Interview

Giovanni di Lorenzo in der AZ über die Lichtermeer-Demo: "Alte und neue Bewunderung für die Münchner"

Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo organisierte 1992 die größte Demo der Nachkriegszeit mit: die Lichterkette. Dieses Wochenende wird sie wiederbelebt. Die AZ hat ihn gefragt, was ist heute anders? Und wie mobilisierte er damals die Massen - ganz ohne Social Media?
von  Christina Hertel
Giovanni di Lorenzo ist Chefredakeur der Zeit. 1992 organisierte er die Lichterkette - die größte Demonstration der Nachkriegszeit.
Giovanni di Lorenzo ist Chefredakeur der Zeit. 1992 organisierte er die Lichterkette - die größte Demonstration der Nachkriegszeit. © dpa

München - Giovanni di Lorenzo ist Chefredakteur der Wochenzeitung die Zeit, er ist Moderator - und er ist auch: der Organisator der größten Demo der Nachkriegszeit in München: der Lichterkette von 1992. Im Interview mit der AZ spricht er darüber, was heute anders ist als damals und wie er die Massen mobilisierte - ganz ohne Social Media.

AZ: Am Sonntag findet in München eine Lichtermeer-Demo statt, die von Ihrer Lichterkette inspiriert ist. Macht Sie das stolz?
GIOVANNI DI LORENZO:
Stolz ist angesichts dieser bedrohlichen Zeiten das falsche Wort. Aber ich schaue in alter und neuer Bewunderung und Dankbarkeit auf die Münchnerinnen und Münchner, die schon vor 32 Jahren ein Zeichen gesetzt haben, das niemand erwartet hatte.

Wie meinen Sie das?
Das Bild von München war damals nicht gerade von Massenprotesten gegen rechts geprägt. Daher wurden wir vom riesigen Andrang absolut überrascht - wir hätten nie gedacht, dass Hunderttausende kommen würden. Wir wollten eine Demonstration initiieren für Menschen, die vielleicht noch nie zuvor auf einer Demo waren. Völlig größenwahnsinnig hatten wir beim Kreisverwaltungsreferat und bei der Polizei 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angekündigt. Die Behörden haben nur milde gelächelt. Doch dann waren es so viele, dass selbst die Polizei sie kaum mehr zählen konnte.

Wie hier am Friedesengel demonstrierten 1992 Hunderttausende Münchner mit Kerzen gegen Rassismus.
Wie hier am Friedesengel demonstrierten 1992 Hunderttausende Münchner mit Kerzen gegen Rassismus. © spa, Archiv/imago

 

Zu der letzten großen Demo gegen rechts in München kamen auch so viele, dass sie abgebrochen werden musste. Was ist heute denn anders als 1992?
Zunächst einmal sehe ich Parallelen: Nämlich, dass es aus der Mitte der Gesellschaft eine Antwort gibt - und das in einer Situation, in der sich viele fragen: Ist der Aufstieg der Rechten noch zu stoppen? Wir hatten damals auch Zweifel, ob diese Extremisten, die "Ausländer raus!" rufen und Molotowcocktails auf Asylbewerberheime werfen, ob die vielleicht doch so etwas wie die Avantgarde der schweigenden Mehrheit sind. Dann wurde durch die imposante Menschenmenge bei der ersten Lichterkette sehr klar: Die Mehrheit steht ganz woanders.

Asylbewerberheime brennen momentan nicht ständig. Sind heute die Zeiten trotzdem ähnlich gefährlich wie damals?
Damals gab es eine akute Bedrohung. Und es herrschten Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Apathie in der Politik. Darauf haben Bürgerinnen und Bürger reagiert - und tun es nun wieder. Und es ist wichtig, dass dieser Protest aus der Mitte der Gesellschaft kommt, dass die Organisatoren eben nicht Parteien oder Verbände, sondern einfach engagierte Bürger sind. Meine Freunde und ich sind damals von Geschäft zu Geschäft gezogen und haben gefragt, ob wir unsere Plakate aufhängen dürfen. Social Media gab es noch nicht. Die Geschäftsinhaber fragten: Wer steht denn hinter euch? Darauf haben wir sehr schüchtern geantwortet: niemand. Die meisten fanden das gut: Dann könnt ihr euer Plakat aufhängen.

Nach der Demo gegen rechts war die Aufregung groß, weil auf der Bühne nicht nur die AfD, sondern auch die Ampel kritisiert wurde. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Wir haben damals auf Redebeiträge komplett verzichtet. Wir hatten nur zwei Zeichen: die Kerze gegen Molotowcocktails und das Schweigen gegen das Grölen der extremistischen Gruppen. Ich war vor drei Wochen in München nicht dabei und bin daher nicht in der Lage, ganz genau zu beurteilen, was auf der Bühne stattgefunden hat. Ich finde aber, niemand sollte den aktuellen Protest politisch zu instrumentalisieren versuchen. Das würde diese so wichtigen Demonstrationen nur schwächen.

"Jede Generation muss über ihre Mittel entscheiden"

Funktionieren die Zeichen von damals heute immer noch?
Über ihre Mittel muss jede Generation, die solch einen Protest organisiert, selbst entscheiden.

Wie klug ist es denn, wenn heute bei Demos die Massen so etwas rufen wie "Ganz München hasst die AfD"?
Ich weiß eben nicht, ob das die Position von ganz München ist. Abgesehen davon: Hass sollte man nicht mit Hass bekämpfen.

Wie lassen sich AfD-Wähler dann umstimmen - wenn Aggression nicht hilft?
Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beantworten - das muss die Politik leisten. Es ist für unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt immens wichtig, dass in diesem Land eine Politik gemacht wird, die die Mehrheit versteht und unterstützt - und die nicht dazu führt, dass die AfD bei über 20 Prozent in den Meinungsumfragen steht.

Würden Sie bei dem Lichtermeer wieder mitlaufen?
Als Bürger wäre ich mit Sicherheit dabei. Als Journalist halte ich mich zurück: Ich glaube, dass es gut ist, wenn Medien berichten und nicht als Aktivisten auftreten.

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