Wie ein Verein aus München gegen Einsamkeit im Alter kämpft: " Ein modernes Märchen"
München - Emmi zupft gemächlich Ahornstecklinge aus den Blumenbeeten im Garten hinter der alten Schule an der Schleißheimer Straße, die dort wild aufgehen. Als sie fertig gerupft hat, marschiert sie zur Schaukel im hinteren Teil des Gartens. Dafür ist man nie zu alt, findet sie. Emmi ist 93.
Emmi gehört wie rund zehn andere zu den regelmäßigen Besuchern der Guten Stube. Der gemeinnützige Verein setzt sich gegen Einsamkeit bei Rentnern und "allen, die es werden wollen" ein. In einer ehemaligen Schule am Luitpoldpark ist der Verein ansässig. Es gibt die Stube selbst, einen Bastelraum, eine Schreinerei, einen Garten und etliche andere Räume, in denen gewerkelt, gesportelt oder entspannt werden kann.

Ausgedacht hat sich das Konzept Wahlmünchnerin Steffi. "Wir haben hier keine Nachnamen", erklärt sie gleich zu Anfang. Das baue Distanz ab, ganz persönlich soll es hier zugehen.
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Sie selbst lebt in der Nähe der Schleißheimer Straße in einem Wohnblock. "Bei vielen älteren Menschen im Haus, die alleine sind, habe ich gesehen, wie sie immer mehr abbauen, eben weil sie alleine sind. Ich dachte mir irgendwann: In 20 Jahren bin ich das", erinnert sie sich. Statt zu grübeln, überlegt sich die Medienschaffende ein Konzept, um Menschen aus der Nachbarschaft zusammenzubringen.
Sie baut einen Fahrradanhänger um, befestigt Klapptische daran, ein Waschbecken, ein Sonnensegel. Damit stellt sie sich ab Mai 2018 jeden Donnerstag in den Luitpoldpark, damit Leute dort gemeinsam Kaffee trinken können. Und tatsächlich, ganz von alleine etabliert sich bald eine kleine Gruppe.

Auf einen geselligen Sommer folgt der Herbst und Steffi muss sich die Frage stellen, wo sie den modifizierten Radlanhänger unterstellen kann. "Ich wusste, dass die Schule ausgezogen war. Ich habe den Verwalter des Anwesens abgepasst und gefragt, ob ich den Anhänger den Winter über unterstellen darf", erzählt sie.
Für das Anhängerprojekt hat sie gleich zu Beginn ein Konzept ausgearbeitet, das sie dem Verwalter vorlegt. "Beim nächsten Treffen meinte er: 'Komm mal mit'. Ich habe versucht, cool zu bleiben." Was dann folgt, ist "ein modernes Märchen", wie Steffi es nennt. Der Verwalter ist von dem Konzept so angetan, dass er dem Verein, den Steffi gegründet hat, das Haus zur Verfügung stellt.
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"Wir haben ein Schloss bekommen und dürfen noch den Glitzer draufblasen", sagt Steffi und freut sich sichtlich immer noch über diesen gigantischen Glücksfall. Gemeinsam mit den Besuchern ihres Radlanhängers renoviert Steffi das Haus soweit, dass es für die Gute Stube nutzbar wird. Weil es kein fließend Wasser gibt, werden die Toiletten erstmal mit Zubern gespült.

Nach und nach schafft sich der Verein so seinen ganz persönlichen Ort. "Wir sind wie Familie", findet Regina, die fast täglich mit ihrem Rollator kommt, "ich habe hier das Häkeln wieder gelernt. Ich dachte, mit meiner Arthrose geht das gar nimmer." Weniger in der Stube, dafür umso mehr in der Schreinerei treffen sich Klaus und Michael. Wenn im Haus Schreinerarbeiten anfallen, sind sie bereit.
Niemand muss hier arbeiten, aber die Idee von Steffi ist ganz klar, den Menschen auch Aufgaben zu geben, um sich nützlich zu fühlen. Die gebastelte Osterdekoration wird deshalb auch gleich ins Fenster gehängt, wenn sie fertig ist. Jeder soll machen, was er oder sie gut kann und wobei er Freude hat. So kümmert sich Traudl ganz liebevoll um den Garten oder Elisabeth näht einen neuen Vorhang für den Paravent für den neuen Meditationsraum. Wieder andere bringen immer wieder Kuchen mit.

Zwölf bis 20 Menschen treffen sich regelmäßig in der Guten Stube. Bei Aktionen wie dem Sommerfest oder dem Weihnachtsmarkt können es leicht 40 Leute werden. "Unser jüngstes Mitglied ist eins", sagt Steffi. Der Großteil ist im Rentenalter; über ein paar mehr Junge würde sich nicht nur Steffi freuen. "Ein paar junge Burschen wären nicht verkehrt", scherzt die 93-jährige Emmi.
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Kommen kann jeder, der mag - Alter egal. "Das Wichtigste ist, dass derjenige zu uns passt", findet Angelika, die immer mit Hund Socke kommt. Bedingung ist, dass die Leute in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und nicht auf Hilfe angewiesen sind, erklärt Klarissa (28). Sie hat eine Halbtagsstelle in der Guten Stube inne. Neben Steffi arbeitet auch noch Marcus Vollzeit mit. Er ist fürs Finanzielle und das Ehrenamt zuständig, wie er sagt. Beim AZ-Besuch reibt er gerade Käse fürs Abendessen.
Was für alle hier zählt, ist die Gemeinschaft. Wer dazukommen mag, klingelt an der Haustür. So wisse man, wer da ist, und keiner müsse alleine bleiben, wenn er das nicht möchte. "Wir sind eine Mischung aus Golden Girls und Hobbythek", sagt Steffi.
Sie ist keine, die sich Sorgen macht, sondern genießt, was sie gemeinsam geschaffen haben. Doch bei allem Glück muss sie sich freilich auch Gedanken über Geld machen. "Wir sind zu 100 Prozent aus Spenden finanziert", sagt Steffi stolz. Aktuell sind die Heizkosten noch nicht komplett gedeckt, aber "darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn es so weit ist".
Derweil steht erstmal Ostern vor der Tür. Dazu haben sich die Macher der Guten Stube eine Schokohasenjagd ausgedacht. Am Ostersonntag kann jeder zur Guten Stube kommen und an der Rallye teilnehmen. Denn Steffi findet: Für einen Schokohasen ist man nie zu alt. Genauso wenig wie für den selbst gemachten Eierlikör.
Die Gute Stube e.V., Schleißheimer Str. 278, geöffnet immer mittwochs bis Freitag von 14 bis 20 Uhr und Samstag, 12 bis 20 Uhr sowie an allen Feiertagen. Die Osterhasenjagd findet am 31. März von 14 bis 18 Uhr statt. Wer spenden möchte, kann das unter Sparkasse München Starnberg Ebersberg, IBAN DE33 7025 0150 0029 0863 60
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