Corona-Alltag einer Bundestagsabgeordneten: "Ich will kein Spreader werden"
Ich pendele mit dem ICE. Im ersten Lockdown waren die Züge richtig leer, da musste man keinerlei Sorge haben, zum Teil saß ich da ganz allein im Waggon. Das ist nicht mehr so, es ist wirklich ein Riesen-Unterschied. Die Züge waren zuletzt ganz schön voll, vor und hinter einem sitzt eigentlich immer wer. Das fühlt sich schon ein bisschen komisch an, ich hätte mir gewünscht, dass mehr Züge fahren. An die Maskenpflicht halten sich die allermeisten Leute in den ICEs.
Durch Corona-Pandemie fehlt direkter Kontakt zum Wahlkreis
Das Blödeste ist, dass das Wahlkreisbüro wieder zu ist. Da fehlt der direkte Kontakt, auch zu Stadtteileinrichtungen, sozialen Trägern, Gewerkschaften, das ist alles stark eingeschränkt. Ich habe mich bemüht, zu Ansprechpartnerinnen aus verschiedenen Branchen Kontakt zu halten, zu telefonieren, Videocalls zu machen. Ich brauche ja die Infos, um zu wissen, wo der Schuh drückt, wie es den Leuten geht. Und damit die auch wissen, dass die Politik für sie ansprechbar ist.
Mit Institutionen klappt das insgesamt dann doch ganz gut, ich weiß ja, wie ich eine Gewerkschaftssekretärin erreichen kann oder soziale Träger. Aber bei Kulturschaffenden und Gastronomen wird alles schwieriger, die ersten verschwinden, die Leute sind durch die Lage sehr in Bedrängnis. Man merkt, dass es ein unglaubliches Anwachsen von persönlichen Briefen gibt. Es wird viel geschrieben zum Infektionsschutzgesetz, aber auch zu sozialen Anliegen. Ich bemühe mich, die Sachen alle zu beantworten, aber teils dauert es Wochen, weil es so viel ist zur Zeit. Wir antworten immer, dass wir für Maske und Abstand sind, aber gegen soziale Spaltung.
In Bundestag werden Entscheidungen viel zeitnaher getroffen
Kulturbranche, Gastro, Musikerinnen und Musiker und von Eltern und Lehrerinnen und Lehrern gibt es auch viele Schreiben. Das gab es schon immer, aber jetzt ist es viel mehr geworden. In Berlin im Bundestag hat sich vor allem geändert, dass Entscheidungen viel zeitnaher getroffen werden. Das heißt, es gibt oft wenig Vorlaufszeit. Wir haben uns ja früher teils Wochen und Monate damit beschäftigt, wenn Gesetze ins Parlament gekommen sind.

Nicole Gohlke: Es gibt mehr Druck auf Abgeordnete
Das ist jetzt ein ganz anderer Takt, es geht alles viel schneller - zumindest bei den Dingen, die zeitnah zu entscheiden sind. Das heißt, man muss schneller sein mit seinen Einschätzungen, in der Kritik, in dem, was man fordert, aber auch im Beobachten davon, was die Entscheidungen der Regierung eigentlich so mit sich bringen. Jeder Monat, der ins Land zieht mit Einkommenseinbußen bei den Leuten, zählt. Das macht einen anderen Druck für uns Abgeordnete, schneller zu arbeiten und zu reagieren.
Der Einzug der AfD in den Bundestag hat dort ja ohnehin viel an Stimmung verändert, aber das hat sich in der Pandemie schon noch einmal zugespitzt. Weil der Hass durch die AfD spürbarer geworden ist und die Einschüchterungsversuche nah kommen. Von Rechts wird ein heftiger Druck auf die Abgeordneten ausgeübt.

"In den Städten war zu sehen, dass der leichte Lockdown nicht wirkt"
Was mir draußen in den Städten auffällt, wie sich die Berliner und Münchner in der Pandemie verhalten? Das kann ich nur schwer sagen, ich versuche in Berlin extrem, meine Kontakte einzuschränken. In Berlin bewege ich mich derzeit ausschließlich zwischen meiner Wohnung in Neukölln und dem Bundestag. Ich will nicht zum Spreader werden, weil ich immer durch diese zwei Hotspot-Städte pendele. Und deswegen schränke ich mich sehr ein und kann zu Berlin gar nicht so viel sagen.
Neukölln war ja auch Hotspot und ich habe schon, wenn ich zur U-Bahn gegangen bin oder so durch die Straßen, immer gemerkt, dass immer noch ziemlich viel los ist. Mich hat die Erfahrung in beiden Städten dazu gebracht, den Teil-Lockdown als ineffizient zu sehen. Auf den Straßen war immer noch sehr viel los. Der härtere Lockdown hat das jetzt wieder verändert.
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