"Die haben jetzt eine andere Lebenswirklichkeit": Zerbricht die Klimabewegung?

Fridays for Future und die Letzte Generation haben einst die Straßen in München gefüllt – doch heute ringen die Klimaaktivisten um Gehör. Was junge Menschen noch antreibt, warum es immer weniger werden und wie die Umweltbewegung zersplittert.
Alexander Spöri
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Der größte Umweltprotest aller Zeiten in München: Vor sechs Jahren gehen mehr als 40.000 Menschen für das Klima auf die Straße. Bei einer Demonstration vor rund zwei Wochen sind es hingegen weniger als 500 Bürger.
Der größte Umweltprotest aller Zeiten in München: Vor sechs Jahren gehen mehr als 40.000 Menschen für das Klima auf die Straße. Bei einer Demonstration vor rund zwei Wochen sind es hingegen weniger als 500 Bürger. © Wolfgang Fehrmann/imago

München/Augsburg – Es ist ein Tag, der in der deutschen Geschichte einmalig ist. Am 20. September 2019 gehen landesweit mehr als eine Million Bürger auf die Straße, um ihre Stimme für die Einhaltung der Pariser Klimaziele zu erheben.

Kinder, Jugendliche, Eltern und Wissenschaftler setzen mit ihrem Protest ein Zeichen dafür, dass die Ressourcen dieser Welt begrenzt sind und kommende Generationen nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Auch die Ikone der Klimabewegung, Greta Thunberg, ist noch wöchentlich im Fernsehen und jungen Menschen wird im Zusammenhang mit ihren "Streiks" der Vorwurf gemacht, ihnen ginge es nicht um die Umwelt, sondern darum, die Schule zu schwänzen.

Klimabewegung: Mobilisierungspotenzial nimmt ab

Knapp ein Jahr darauf bringt der erste Corona-Lockdown das öffentliche Leben zum Erliegen – und die Schülergruppierung Fridays for Future (FFF) verschwindet mehr und mehr von der Bildfläche. Heute, noch mal fünf Jahre später, protestieren bei den regelmäßigen Demos keine 40.000 Menschen mehr auf dem Münchner Königsplatz, sondern wenige Hundert. Ist das Ende der jungen Klimabewegung besiegelt?

Wenige Hundert Menschen nehmen auf dem Königsplatz an einer Demonstration von Fridays for Future zum Klimastreik Anfang April teil.
Wenige Hundert Menschen nehmen auf dem Königsplatz an einer Demonstration von Fridays for Future zum Klimastreik Anfang April teil. © Sven Hoppe/dpa

"Nein", sagen acht aktive Anhängern von FFF im schwäbischen Augsburg. Jeden Dienstag treffen sie sich in einem Jugendzentrum. So auch Anfang April, als sie allesamt zu Fuß oder mit dem Radl ankommen, um einen Fahrradprotest zu planen.

In einem Raum mit Bar, Discobeleuchtung und Billardtisch schreiben sie ihre Ideen auf, um das Klima weiter in den Mittelpunkt zu rücken. Zwei von ihnen sind Anfang 20 und studieren, drei haben einen festen Job, zwei davon sind über 30 Jahre alt – und auch drei minderjährige Schüler sind gekommen. Nichtstuer, wie es Kritiker oft vorwerfen, gibt es keine.

In Augsburg treffen sich jeden Dienstag Klimaaktivisten zu einem Plenum, um dort künftige Aktionen zu besprechen.
In Augsburg treffen sich jeden Dienstag Klimaaktivisten zu einem Plenum, um dort künftige Aktionen zu besprechen. © Alexander Spöri

Sie lesen und beantworten E-Mails, sprechen ab, wer wann Seminare halten kann, eine Demonstration gegen die Gasbohrungen in Reichling wird vorbereitet – und es wird debattiert, wie man in der Medienlandschaft noch Gehör findet.

Ein Bruch durch die Coronapandemie?

"Vor einem Jahr waren wir noch zu dritt im Plenum – inzwischen sind wir mehr", sagt die Studentin Leonice (22). Trotz des Zuwachses ist die Gruppierung anders als vor fünf Jahren. Das stellt auch der gleichaltrige Flo fest: "FFF bestand bis 2019 größtenteils aus Schülern", erinnert er sich. "Doch dann hat Corona ziemlich mit hineingespielt."

Viele Jugendliche seien überfordert, "weil so viel in der Welt passiert", sagt Amelie (16), die Jüngste aus dem Kreis. "Viele schirmen sich von der Politik ab – man wird überflutet auf Sozialen Medien", so ihr Fazit. Ihre Freundin Jule meint hingegen, dass sich manche Jugendliche gerade aus diesem Grund politisch engagieren. "Das Erstarken der Rechten hat dazu geführt, dass man selber dabei ist", sagt sie. Bereits 2019 hatte sich die damals 12-Jährige für das Klima eingesetzt.

Für Sascha (22) haben sich die Ängste verschoben – und zwar nicht aufgrund der angespannten weltpolitischen Lage. "Wenn man seinen Abschluss macht, ist die größte Sorge, das Leben auf die Beine zu bekommen."

