Das sagt der Politikwissenschaftler Florian Hartleb über den OEZ-Amoklauf

München - Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Extremismus. Über die Tat des deutsch-iranischen Schülers David S. (18), der am 22. Juli 2016 acht Jugendliche und eine Frau mit Migrationshintergrund am OEZ erschoss, studierte er Tausende Ermittlungsakten.
Vor Kurzem stieß der Forscher auf eine Verbindung zu einem US-Attentäter. Nun fordert Hartleb, dass die Tat endlich auch von der Staatsregierung als rechtsterroristisches Verbrechen eingeordnet wird. Der Extremismusforscher (38) erstellte 2017 im Auftrag der Stadt ein Gutachten über den Fall.
AZ: Herr Dr. Hartleb, durch Sie haben deutsche Ermittler erfahren, dass David S. intensive Kontakte hatte zu anderen Männern mit Massenmordfantasien. Darunter war der rassistische US-Amerikaner William A., der anderthalb Jahre nach der Münchner Tat zwei mexikanische Schüler tötete. Wie kamen Sie auf diese Spur?
FLORIAN HARTLEB: Rein zufällig. Ich schreibe gerade ein Buch ("Einsame Wölfe: Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter", die Red.), dazu recherchiere ich regelmäßig Medienberichte über David S. Bei einer englischsprachigen Google-Suche bin ich auf einen Bericht in einer US-Lokalzeitung gestoßen. Darin äußerte sich der Sheriff dazu, dass die beiden in engem Kontakt standen.
Das war in München bis dahin unbekannt?
Ich habe sofort beim Landeskriminalamt angerufen. Dort war die Verbindung zu William A. unbekannt. Die Ermittlungen wurden nun wieder aufgenommen.
Wie erklären Sie sich, dass die Polizei die Spuren im Netz seinerzeit nicht weiter verfolgt hat?
Da sind eklatante Versäumnisse und Fehler gemacht worden. Ein Journalist des ARD-Magazins "Fakt" konnte das jetzt innerhalb kürzester Zeit rekonstruieren. Die 60 Beamten beim LKA haben das nicht herausgefunden. Im März 2017 wurden die Ermittlungen abgeschlossen, obwohl die Gefahr einer Nachahmungstat bei solchen Einzeltätern sehr groß ist.
Wie ist das möglich?
Ich denke, dass man sich zu früh auf unpolitisches Schulmobbing als Tatauslöser fixiert und dabei die internationale Dimension vernachlässigt hat. Außerdem wurde unterschätzt, dass die Internetplattform Steam, über die die Attentäter kommunizierten, nicht nur eine Spieleplattform ist. Das erstaunt angesichts der vielen Hinweise auf rechtsextremistische Motivation.
Hartleb: "....dennoch werden die Morde als unpolitisch abgetan"
Hätten die Morde in New Mexico verhindert werden können?
Möglicherweise. Wenn die deutschen Ermittler die US-Behörden über diese Verbindung informiert hätten. Unverständlich ist aber auch, dass das FBI vier Monate vor dem Anschlag in München bei William A. in New Mexico eine Hausdurchsuchung durchführte, weil er sich im Netz eine Waffe beschaffen wollte. Zu diesem Zeitpunkt muss er mit David S. bereits in Kontakt gestanden haben. Davon erfuhren deutsche Ermittler auch nichts.
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Für Sie ist David S. ein rechtsterroristischer einsamer Wolf. Polizei und Staatsregierung ordnen die Tat noch immer als einen durch Mobbingerfahrung ausgelösten Amoklauf ein und stützen sich dabei auf die Analyse des Profilers Alexander Horn...
Ich halte seine Einordnung für nicht zeitgemäß. Deutsche Ermittler haben den Tätertypus des rechtsextremistischen einsamen Wolfs noch zu wenig auf dem Schirm – im Gegensatz zu den USA. Auch Innenminister Joachim Herrmann bezeichnete David S. als Amokläufer, da S. nicht Mitglied einer rechtsextremistischen Partei oder Organisation gewesen sei. Dass Terroristen derartig eingebunden sein müssen, ist ein nicht mehr zeitgemäßes Verständnis. Keiner zweifelt an einer rechtsextremen Gesinnung von S., dennoch werden die Morde als unpolitisch abgetan.
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Warum ist es so wichtig, die Tat neu zu bewerten?
Einsamer-Wolf-Attacken können genauso gefährlich sein wie solche einer weit verzweigten Terrororganisation. Es ist leider wahrscheinlich, dass wir diesen Typus noch häufiger sehen werden – wie die aktuellen Enthüllungen belegen. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass von 2000 bis 2014 solche Täter für 72 Anschlagsversuche in Europa verantwortlich waren. Um solche Taten verhindern zu können, muss die Polizei die Täter erkennen und präventiv in Foren, wo die Radikalisierung stattfindet, nach ihnen suchen sowie Kontakt zu ihnen aufnehmen. Die Morde am OEZ müssen in der Kriminalstatistik und im Verfassungsschutzbericht als politisch motivierte Taten und unter der Rubrik Rechtsterrorismus erscheinen. Und die Inschrift am Mahnmal muss geändert werden. Es war kein Amoklauf.