Der Münchner Kampf gegen den Pflege-Mangel

Im September 2018 startete erstmals der Kurs "Vorbereitung auf die Ausbildung als Pflegefachhelfer oder Pflegefachkraft" an der MVHS. Drei Teilnehmer werden hier vorgestellt.
von  Hüseyin Ince
Faiz H. nach der Zeugnisfeier.
Faiz H. nach der Zeugnisfeier. © Daniel von Loeper

Im September 2018 startete erstmals der Kurs "Vorbereitung auf die Ausbildung als Pflegefachhelfer oder Pflegefachkraft" an der Münchner Volkshochschule (MVHS). Die AZ stellt drei Teilnehmer vor.

München - Erstmals bereitete die Volkshochschule 20 Ausländer auf einen Pflegeberuf vor. Die Quote der Absolventen ist hoch.

Mit 22 Teilnehmern aus 13 Ländern startete im September 2018 erstmals der Kurs der Münchner Volkshochschule (MVHS): "Vorbereitung auf die Ausbildung als Pflegefachhelfer oder Pflegefachkraft". Nach zehn Monaten halten 20 der 22 Kursteilnehmer ihr Zeugnis in der Hand. "Eine sehr gute Quote", sagt MVHS-Projektleiterin Leila Finger (36), "oft liegt der Anteil der Abbrecher bei ähnlichen Angeboten der MVHS bei 30 bis 40 Prozent."

Im Vordergrund stand sprachliche Förderung

Das Kursangebot wurde von mehreren Organisationen vorbereitet, unter anderem vom Goethe-Institut und von der "München Klinik". Hier konnten die Teilnehmer gleich einige Stunden Erfahrung in der Praxis sammeln. Im Vordergrund stand jedoch die sprachliche Förderung, um entweder direkt im Pflegesektor starten zu können oder eben im Anschluss eine Ausbildung zu beginnen. 800 Stunden Deutschunterricht haben die Absolventen hinter sich, um das Qualifikationsniveau B2 zu erreichen. B2 ist die Voraussetzung für eine Pflege-Ausbildung in Deutschland. Weitere 400 Stunden wurden Pflegethemen unterrichtet.

So unterschiedlich die Herkunftsländer, so unterschiedlich sind auch die Pläne der 17- bis 35-jährigen Teilnehmer. Die einen wollen sofort arbeiten. Für die anderen ist es erst der Beginn eines größeren Plans. Ein Großteil der Absolventen ist geflohen und besuchte bereits Integrationsklassen. Finanziert wurde das Premieren-Projekt vom Wirtschaftsreferat. Für die Teilnehmer ist das Angebot kostenlos, das im kommenden September erneut startet. Es sind noch Plätze frei.

Hier eine kleine Auswahl der insgesamt 22 Teilnehmern:

"Ich möchte der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben"

Faiz Hassan H. (30): Der Iraker ist ein Mann mit vielen Talenten. Seit viereinhalb Jahren lebt er bereits in Deutschland und hat nun den MVHS-Kurs absolviert. Schon in seiner Heimat war er mit Anfang 20 in vielen Berufen gefragt. "Im Irak verdiente ich mein Geld als Handwerker, als Koch, an einer Hotelrezeption, als Schreiner und als Friseur", erzählt H..

"Mein Leben dort war eigentlich gut, es gab immer viel Arbeit und ich habe gut verdient", erinnert er sich. Warum H. sein Heimatland verließ? "Seit der ,Islamische Staat’ (IS) dort wütete, mussten wir uns in Acht nehmen", erzählt er, "meine Familie und ich, wir sind Jesiden und werden seit einigen Jahren massiv bedroht." Schwermütig floh H. 2014 also Richtung Deutschland. Für Jesiden ist der Nordirak immer noch sehr gefährlich. "Vor zwei Wochen wurde mein Onkel ermordet, weil er zu den Jesiden gehörte", sagt er.

Bewusst für den Pflegesektor entschieden

Bevor H. an der MVHS seinen Vorbereitungskurs für Pflegeberufe absolvierte, arbeitete er als Friseur. Das tut er immer noch, bis es mit dem neuen Job Anfang September losgeht. Dann beginnt er sein neues Berufsleben als Krankenpfleger-Assistent an der München-Akademie. Dazu ist er nun nach dem zehnmonatigen MVHS-Kurs qualifiziert.

