Corona sei Dank: München gehen die Radl aus
München - Wer dieser Tage versucht, mit einem Fahrradhändler zu telefonieren, wird einige Anläufe brauchen. "Mir brennt der Hut hinter mir", sagt eine Mitarbeiterin der Münchner Ladenkette Munix Finest Bicycles: Offenbar alle wollen aufs Radl, und gleichzeitig werden Lieferteile knapp. Grund für beides ist - Überraschung! - die Pandemie.
Je lauter die Klimadebatte, desto mehr richteten sich die Augen aufs Radl. "Verkehrsbelastung, man steht im Stau, Luftverschmutzung", zählt Paul Kefer, Inhaber von Munix Finest Bicycles, weitere Gründe für den Fahrradhype auf. "Der Haupttreiber ist die urbane Mobilität, die sich zunehmend umstellt."
Die Nachfrage ist gestiegen, aber das Angebot nicht
Corona aber hat dem Fahrzeug einen neuen Schub verliehen. "Letztes Jahr hat keiner mehr Lust gehabt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren", sagt Kefers Mitarbeiterin.
Kitas hatten zu - Kinder wollten beschäftigt werden, Fitnessstudios schlossen - Erwachsene wollten sportlich bleiben. Die Nachfrage nach Rädern stieg. Aber das Angebot nicht.
Wer sich ein ganz bestimmtes Fahrradmodell in einer bestimmten Rahmengröße und Farbe wünscht, wird heuer mitunter Schwierigkeiten haben, dieses in kurzer Zeit zu bekommen. Und wer seinen Drahtesel aus dem Keller holt und ihn reparieren lassen will, wird ebenfalls staunen: Manche Ersatzteile sind schwer zu bekommen.
"Bremsscheiben, Bremsbeläge, Zahnketten", zählt Kefer auf, was alles knapp wird, "Schläuche teilweise auch." Ein Grund dafür: Corona-bedingte Einschränkungen im Handel.
"Die Leute kaufen, als gäbe es kein Morgen mehr"
Lockdowns hätten die Produktion und Verschiffung von Lieferteilen in Asien erschwert, sagt eine Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).
Diese Schwierigkeiten hätten sich mittlerweile zwar vielerorts wieder gelegt, so die Sprecherin des ADFC. "Aber dadurch, dass die Nachfrage nach Fahrrädern weltweit so gestiegen ist, kommen sie gar nicht nach mit der Produktion."
Schon 2020 verkauften sich in Deutschland laut Zweirad-Industrie-Verband mehr als fünf Millionen Fahrräder - und damit rund 17 Prozent mehr als 2019.
Auch im Fahrradladen Gegenwind in Sendling ist das spürbar. "Die Leute kaufen, als gäbe es kein Morgen mehr", sagt Inhaber Michael Samer. Und wegen der Lieferengpässe sei er nun, mitten in der Hauptsaison, zusätzlich mit vielen administrativen Aufgaben beschäftigt. Andere Ladenbesitzer berichten Ähnliches und legen schnell auf, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen.

Generell sei in seinem Laden alles machbar, sagt Samer von Gegenwind. Bloß sei mancher Kundenwunsch mit längeren Wartezeiten verbunden. "Überall muss man Geduld haben", sagt er. Manche brächten diese Geduld allerdings nicht auf. "Das ist schade."
Teils Wartezeiten bis 2023
Auch bei Munix Finest Bicycles hat man schon verschiedene Reaktionen der Kundschaft erlebt. Manche würden sich ein neues Rad aussuchen, wenn es ein gewünschtes Modell nicht gebe, sagt Kefer. Andere würden geduldig warten: "Und es gibt Kunden, die telefonieren in ganz Deutschland jeden Fahrradhändler ab, bis sie eventuell doch finden, was sie suchen."

Für spezielle Fahrradmodelle, sagt Kefer, gebe es Wartezeiten bis 2023. "Aber wenn man nicht ganz genau festgelegt ist, findet man in der Regel noch ein paar Sachen." Seine Prognosen für den Rest des Jahres stehen allerdings nicht gut.
"Bisher haben wir es noch geschafft, jedes Fahrrad zu reparieren und auf die Straße zu bringen - aber es könnte durchaus sein, dass es im weiteren Verlauf des Jahres nicht mehr reicht", sagt der Geschäftsführer von Munix Finest Bicycles.
Er geht davon aus: "Der ganz große Engpass kommt erst noch." Damit dürften wohl auch die Fahrradpreise weiter steigen.
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