Der Bürger-King: Wie Christian Ude zu dem OB wurde, der er war

Unser Autor hat Christian Ude über Jahrzehnte beobachtet. Hier erinnert er sich an den langen Weg von einem eher spröden jungen Mann zum charismatischen Münchner Dauer-OB und Kabarettisten.
Willi Bock |
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Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) bei der Eröffnung der historischen Wiesn in München (Oberbayern) auf einem goldenen Sessel.
Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) bei der Eröffnung der historischen Wiesn in München (Oberbayern) auf einem goldenen Sessel. © Frank Leonhardt/dpa

München - Es war an einem dieser langen Abende im Schatten des Rathauses, als es wieder um Gott und die Welt und naturgemäß um Christian Ude ging. Was bewegt ihn, was treibt ihn an?, fragten wir uns. Bei diesem weiten Spannungsbogen vom führungsstarken OB zum dünnhäutigen Menschen. Vom begnadeten Redner, dem man gerne zuhört – zu demjenigen, den man lieber auf den Mond schießen möchte.

An dem Abend sagte sein engster Berater nur einen Satz: "Er will geliebt werden." - Stille.

Dieses "Er will geliebt werden" durchzieht das ganze Leben von Christian Ude. Wie an einer Perlenkette reihen sich seine Lieblings-Felder aneinander: Der kämpferische Schülersprecher am Oscar-Gymnasium. Der Juso-Pressesprecher, der in den 70er Jahren zur Freude der Linken die Partei-Granden aufmischte. Der junge "SZ"-Journalist, der für die Jugend und Studenten eine Lanze brach. Der listenreiche Mieteranwalt. Der gewitzte Kabarettist und launige Buchautor. Der Förderer der Kultur und des Wohnungsbaus. Oder der Schutzschild der Münchner SPD.

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Christian Ude regierte München fast ein Vierteljahrhundert

24 lange Jahre regierte Christian Ude im Münchner Rathaus: Von 1990 bis 1993 als Zweiter Bürgermeister hinter seinem Ziehvater Georg "Schorsch" Kronawitter. Nach dessen Rücktritt wurde Ude von 1993 bis 2014 Oberbürgermeister. In diesen langen 21 OB-Jahren gab es: drei Päpste, vier bayerische Ministerpräsidenten und 15 Trainerwechsel beim FC Bayern. Aber nur einen Christian Ude.

Dabei fand er 16 Kanzlerjahre von Helmut Kohl (1982-1998) schon "viel zu lang". Länger wurde München nur von Wilhelm Ritter von Borscht regiert: 26 Jahre lang (1893-1919).

In diesen 24 Rathaus- und 21 OB-Jahren hat sich Ude mit dem Amt verändert. 1993 kam er nach dem spektakulärsten und wohl auch knallhartesten Kommunalwahlkampf der Nachkriegsgeschichte auf den OB-Sessel. Mit hauchdünnen 50,8 Prozent besiegte er am 12. September 1993 im ersten Wahlgang den "Schwarzen Peter" Gauweiler.

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Ude wurde stramm rot-grün, weil er der CSU nie mehr vertraute. Als er am 2. Mai 1993 von der neuen rot-grünen Stadtratsmehrheit zum Zweiten Bürgermeister gewählt wurde, da war er ein spröder junger Mann. Die CSU lachte im Rathaus über den "Schwabinger Bohemien", der sich in der Kultur wohlfühlte, aber im Kontakt mit den normalen Bürgern fremdelte. Im Bierzelt ging er krachend unter. An seiner Bürgernähe musste Ude lange arbeiten.

Christian Ude hat als Politiker einen schweren Weg hinter sich

Bis zum späteren Bürger-King mit bundesweiter Strahlkraft, dem die Menschen bei seinen Lesungen und Vorträgen bis heute gespannt zuhören, war es für Christian Ude ein langer Weg: beschwerlich, schmerzhaft, lehrreich und auch glücklich machend. Er wurde der faszinierende Redner, vor dessen Sprachgewalt sich viele Stadträte fürchteten und es nur wenige in Stadtratsdebatten mit ihm aufnehmen konnten.

