Berufswechsel: Diese Münchner haben ihr Leben umgekrempelt - Drei spektakuläre Erfahrungsberichte
Wochenende, fünf Tage Arbeit liegen hinter einem, vielleicht auch fünf Tage Frust und Stress? Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2018 sind etwa elf Prozent der Deutschen in ihrem Beruf nicht zufrieden.
Früher blieben die meisten trotzdem bis zur Rente in einem unglücklichen Job. Heute sei das anders, sagt Michael Ziegelmayer vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Der Arbeitsmarkt habe sich völlig verändert, für viele sei es normal, dass die Arbeit sich immer wieder verändert. "Eigentlich ist das gut, denn dass man ein Erwerbsleben lang denselben Job macht, ist in der Psyche nicht angelegt."
Doch wann ist der Zeitpunkt, um tatsächlich ein neues Berufsleben in Betracht zu ziehen? Der Sozialpsychologe Peter Fischer rät: Wer im Job über sechs Monate lang mehr negative als positive Gefühle hat, sollte darüber nachdenken, die Stelle zu wechseln. In der AZ erzählen drei Menschen, wie sie den Umstieg geschafft haben und wie es ihnen damit geht.

"Ich habe meine Berufung gefunden"
Die Hundetrainerin Rita Kampmann macht ihre Leidenschaft zum Beruf
Ich habe viele Titel eingesammelt und dann das Allerbeste daraus gemacht", sagt Rita Kampmann. Die heute 50-Jährige war erfolgreiche Eventmanagerin. Doch ihre berufliche Erfüllung fand sie woanders – als Hundetrainerin.
Schon mit 13 Jahren hilft die in Nordrhein-Westfalen geborene Frau im örtlichen Tierheim aus und merkt schnell, dass sie eine ganz besondere Verbindung zu den Vierbeinern hat: "Ich konnte vor allem gut mit den schwierigen Hunden umgehen." Der Rottweiler-Labrador-Mischling Hasso hat es der jungen Kampmann besonders angetan.
"Kind, mach was Anständiges", sagen die Eltern
Vom schwervermittelbaren Hund kann sie einiges lernen. Das Wissen, das sie sich in dieser Zeit aneignet, kommt jedoch nicht aus Büchern: "Ich habe ein gutes Bauchgefühl, was Hunde angeht." In der Mietwohnung darf die Familie keine Hunde halten und die Devise der Eltern lautet: "Kind, mach was Anständiges." Im väterlichen Betrieb macht Kampmann deshalb eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau und beginnt dann ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Kultur, Medien und Freizeit. Für ein Praktikum in einer Eventagentur kommt sie nach München – und ist bis heute geblieben. Ihr Organisationstalent und die Fähigkeit, den Überblick zu behalten, verhelfen Rita Kampmann zu einem schnellen Aufstieg: "Ich war ein Allrounder. Selbst hochschwanger bin ich mit Walky-Talky durch die Hallen gerannt."
Unter anderem organisiert sie große Konzertveranstaltung wie "The Dome", Messen und Firmenevents. Viele Jahre bleibt sie der Veranstaltungsbranche treu, bis sie merkt, dass etwas fehlt: "Ich hatte immer Ideen und fühlte mich als Angestellte gefesselt in meiner Kreativität."
An eine Hundeschule hat sie bis dahin nicht gedacht: "Mir war nicht klar, dass das ein Beruf ist." Erst als sie eine Freundin und ihren Hund auf den Hundeplatz begleitet, erwacht die alte Leidenschaft wieder.
Regelmäßig hilft sie dort aus und ist schnell beliebt bei Hund und Halter. Ihren Beruf gibt sie in dieser Zeit noch nicht auf, lässt sich aber parallel zur Hundetrainerin und Tierpsychologin ausbilden. 2006 wagt sie dann den Schritt in die Selbstständigkeit. Rita Kampmann ist zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt und alleinerziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter.
So kam es zur Gründung der Schule "Freunde am Hund"
Mit einer Bekannten gründet sie die Hundeschule "Freude am Hund" und muss gleich zu Beginn die erste Hürde überwinden: Sie hat das Bein gebrochen und darf wochenlang nicht auftreten. Sie nutzt die Zeit sinnvoll und gestaltet ihre Internetseite. Nach der Genesung geht es richtig los und es läuft gut: Die Lage im Olympiapark ist zentral, der Bedarf nach Hundeschulen groß und das gewaltfreie Training wirksam.
Schnell macht sich "Freude am Hund" einen Namen und ist heute die größte Hundeschule Münchens. Gleichzeitig bildet Kampmann angehende Hundetrainer aus, hält Vorträge im Ausland und ist im Tierschutz aktiv.
