Der Dackel und Olympia: Ganz München liebt den Waldi
München - Ein bunter Dackel soll "die Welt" nach München locken. Die höchsten Repräsentanten des Olympischen Komitees haben sich im Januar 1971 getroffen, um den kleinen Kläffer in vielfacher Ausfertigung als offizielles Maskottchen der XX. Sommerspiele vorzustellen.
Der Dackel ist "typisch deutsch"
Auf der Internationalen Spielwarenmesse Nürnberg zunächst soll der sogenannte Olympia-Waldi auf den Weltmarkt gebracht werden. "Der Dackel gilt überall als typisch deutsches Tier", erklärt Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, den herbeigerufenen Journalisten. Für München gilt sein Befund besonders.
Bei Daumes daheim in Wanne-Eickel war die Idee geboren worden. Mit Plastilin, Buntstift und Zeichenblock haben die Organisatoren bei Punsch und Zimtsternen das Maskottchen entworfen.

In der Abteilung für Visuelle Gestaltung, die der geniale Designer Otl Aicher in Ulm leitete, wurde das Tier mit Lineal und Zirkel in das "offizielle Erscheinungsbild" der Spiele eingefügt.
Ein bunter Vierbeiner in vielen Variationen
Das Ergebnis war eine verbindliche Silhouette, die jetzt von 15 Herstellerfirmen nachgebildet und verkauft werden darf. Das bunte Dackeltier, das zwischen 5 und 25 DM kostet, findet sich denn auch schon auf zahllosen Weihnachtsbäumen, in Holz oder Stoff, aufblasbar oder zerlegbar, aus Frottee oder Plüsch, schwanzwackelnd, auf Rädern, als Puzzlespiel oder Anstecknadel, zum Draufsitzen oder als Knutschtier. Willi Daume erwartet einen "erheblichen Beitrag zu unseren Haushaltsmitteln".
Bis Weihnachten 1971 erlösten die verschiedenen olympischen Geschenkartikel bereits fünf Millionen DM - so viel war insgesamt nur erwartet worden. Eine Schnecke ziert Kerzen und Krüge, Betten, Ketten und Manschetten, Schminkbeutel, Korkenzieher, Kleiderhaken, Kartenspiele.
1.000 verschiedene Souvenirs sollen angeboten werden
Rund 700 verschiedene Artikel, hergestellt von über 250 Firmen, haben bisher die Lizenz des Olympischen Komitees erhalten, die Embleme der Spiele von München und Kiel merkantil verwenden zu dürfen. Bis zum Februar 1972, so schätzt man, werden über 1.000 Olympia-Souvenirs auf dem Markt sein. Deswegen ist der Voranschlag verdoppelt worden, auf 10 Millionen DM. Das bedeutet einen Umsatz von fast 5 Millionen DM, denn die Lizenzgebühren betragen fünf bis 30 Prozent vom Verkaufspreis.
Allerdings versuchen viele Geschäftemacher, im Fahrwasser des Olympia-Souvenirs im Trüben zu fischen. Im Gegensatz zur Schnecke sind die Fünf Ringe nicht geschützt. Auch nicht das Münchner Kindl, der bayerische Seppl oder das Lied vom Hofbräuhaus, das jetzt aus pseudo-olympischen Maßkrügen tönt. Und auch unter den Waldis laufen viele falsche Hunde herum.

Fast 1.000 von rund 5.000 Münchner Dackeln wackeln am 10. Januar 1972 durch die neue Fußgängerzone. Hans-Jochen Vogel marschiert mit seinem eigenen langhaarigen Vierbeiner auch mit - eine seiner letzten Amtshandlungen als Oberbürgermeister.
Hündinnen müssen leider draußen bleiben
Der kleine Krummbeiner des Prinzen Rasso von Bayern vertritt den bayerischen Hundeadel. Auch die leibliche Mutter und eine "Wurfschwester" des offiziellen Olympia-Maskottchens Waldi sind mit von der Dackelpartie. Nur "beißehitzige Hündinnen" mussten fernbleiben, denn "die machen uns die Rüden verrückt", bittet Willy Schachtner, der Vorsitzende des Bayerischen Dachshundeclubs von 1893.
Eine echte Münchner Viecherei ist auch der lautstarke Auftakt der Olympia-Lotterie. Sie läuft unter dem Motto "Ein Platz im Stadion" und soll vor allem den Einwohnern der Region München die Chance geben, doch noch an der Eröffnungs- und Schlussfeier unmittelbar teilzunehmen.
Denn für diese Veranstaltungen wurden deutsche Bundesbürger bislang nur über die Fernsehlotterie "Glücksspirale" bedacht. Rund 40.000 Eintrittskarten wurden und werden noch auf diese Weise ausgespielt. Die übrigen Karten für Eröffnung und Schluss - insgesamt 160.000 Plätze - sollten ins Ausland gehen oder an Ehrengäste und Journalisten. Über die neue Losbriefaktion werden nun weitere 15.038 Karten ausgespielt und für nur zwei DM pro Los kann nun doch jeder gemeine Bürger dabei sein.
Einige Firmen boten viel Geld für Tickets
Eine Million DM der Lotterieerlöse gehen an die Stadt München; der Zuschuss soll für die olympische Ausschmückung, für die Beflaggung, Bestrahlung und Begrünung von Straßen, Brücken und Gebäuden verwendet werden.