"Wir zersplittern nicht, sondern fokussieren uns"

Einer, der als Sprecher für die Umweltaktivisten in die Öffentlichkeit tritt, sagt: "Es haben sich ganz verschiedene Gruppen gebildet." Das Klima  sei nur der Einstieg. "In einem riesigen Themenkomplex entdeckt man einen Fokus" – zwischen Umwelt, Einsatz für die Demokratie, Ältere und Schwächere in der Gesellschaft. "Wir zersplittern nicht, sondern fokussieren uns zunehmend."

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Der Psychologe Rüdiger Maas, Gründer des Instituts für Generationenforschung in Augsburg, sieht das anders. Im Dezember hat er zu seinen Untersuchungen das Buch "Konflikt der Generationen" veröffentlicht. "FFF ist eine internetbasierte Bewegung, die vor sechs Jahren gestartet ist. Das ist extrem lang für eine solche Gruppierung und es ist klar, dass sich das ausläuft", zu diesem Ergebnis kommt der Forscher.

Psychologe aus Augsburg: Aktivisten haben jetzt eine andere Lebenswirklichkeit

"Die Gruppierung war immer ein kleiner Teil, der sehr stark in den Fokus gerückt wurde." Die obere Wohlstandsschicht sei es gewesen: Gymnasiasten, gut situiert, aus der Stadt. "Die haben jetzt andere Lebenswirklichkeiten, müssen arbeiten und ihren Lebensunterhalt bestreiten."

Unter anderem durch Greta Thunbergs antiisraelische Reden sei es letztlich dann zu einem Bruch gekommen. Außerdem fehle eine innere Motivation: "Sie demonstrieren freitags und es passiert nichts – dann muss ich das doch steigern", sagt der Psychologe. Doch sechs Jahre lang sei das Gleiche passiert.

Das frühere Aushängeschild der Klimabewegung: Greta Thunberg bei einem Pro-Palästina-Protest in Kopenhagen.
Das frühere Aushängeschild der Klimabewegung: Greta Thunberg bei einem Pro-Palästina-Protest in Kopenhagen. © Emil Helms/imago

Möglicherweise auch, weil sich mit der Letzten Generation ohnehin eine Organisation gegründet hat, deren Anhänger sich dann ab 2022 auf den Straßen festgeklebt haben. Doch auch diese Gruppierung hat sich mittlerweile aufgelöst – nachdem bayerische Ermittlungsbehörden gegen sie Klage wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben hatten.

Letzte Generation zerfällt in zwei Gruppierungen

Zwei Nachfolgegruppierungen sind entstanden: Die Neue Generation will ein "Parlament der Menschen" gründen, in dem "wirklich alle Menschen gehört werden", heißt es auf dem Internetauftritt. Und das Widerstands-Kollektiv fährt einen härteren Kurs.

Die Letzte Generation demonstriert vor dem Rollfeld des Münchner Flughafens.
Die Letzte Generation demonstriert vor dem Rollfeld des Münchner Flughafens. © IMAGO/LGPB (www.imago-images.de)

Der Dorfener Aktivist Luis Böhling (21) gehört dazu und beklebte vor wenigen Wochen einen Tesla-Store, um sich für das Klima und gegen Elon Musk starkzumachen. "Wenn wir uns hinstellen und Briefe schreiben, hinterlassen wir keine Wirkung", sagte er vor dem Geschäft in Neuaubing der AZ.

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Doch auch hier bleibt offen, wie effektiv diese Protestform ist. Der Soziologe Vincent August von der Humboldt-Universität zu Berlin hat die Aktivitäten der Letzten Generation untersucht. "Man kann skeptisch sein, wie erfolgreich das Widerstands-Kollektiv wird, jedenfalls wenn man damit ein großes Wachstum oder einen größeren politischen Einfluss meint", sagte August der AZ.

"Martin Luther King war erfolgreich, weil es Malcom X gab"

Bereits im Frühjahr 2023 sei unter den Aktivisten Erschöpfung eingetreten, so der Forscher. Sich regelmäßig festzukleben, sei sehr anstrengend. Außerdem kostet das Vorgehen der Behörden gegen die Aktivisten viel Energie. Derartige eskalative Protestformen lehnt man in Augsburg ab: "Martin Luther King konnte nur so erfolgreich sein, weil es Malcolm X gab", sagt Felix. "Doch bei uns wird nicht im Namen von FFF eskaliert", ergänzt Flo. Stattdessen setzt man lieber auf institutionellen Einfluss, etwa im Augsburger Klimabeirat. Der Kampf für die Umwelt geht also weiter – mit neuen Gesichtern und veränderten Methoden.

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  • Der wahre tscharlie vor 3 Stunden / Bewertung:

    Jede Bewegung hat(te) ihre Krisen.
    Dafür wird dann etwas Neues entstehen.

  • Boandl_kramer vor 3 Stunden / Bewertung:

    Den Klimakult ums böse CO2 muss man nicht nur glauben. Man muss ihn sich auch leisten können. Wohlstandsabbau und Verarmungsprozesse setzen dem inzwischen Grenzen. Gerade bei der Jugend.

  • FRUSTI13 vor 5 Stunden / Bewertung:

    Klimaschutz so wie ihn sich die letzte Generation und FfF vorstellen, ist anstrengend und bedeutet letztendlich in vielen Bereichen echter Verzicht. Und das wollen in letzter Konsequenz die Allerwenigsten!

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