Sie ist eine glückliche Selbstständige, rät jedoch genau zu planen: "Man muss sich seine Nische suchen; sich selbst prüfen. Wer das Risiko richtig einschätzt, den Mut hat, Durststrecken zu überstehen und sich der Verantwortung bewusst ist, kann erfolgreich sein." Einen finanziellen Rückhalt sollte es geben. Kampmann hat geerbt und das Geld in ihre Berufung investiert. Heute ist die Hundeschule lukrativ genug, um auch etwas abzugeben. Rita Kampmann unterstützt unter anderem das Tierheim oder den Verein "RespekTiere". Die Hundetrainerin ist fest davon überzeugt: "Wenn man Geld verdient, sollte man auch abgeben. Wenn dich das Leben belohnt, lass andere daran teilhaben."

"Ich musste mich früher nie bewerben"
Jahrelang geht es für Karl Baumgartner (52) beruflich bergauf. Dann muss er durch ein tiefes Tal. An dessen Ende steht eine eigene Tagesbar
Der Diplompädagoge Karl Baumgartner ist eigentlich ein berufliches Multitalent, wenn es um Kommunikation geht: Hörfunk-Journalist, Pädagoge. PR- und Marketing-Experte, Event-Manager – häufig in leitender Position. "Ich konnte mir nie vorstellen, dass ich mal arbeitslos sein würde", sagt Baumgartner über sein persönliches Tief Anfang des Jahrzehnts. Am Ende meinte es das Schicksal wieder gut mit ihm. Doch der Reihe nach.
Baumgartner studierte zunächst Anfang der 90er Jahre in Regensburg, seiner Heimatstadt. "Mein Vater hatte dort eine Metzgerei", sagt Baumgartner, "und meine ganze Verwandtschaft hatte mit der Gastronomie zu tun. Viele hatten ein Hotel oder ein Lokal." Also hatte Baumgartner schon früh einen ganz natürlichen Kontakt zu Lebensmitteln und zum Thema Kochen. Dass er gut kochen konnte, wusste er.
Aber das sollte erst viel später wichtig werden. So ganz unwichtig war seine Kochkunst zu seiner Studienzeit trotzdem nicht: "Ich glaube, ich habe mich damals ins Herz meiner Partnerin gekocht", sagt Baumgartner über seine heutige Ehefrau. Bei den ersten Begegnungen machte er ihr ein Gratin und später ein Steak.
Was nach dem Studium beruflich passierte, hatte mit Baumgartners heutigem Job zunächst gar nichts zu tun. Es war eine solide Karriere, weit entfernt von der Kulinarik. Nachdem er mit seiner Frau wegen deren Job beim Fernsehen nach München zog, wurde er Redakteur bei Radio Arabella, Verantwortlicher für das Messe-Radio, PR-Manager, Event-Manager bei Premiere und kam wieder zurück zu Messe München als Geschäftsführer im PR-Management mit 15 Mitarbeitern. "Ich musste mich nie bewerben", sagt Baumgartner. Stets wurde er angeworben.
Probleme bei der Jobsuche: "Überqualifiziert und zu teuer!"
Dann der Bruch im Jahr 2011, als die Geschäftsbereiche neu strukturiert wurden, weil ein neuer Chef bei der Messe München alles auf Links drehte. "Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mich bewerben – bei meinem eigenen Arbeitgeber!", sagt Baumgartner bis heute fassungslos. Denn so wollte es der neue Boss. "Das war ziemlich demütigend", sagt Baumgartner.
Am Ende blieb ihm fast nichts anderes übrig, als sich abfinden zu lassen. Baumgartner war zum ersten Mal ungewollt arbeitslos. Er bewarb sich fleißig. Ihm wurde aber ständig abgesagt. "Ich glaube, ich war vielen Arbeitgebern zu überqualifiziert und zu teuer", sagt Baumgartner. Es waren Monate der schlechten Laune. "Das war mir damals alles schon sehr unangenehm", sagt Baumgartner.
Bei einem Familienausflug zur Wasserski-Anlage in Aschheim kam die zündende Idee von einem Freund der Familie. "Du kochst doch so gut, das sagt doch jeder in deinem Freundeskreis! Warum machst du nicht dein eigenes Lokal auf?", sagte der Allianz-Manager. "Meine erste Reaktion war: Jaja, klar, wer nix wird, wird Wirt", sagt Baumgartner, den der Gedanke aber trotzdem nicht mehr losließ, weil er so plausibel klang.
Dann entwickelte sich aber alles sehr schnell. Er schaute sich in aller Ruhe nach einem geeigneten Lokal um. In der Ismaninger Straße 116 wurde er fündig. Die Vorbesitzerin wollte die 25-Quadratmeter-Bar aufgeben. "Sie war so sinnvoll eingerichtet", sagt Baumgartner, der bis heute nichts an der Anordnung geändert hat.
Bei der Eröffnung im Dezember 2012 zitterten Baumgartner die Knie. "Ich wusste überhaupt nicht, was da auf mich zukommt." Ihm stellten sich so viele Fragen: Wer würde kommen, was würden sie essen und trinken wollen, wie würden sie sein Essen finden? Baumgartner hatte zuvor mithilfe einer Freundin Werbung gemacht.