Als er im Amt gereifter war, bekam er gar Angebote als Bundesminister. Aber er wollte lieber sein eigener Herr in München sein. Ude war auch lange klug genug, sich nicht vor den Karren der darbenden Bayern-SPD spannen zu lassen. Mit Wählerliebe war da nicht zu rechnen. Und die SPD kann auch lieblos zicken. Nur einmal gab er sich dann doch hin: 2013 kandidierte er als Spitzenkandidat für den Landtag, um als Notnagel den steten SPD-Abwärtssog zu drehen. Er konnte ihn nur ein wenig stoppen. Auch ein Ude macht noch keinen Polit-Sommer.

Man muss Christian Ude nicht immer lieben, denn er hat auch genug Menschen vor den Kopf gestoßen. Aber es fällt Freund und Feind oft schwer, sich beim Zuhören seinem Charisma zu entziehen, mit seinen langen und manchmal musikalischen Sätzen. Seine Beliebtheit als OB ging weit über die SPD hinaus. Bei seiner letzten Wahl 2008 gaben ihm zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme – ein vielfaches mehr als der SPD (39,8 Prozent). Er kann eben die Menschen für sich begeistern. Das schafft bei seinen Kontrahenten aber auch Frust und Ohnmachtsgefühle, die auch in Wut umschlagen konnten.

"Ude springt auf den fahrenden Zug und ruft: Ich bin der Lokführer"

Von Anfang an musste Ude am eigenen Leib durchleben, dass es mit der Liebe im Rathaus nicht so einfach ist: Die OB-Wahl-Schlacht von 1993 hat tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Die CSU ist sein rotes Tuch. Problematisch wurde Ude, wenn er mit Kritik konfrontiert wurde, die er nicht sachlich oder rhetorisch abwimmeln konnte. Sündenbock 1: die CSU. Wenn das nicht klappte, kam Sündenbock 2: die Journalisten (am liebsten die Feuilletonisten).

Wenn alles nichts nutzte, die Schuld bei ihm blieb: Dann konnte es hart werden. Und man sah auch schon mal, wie seinetwegen eine Stadträtin weinend den Sitzungssaal verließ. Man spürte oft: Er hat eine dünne Haut.

Ude war ein Großmeister darin, Ideen für sich zu vermarkten

Wie hält man nun 24 Jahre diese Tretmühle im Rathaus aus? Immer unter öffentlicher Beobachtung, in der Dauerberieselung von Missgunst und Schmähungen, Angriffen und Niederlagen. Wie schafft man es, am Ende am Wahltag eine breite Zustimmung, selbst aus der Wählerschaft der Kontrahenten, zu bekommen? Nur "geliebt werden wollen" reicht da nicht. Dem OB ergeht es da wie dem Fußballtrainer: Auf dem Sofa sitzend wissen es alle besser.

Christian Ude kann vor allen Dingen gut zuhören – wenn er nicht gerade in einer Sitzung ein Power-Schläfchen hält. Er hat Strategien entwickelt, Stimmungen zu erkennen, sich daran zu orientieren, und auch den Weg zu wechseln. In einer Mischung aus Journalist, Jurist und Schlitzohr kann er dann Sätze formulieren, die auch ihr Gegenteil bedeuten können. Er war ein Großmeister darin, Ideen für sich zu vermarkten.

Für die CSU wurde das fatal. Immer wieder nahm er ihr Themen weg, besetzte sie selbst und machte die Kollegen mundtot. Die FDP-Fraktionschefin Heidrun Kaspar brachte es mal auf den Punkt: "Herr Ude, Sie laufen immer hinter dem fahrenden Zug her, springen auf, spurten nach vorne und rufen: Ich bin der Lokführer." Natürlich ist er dabei immer der Beste, ein Held, und der perfekte Vermarkter seiner selbst.

