Der Maiglöckchen-Mord: AZ-Reporterlegende Stankiewitz erinnert sich

Vor 70 Jahren erlebte die Stadt einen Prozess, bei dem zwei spätere Berühmtheiten ihre Karriere begannen. Hier erinnert sich AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz.
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Der spätere Star-Anwalt Rolf Bossi - er starb 2015 - arbeitete damals als Hilfsverteidiger. Er machte unter anderem mit den Prozessen um die Entführung von Richard Oetker (1976) und die Verteidigung von Ingrid van Bergen (1977) Schlagzeilen.
Der spätere Star-Anwalt Rolf Bossi - er starb 2015 - arbeitete damals als Hilfsverteidiger. Er machte unter anderem mit den Prozessen um die Entführung von Richard Oetker (1976) und die Verteidigung von Ingrid van Bergen (1977) Schlagzeilen. © imago images/Heinz Gebhardt

München - Der Fall, den die Presse "Maiglöckchen-Mord" nannte, hatte schon vor Prozessbeginn im Januar 1952 weithin Aufsehen erregt. Denn zum wiederholten Male binnen kurzem war über einen Menschen zu richten, der einen anderen Menschen tötete, weil der seine Liebe nicht erwiderte.

Eben erst war eine Hausfrau, die ihre Nebenbuhlerin erschlagen hatte, freigesprochen worden. Das Schwurgericht beim Landgericht München folgte hier dem Gutachten des renommierten Psychiaters Max Mikorey: "Das war keine Affektexplosion, das war eine seelische Atombombe, die gerade bei besonnenen Menschen, die jahrelang ihre Erregung aufstauen, zum Ausbruch kommen kann."

Film-Kaufmann Alfred von Diederichs: Verhältnis zu Sekretärin führt zu Scheidung

Jetzt war ein 45-jähriger Mann mit großer Reputation des Mordes angeklagt. Alfred von Diederichs leitete den Verleih der wieder mächtig gewordenen UFA. Sein Vater war kaiserlicher Admiral und einstens Gouverneur der deutschen Kolonie Tsingtau in China.

Obwohl glücklich verheiratet, begann der Filmkaufmann Anfang 1947 ein Verhältnis mit seiner 23-jährigen Sekretärin Hildegard Schmidmeier. Zwei Jahre später trennte er sich von seiner Frau.

Während die Scheidung lief, wurde Diederichs von der UFA entlassen, weil er hohe Schulden gemacht hatte. Nunmehr interessierte sich seine Geliebte nicht mehr so sehr für ihn, sondern wandte sich einem anderen Mann zu. Diederichs ging wieder zu seiner Frau zurück und versprach abermals "reinen Tisch".

Geliebte erwürgt: Nach dem Mord legt er Maiglöckchen auf die Brust der Leiche

Schließlich bat er Hildegard zu einem Treffen in ein feines Hotel. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, die bis zum Morgen dauerten und den Mann schließlich seelisch zerrieben.

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In wahnsinniger Eifersucht warf er die unentschlossene Geliebte aufs Bett und drückte ihr mit den Händen die Kehle zu. Dann rannte er die Hoteltreppe runter, kaufte einen Strauß Maiglöckchen und legte ihn der Toten andächtig auf die Brust. Vor der Polizei legte er ein siebenseitiges Geständnis ab.

Rolf Bossi war damals noch Hilfsverteidiger  

Soweit der eher banale Ablauf einer Liebestragödie. Wieder schien es so wie bei den beiden vorangegangenen Prozessen. Jedenfalls billigten der abermals geladene Gutachter Mikorey und ein ebenso namhafter Kollege, Professor Vult Ziehen, dem Angeklagten strafmildernden Affekt zu, allerdings nur zur Anfangszeit seiner Tat. Juristisch unterstützt wurde diese These vom 30-jährigen Hilfsverteidiger Rolf Bossi, der damit seine Karriere als "Staranwalt" startete.

Lebenslang Zuchthaus für "Maiglöckchenmörder" Alfred von Diederichs

Ein dritter Gerichtsmediziner, Professor Laves, stellte jedoch fest, der Angeklagte habe seinen Würgegriff drei bis fünf Minuten lang nicht gelockert. So kam das Gericht - es war dasselbe wie im "Fall seelische Atombombe" - zu dem Schluss, Diederichs hätte in diesem Zeitraum das Unrechtmäßige seines Handelns erkennen und davon ablassen können. Die Totschlags-Theorie der Verteidigung kam daher nicht zum Tragen. Am 25. Januar wurde der angeklagte Filmkaufmann, in der Presse "Maiglöckchenmörder" genannt, zu lebenslang Zuchthaus verurteilt.

"Teuflisches Dreieck" war der Prozessbericht überschrieben, der am 28. Januar im Salzburger "Demokratischen Volksblatt" erschien. Verfasser war der in Traunstein aufgewachsene Thomas Bernhard. Bis zum Abschied von der SPÖ-Zeitung (er wollte nicht in die Partei eintreten) schrieb der spätere "Anti-Österreicher" für die Sparte "Aus dem Gerichtssaal" rund 100 Berichte, die er einmal als seine "Wurzel" als Schriftsteller bezeichnete.

In "Der Untergeher" fasste Thomas Bernhard später seine Erfahrungen als Gerichtsreporterzusammen.
In "Der Untergeher" fasste Thomas Bernhard später seine Erfahrungen als Gerichtsreporterzusammen. © imago images/Glenn Loney/Everett Collection

In "Der Untergeher" fasste Thomas Bernhardspäter seine Erfahrungen als Gerichtsreporter so zusammen: "Wenn wir die strafrechtliche Seite unserer Welt und das heißt, unserer Gesellschaft verfolgen, erleben wir jeden Tag unsere Wunder."

Dieses Zitat ist Motto des Buches "Keiner will schuld sein. Schlagzeilen aus Münchner Gerichtssälen" von unserem Autoren Karl Stankiewitz, das 2005 unmittelbar nach Erscheinen vom Verlag zurückgezogen wurde, weil es die Namen der vor der Haftentlassung stehenden Mörder von Walter Sedlmayr genannt hatte, was schließlich die Abmahnung eines darauf spezialisierten Anwalts zur Folge hatte.

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