Dann die Überraschung in der 20-Personen-Bar: "Der Laden war gerappelt voll. Und nach einer halben Stunde war das Gratin ausverkauft!", sagt Baumgartner. Einige der ersten Gäste kommen bis heute. Im beruflichen Unglück fand er sein Glück: "Ich werde den Job machen, so lange mein Körper mitmacht."

Von der Politik- Redakteurin zur Krankenpflegerin
Anja Timmermann lernte einen neuen Beruf. Heute sagt sie: "Ich habe Lebensqualität gewonnen"
Sie war 25 Jahre Journalistin, davon zwölf Jahre in leitender Position: Anja Timmermann, einst Politik-Chefin der Abendzeitung, hat mit Mitte 40 noch einmal ganz von vorne angefangen und einen neuen Beruf erlernt: Heute arbeitet sie in der Unfallklinik Murnau als Gesundheits- und Krankenpflegerin. "Auch wenn ich heute nur noch etwa die Hälfte verdiene, im Vergleich zu früher, war der Berufswechsel für mich absolut die richtige Entscheidung", sagt sie.
Krankenpflegerin: "Der Beruf ist anspruchsvoll, das Gehalt unterirdisch"
Anja Timmermann war eine Vollblut-Journalistin. Sie interviewte Politiker für die Abendzeitung, schrieb Kommentare, verfasste und redigierte Artikel, entwickelte neue Konzepte und trug viel Verantwortung.
Als die AZ vor fünf Jahren Insolvenz anmelden musste, fragte sich die Redakteurin – wie alle ihre Kollegen – wie es nun für sie weitergehen sollte. Sollte sie durchhalten und hoffen, dass die AZ die Krise übersteht (wie wenig später geschehen)? Sollte sie sich bei anderen Redaktionen bewerben? Zur PR umsatteln oder als Freie arbeiten? Anja Timmermann entschied sich für einen anderen Weg. "Ich war mit großem Herzblut Journalistin, doch richtig gute Stellen werden in dieser Branche leider immer weniger. Ich bin ein Teammensch und ich brauche Sicherheit. Da habe ich mich entschieden, etwas ganz Neues zu machen."

Deshalb wollte Anja Timmermann Krankenpflegerin werden
Eine Freundin war nach dem Abitur Krankenschwester geworden, ein Beruf, der Anja Timmermann damals auch schon gereizt hätte. Sie beschloss, hineinzuschnuppern, machte ein Praktikum in der Unfallklinik Murnau – und war begeistert.
"Es gibt wenige Berufe, wo man den Menschen so nahe kommt. Und dieses Gefühl, dass du gewollt und gebraucht wirst, war – und ist – toll", berichtet sie. "Was mir besonders gefällt: Dass in diesem Beruf Herz und Hirn und Hand gleichermaßen gefordert sind."
Kurz nach dem Praktikum bewarb sie sich um einen Ausbildungsplatz – und bekam auch ihn auf Anhieb. "Klar war mein Alter Thema. Aber die sagten, dass sie sehr gute Erfahrungen mit Bewerbern mittleren Alters gemacht hätten. Denn die wüssten, dass sie das wirklich machen wollen und dann auch durchziehen." Bis zum Ausbildungsbeginn überbrückte Anja Timmermann die Zeit in der Öffentlichkeitsarbeit. Am 1. Oktober 2015 begann sie in der Unfallklinik und durchlief verschiedene Stationen: von der Chirurgie und Psychiatrie bis zur Intensivstation. Drei Jahre später hatte sie ihr Examen in der Tasche – mit sechs Einsen und einer Zwei. Sie bekam mehrere Job-Angebote und den bayerischen Staatspreis für ihren hervorragenden Schnitt noch dazu. Anfang des Jahres begann sie als Krankenpflegerin auf einer Station für Querschnittsgelähmte – ihrer Wunschstation.
Einziger Wermutstropfen ist die schlechte Bezahlung. "Der Pflegeberuf ist wirklich anspruchsvoll, aber das Gehalt ist unterirdisch", kritisiert die frühere Journalistin. "Im Verhältnis zur Verantwortung ist die Bezahlung ein Witz." Wäre sie nicht bereits vor ein paar Jahren von München nach Weilheim gezogen, wüsste sie nicht, ob sie sich den Berufswechsel hätte leisten können. "Aber ich habe keine teuren Hobbys oder andere hohen Ausgaben", sagt sie. Geld spielt für Anja Timmermann insgesamt eine untergeordnete Rolle: "Für mich zählen der Spaß und die Sicherheit. Und dass ich am Ende eines Arbeitstages mit dem Gefühl rausgehe, etwas Sinnvolles getan zu haben."
Dazu kommt: "Wenn ich Dienstschluss habe, habe ich wirklich frei und durch die Schichtdienste kann ich auch tagsüber mal in die Berge oder an den Staffelsee. Das alles bedeutet viel gewonnene Lebensqualität!" Nina Job
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