Christian Ude kann auch auf doppeltem Boden agieren

Eine Glanzleistung vollbrachte er Anfang der 90er, als schon einmal die Flüchtlingsfrage die Stadt erregte. Sie zeigt auch den doppelten Boden, mit dem Ude agieren kann. Beim Parteitag des SPD-Unterbezirks brannte die Hütte. Der wertkonservative OB Georg Kronawitter prallte wieder auf die Parteilinke.

Auf dem Höhepunkt des hitzigen Gefechts drohte es, die Partei zu zerreißen. Auftritt Ude. Im Vorfeld gehörte er eigentlich zu den Zündlern. Jetzt brachte er mit kühlem Kopf, atemberaubender Eloquenz und einem Kompromiss den Parteitag zur Ruhe. Von da an war allen klar, wer hier der wichtige Mann und der geistige Lenker der Münchner SPD ist. Über 20 Jahre lang – und zum Teil bis heute.

Einmal zum OB gewählt, änderte Ude im Rathaus als erstes den Führungsstil: Es gab wöchentliche Referentenrunden, bei denen seine Stadtminister berichten mussten. Er pflegte einen kollegialen Stil.

Als zweites befriedete er die Männer-Fehden seines Vorgängers und bremste nach Kronawitters Mantra "Keine neuen Wohnungen, keine neuen Arbeitsplätze" nicht mehr Wirtschaft und Wohnungsbau.

Ude ist noch nicht mal OB, da schreibt er seine "verfrühten Memoiren"

Das Thema Verkehr war seit dem Wahlkampf 1990 zum Grabenkampf geworden, den er mit seinem Boykott von neuen Ringtunneln mit angezettelt hatte. Er holte alle Beteiligten in Inzell an einen Tisch und schuf mit der "Inzell-Initiative" Verkehrsfrieden. Dann war er auch der selbsternannte "Deutsche Meister im Wohnungsbau". Dass er zu wenig für den ÖPNV getan hat, bestreitet er bis heute.

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Im Laufe der Rathaus-Jahre wurde der Linke zum Realo. Alt-OB Hans Jochen Vogel meinte über ihn: "Der Marsch durch die Institutionen hat die Marschierer stärker verändert als die Institutionen."

Das ist alles harte Arbeit, mit einer enormen Verantwortung, verbunden mit einem Rund-um-die-Uhr-Job an 365 Tagen im Jahr. Das kann auch Albträume auslösen, wie er dem AZ-Reporter mal erzählte: "Ich habe geträumt, dass ich auf einer Galeere ganz allein am Ruder sitze, die Trommel geschlagen wird und alle mir nur zuschauen."

Ude gilt bis heute als der einzige Kabarettist auf einem OB-Sessel

Ude fand für sich ein Ventil: das Schreiben, die Bühne. Dort kann er Dampf ablassen, seinen Rathaus-Frust abarbeiten, ein größeres Publikum erreichen und sich über den Polit-Alltag lustig machen. Ude gilt bis heute als der einzige Kabarettist auf einem OB-Sessel. Pünktlich zu seinem ersten OB-Wahlkampf 1993 schrieb er ironisch "Meine verfrühten Memoiren", dem mehrere satirische Bücher folgten.

Nun, auch im Alter spricht Christian Ude noch gern über seine Erfolge und Heldentaten und füllt die Säle. Der Applaus ist ihm sicher. Und so steht er heute immer noch auf imaginären und echten Bühnen – und wartet schmunzelnd auf liebevollen Beifall.


Willi Bocks erster Tag beim "Münchner Merkur" war der 2. Mai 1990 - an dem Ude zum 2. Bürgemeister gewählt wurde. Bock begleitete Ude dessen ganze OB-Zeit. 1998 bis 2014 war er Rathausreporter der AZ.

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