich dürften auch einige seine Studienwahl gefunden haben. Weidner hatte sich an der LMU für „Germanische Altertumskunde“ eingeschrieben, studierte Runen, Sanskrit und die alte walisische Sprache Kymrisch – was außer ihm damals noch zwei weitere Studenten interessierte. „Die akademische Laufbahn war vorgeschrieben“, sagt er.
Eigentlich. Doch statt an der Uni zu verstauben, griff er lieber nach den Sternen und ließ sich in Nürnberg zum Astrologen ausbilden. Drei Jahre lang und von einem Lehrer, dem es nicht um esoterischen Hokuspokus gegangen sei, sondern das kritische Denken angeregt habe. Mit 28 machte sich Christoph Weidner schließlich selbstständig. Rückblickend sagt er: „Natürlich war ich blauäugig. Hätte ich die Ängste der Jugend von heute, hätte ich mich das nicht getraut.“
Die Blauäugigkeit hat sich für ihn gelohnt. Weil sie ihn dahin brachte, wo er heute ist. Zwar nicht direkt, doch sehr vieles, was er auf den Umwegen lernte, erlebte und machte, konnte er schließlich in seine Arbeit als Stadtspürer einfließen lassen.
Lesen Sie auch: "Gnadenfrist" für Schwarzbau-Siedlung am Ammersee
„München ist voll mit mystischen Geschichten“
Christopher Weidner erlebte und machte einiges. Arbeitete zunächst bei einem Verlag, für den er Bücher in die Buchhandlungen ausfuhr. Bekam dann das Angebot, selbst Bücher zu schreiben, Über Astrologie und Feng Shui. Er nahm das Angebot gerne an. Passt ja auch zu einem, der von sich sagt, ein „leidenschaftlicher Büchersammler zu sein“ – und inzwischen an die 20 000 in seiner Wohnung in der Fraunhoferstraße angesammelt hat.
Bei seinen Verlags-Reisen sei er immer wieder auf Kraftorte gestoßen, erzählt Weidner. Das brachte ihn auf die Idee, ein Buch über „Mystische Orte in Deutschland“ zu schreiben. Über das Buch lernte er einen Reiseveranstalter kennen und leitete schließlich jahrelang Reisen zu mystischen Orten in Deutschland, Europa und Afrika. Nebenbei ließ er sich zusätzlich zum systemischen Coach ausbilden.
Aber erst vor drei Jahren kam Christopher Weidner schließlich auf das Naheliegende: Auch in seiner Heimatstadt nach Geheimnisvollem zu suchen. „Und siehe da“, sagt er lächelnd, „München ist voll mit mystischen Geschichten.“ Die Stadtspürer waren geboren.
Seit 2013 nehmen Weidner und sein mittlerweile 14-köpfiges Team Einheimische, Zuagroaste und andere Besucher mit auf die Spur zu den Geheimnissen der Stadt.
Sie zeigen ein München, das sagenhaft, schaurig, geheim, mystisch, rätselhaft und (un)heilig ist. Das von Kraftlinien durchzogen und unbedingt eine Zeitreise wert ist. Das Massenpublikum soll damit nicht erreicht werden, bei Preisen ab 175 Euro pro Tour wäre das sowieso schwierig. Weidner sagt: „Wir sind Nischenanbieter mit Ambitionen.“ Man wolle Menschen ansprechen, die München mit anderen Augen sehen möchten.
Nur so könne man sich bewusst werden, „dass wir eine tolle Stadt haben, die den Spekulanten nicht in die Hände fallen darf“, sagt Weidner. Nur mit einem neuen Stadtbewusstsein könne man ein Gespür dafür entwickeln, dass die verschwiegenen Orte und Hinterhöfe nicht verbaut werden und verschwinden dürfen. „Wenn das geschieht, verlieren wir unsere Wurzeln, und München wird beliebig.“
Dann verabschiedet sich der Stadtspürer. Vermutlich hat er noch zu tun. So wie immer. Weil er immer neue Themen sucht, forscht und recherchiert. Damit er die Leute auch weiterhin auf die Spur bringen kann. Demnächst vielleicht auch in anderen Städten.
Lesen Sie auch: Nach großem Knall: So wird das München-Wetter