Alexander Jauch von der Staatslotterieverwaltung hat indes die Sorge, "dass große Unternehmen ihre Leute schicken und ganze Loskästen à 500 DM aufkaufen". Die Losverkäufer erhalten immer wieder Anfragen von Firmen, die 1.000 DM und mehr für eine so repräsentative Olympia-Eintrittskarte bieten. Allerdings: Ohne Spenden geht's nicht.
Zwei Milliarden DM reichen nicht
Der Goldregen von fast zwei Milliarden DM, der aus öffentlichen Haushalten in die "Weltstadt mit Herz" und ihre olympischen Satelliten strömt, der würde bei weitem nicht reichen für all die gigantischen Projekte. So wird denn fleißig gesammelt von privaten Vereinen, Fernsehanstalten, Zeitungen, Banken, Bundesbahn, Stammtischen und vielen anderen Stellen. Auch wenn man keine Eintrittskarte ergattern kann - für 5 DM ist man doch dabei und hilft ein bisschen mit, der Welt das neue, das "freundliche und heitere" Deutschland des Willi Daume zu zeigen.
Einer dieser Geldeintreiber im nationalen Interesse ist der "Verein zur Förderung der Olympischen Spiele". Seinem 85-köpfigen Kuratorium gehören Prominente wie der Kugellagerprinz Gunter Sachs, die Waschmittelkönigin Gabriele Henkel, ZDF-Intendant Karl Holzamer und CSU-Fußballfreund Richard Stücklen an. Diesem Verein gelingt es, bis Oktober 1971 über 1,1 Millionen DM in bar sowie Sachspenden im Wert von 37 Millionen DM zu sammeln.
Es ist genug für alle da
Was da alles so eingeht oder kostenlos angeboten wird, das könnte das größte überdachte Einkaufszentrum Europas füllen, welches in der olympischen Pressestadt gebaut wird: Rasendünger in rauen Mengen, 2.000 Zahnbürsten, Erbseneintopf, zwei Millionen Liter Benzin, eine komplette Sauna, 827 Kleinbusse, Kekse, 6.000 Fackeln, 16 Schweinehälften, 32.000 Kartoffelknödel ("für jeden Sportler und Journalisten zwei", ordert der Spender), Schmelzkäse, Schokolade, Schreibmaschinen und sogar ein Flugzeug samt Pilot.
Es ist sehr einfach, zum "Olympia-Zulieferer" zu werden
Nicht immer freilich dürften die Spenden purer Sportbegeisterung, nationalen Gefühlen oder reinem Edelmut entsprungen sein. Immerhin darf sich jeder Krautbauer, der die Spitzensportler von Abessinien bis Zypern mit einer typischen Frucht des Gastlandes zu laben bereit ist, nunmehr "Olympia-Zulieferer" nennen.
Olympia-Souvenirs aller Art, offizielle ebenso wie Fantasieprodukte von privaten Herstellern, werden auch heute noch gefragt und gehandelt. Im Glockenbachviertel betreibt Thomas Zufall seit Jahren das Café "München 72", das einen Teil seiner Souvenirsammlung zeigt, natürlich auch dabei: Waldi.
Waren Sie bei der Dackelparade dabei? Senden Sie uns Ihre Erinnerungen gerne mit Foto an leserforum@az-muenchen.de oder
AZ Leserforum, Garmischer Straße 35, 81373 München

Soeben erschienen: Karl Stankiewitz: München 1972, Allitera-Verlag, 25 Euro
- Themen:
- Hans-Jochen Vogel
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