"Coming Home Soon" in München: Projekt über vergessene Hamas-Geiseln
München - Aviv Atzili (49) – gestorben. Noam Avigdori (12) – nach Hause zurückgekehrt. Liri Albag (18) – noch immer in Geiselhaft. Die tannengrünen, himmelblauen und feuerroten Bücher auf den weiß gedeckten Tischen im Saal der ehemaligen Karmaeliterkirche erzählen ihre Geschichten: Aviv war ein Künstler, der Skulpturen aus Metall baute. Noam geht gerne mit Hunden Gassi. Liri hat bis zum 7. Oktober jeden Tag in ihr Tagebuch geschrieben. Ihre Mutter setzt diese Tradition fort.

Projekt "Coming Home Soon" in München: Das macht meinen Sohn lebendiger"
Die niederländische-israelisiche Künstlerin Inbar Hasson weiß um diese "Kraft des Wortes". Wie es helfen kann, Geschehenes zu verarbeiten. Deshalb hat sie das Kunstprojekt "Coming Home Soon" kreiert: Für jede Geisel ein Buch, in dem ihre persönliche Geschichte festgehalten wird - mit Platz für Nachrichten und Bilder an den Gefangenen und seine Familie.
"Menschen, die in eines der Bücher schreiben, bekommen ein Gefühl von: 'Ich kenne ihn! Ich kenne sie!' Durch den Akt des Schreibens baut sich eine Verbindung zu diesem Menschen auf", sagt Hasson im Gespräch mit der AZ. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern hat ihre Ausstellung in Amsterdam nach Bayern gebracht. Eine Woche lang können die Menschen in München ihre Solidarität zum Ausdruck bringen oder Trost spenden.

"Das macht ihn lebendiger, präsenter", sagt Viki Cohen der AZ. Sie ist die Mutter von Nimrod (19), der noch immer in Geiselhaft steckt. Sie weiß von der Gefangenschaft ihres Sohns durch einen von der Hamas veröffentlichten Film. In diesem Video ist er noch lebendig. "Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass er noch lebt", sagt Cohen. Ihr Blick ist voller Zuversicht. "Er wird sich freuen, wenn er zurückkommt, was so viele Menschen ihm geschrieben haben." Weiter sagt sie: "Ich vermisse es, seine Stimme zu hören, ihn pfeifen zu hören, seine auf dem Boden verstreuten Kleider." Cohen weiß bis auf dieses Video nichts von ihrem Sohn seit dem Überfall.
Vielen Angehörigen ergeht es so. Von den geschätzt 240 Geiseln sollen sich noch immer 130 in der Gefangenschaft der Hamas befinden. Einige wurden freigelassen – auf ihren Büchern prangt ein blaues Emblem mit den Worten "Welcome Home" (Deutsch: "Willkommen zuhause). Von einigen anderen wurde der Tod inzwischen bestätigt – auf ihren Büchern steht auf schwarzem Hintergrund: "Forever remembered. Forever in our heart" (Deutsch: "Für immer in unseren Gedanken. Für immer in unserem Herzen").
Die Angehörigen wollen für die Hamas-Geiseln aus Israel "kämpfen, bis alle zurück sind"
Auch auf dem Buchcover von Oz Daniel (19) ist dieser Gedenkspruch abgedruckt. Seine Mutter Meirav hatte lange nur ein Lebenszeichen – ebenfalls ein Video, das am 7. Oktober aufgenommen worden war. Dann hatte sie 142 Tage lang nichts gehört, ehe sie erfuhr, dass Oz bereits am Tag des Überfalls getötet worden war. Er war Soldat an der Grenze zu Gaza, um "sein Zuhause zu beschützen". Und hatte sich bei der Geiselnahme widersetzt. Daniels Stimme zittert, als sie davon erzählt. Seine Leidenschaft war die Musik. Guns N' Roses mochte er am liebsten. Sie will, dass die Geiseln nicht vergessen werden.
Künstlerin Hasson möchte mit ihrer Ausstellung genau das erreichen. Sie betont, dass nicht nur Soldaten, sondern auch Kinder, Alte, Zivilisten entführt wurden. Nicht nur Juden, sondern auch Christen und Muslime sind unter den Geiseln. Zu schnell seien ihre Schicksale in den Hintergrund gerückt. Für Viki Cohen, Mutter von Nimrod, sollte das Hauptziel aller Verhandlungen sein, zunächst die Geiseln zu befreien. "Das sind Unschuldige, die nichts mit Politik zu tun haben!" Auch Meirav Daniel, die Mutter von Oz, fordert: "Wir müssen weiter für die Geiseln kämpfen, bis alle zurück sind."
Veranstaltungshinweis: Die Ausstellung ist bis zum 18. April kostenlos von 11 bis 18 Uhr zugänglich in der ehemaligen Karmeliterkirche in München. Weitere Infos: www.cominghomesoon.online