Als Mann mit so vielen Fähigkeiten hätte er auch andere berufliche Alternativen gehabt. Aber H. entschied sich ganz bewusst für den Pflegesektor. "Ich habe mich lange erkundigt, welche Fachkräfte in Deutschland am meisten fehlen", sagt H., "und immer wieder hörte ich, dass Pflegekräfte gebraucht werden. Und nachdem ich in Deutschland so herzlich aufgenommen wurde, möchte ich der deutschen Gesellschaft unbedingt etwas zurückgeben."

Faiz H. nach der Zeugnisfeier.
Faiz H. nach der Zeugnisfeier. © Daniel von Loeper

"Neurologie interessiert mich sehr"

Bruna Fortunato Sertao (18): Die junge Portugiesin ist innerhalb der Gruppe vielleicht die ambitionierteste Teilnehmerin. "Für mich ist das erst der Anfang", sagt die 18-jährige Bruna Fortunato Sertao. "Mit meinem Zeugnis der MVHS möchte ich die Ausbildung zur Krankenpflegehelferin beginnen und später das Abitur nachholen. Und wenn alles klappt, studiere ich in fünf Jahren Medizin."

Ärztin wolle sie unbedingt werden. "Ich kann mir sehr gut vorstellen, irgendwann einmal als Neurologin zu arbeiten. Das Fachgebiet interessiert mich sehr", sagt sie. Vor etwa zweieinhalb Jahren ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter von der Algarve nach Deutschland gezogen. "Eigentlich wollten wir nach England", erzählt Sertao, "aber meine Tante in München überzeugte meine Mutter davon, dass meine Ausbildungschancen in Deutschland besser seien als in England." Seither wohnt sie in Bayern.

Elf Jahre Schule hatte sie in der portugiesischen Stadt Portimao hinter sich. Das wurde in Bayern anerkannt als qualifizierter Hauptschulabschluss. Dass sie von dem Kursangebot an der MVHS erfuhr, war Zufall, eröffnet ihr aber beste berufliche Perspektiven, falls sie so ehrgeizig weitermacht. "Mein Deutschlehrer hatte mir von der MVHS erzählt", sagt sie.

Bruna Fortunato Sertao möchte nach der Ausbildung ihr Abitur nachholen.
Bruna Fortunato Sertao möchte nach der Ausbildung ihr Abitur nachholen. © Daniel von Loeper

Traum von einem selbstbestimmten Leben

Mirvays Royani (22): Der junge Afghane war schon immer eine Art Heimatloser. "Ich bin im Iran aufgewachsen", erzählt Royani, "Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr Afghanen in Iran diskriminiert werden." Für seine Landsleute sei es nicht einmal möglich, eine Telefon-SIM-Karte zu kaufen. "Man ist dort als Afghane immer Bürger zweiter Klasse", sagt Royani.

2012 reichte es ihm dann. Als 15-Jähriger floh er aus der fremden Land. "Seitdem träume ich von einem selbstständigen, also selbstbestimmten Leben", erzählt der 22-Jährige. Denn selbstständig zu arbeiten ist ihm mit seinem derzeitigen Aufenthaltsstatus nicht erlaubt, aber die Arbeitserlaubnis hat er. Also begann er zunächst eine Friseur-Ausbildung. "Ich musste sie aber vor einem Jahr abbrechen, weil bei mir eine Allergie gegen Haarfärbemittel festgestellt wurde", sagt Royani. Nun suchte er sich etwas Neues und erfuhr von dem Vorbereitungskurs an der MVHS.

Mithilfe seines Zeugnisses bekam er eine Arbeitsstelle. "Ab August arbeite ich bei der Pfennigparade als Pflegehelfer", erzählt er zuversichtlich. Die MVHS machte es ihm möglich, seinem Traum von einem selbstbestimmten Leben etwas näher zu kommen.

Mirvays Royani musste sich wegen einer Haarfärbermittel-Allergie neu orientieren.
Mirvays Royani musste sich wegen einer Haarfärbermittel-Allergie neu orientieren. © Daniel von Loeper

Lesen Sie hier: München - Verfassungsgerichtshof stoppt Pflege-Volksbegehren

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