Beate Zschäpe: Ihr Leben in Stadelheim
Eine Mitgefangene gewährt der AZ Einblicke in das System aus Beziehungen und Bedrohung, das Beate Zschäpe, die Angeklagte im Münchner NSU-Prozess, in Stadelheim aufgebaut hat.
München - Der Auftritt von Ayse Yozgat vor dem Oberlandesgericht war tief bewegend. Mit leisen Worten wandte sie sich im NSU-Prozess an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe: „Ich spreche Sie als Mutter von Halit Yozgat an.“ Der 21-Jährige war 2006 in seinem Kasseler Internet-Café von den rechtsradikalen Mördern erschossen worden. „Warum ist diese Tat geschehen? Befreien Sie mich von diesen Gefühlen, klären Sie mich auf“, flehte die tapfere Frau die mutmaßliche Komplizin der Killer an.“ Doch Zschäpe blieb stumm. Wie immer. Heute, am mittlerweile 44.Verhandlungstag, wird es nicht anders sein.
Renata Wilmers (Name geändert) wundert das nicht: „Wer bei Beate Zschäpe auf Reue hofft, wird enttäuscht werden.“ Wilmers hat die Frau kennen gelernt, die wegen Mittäterschaft an zehn rassistisch-motivierten Morden angeklagt ist. Besser als ihr lieb war. Wegen eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses saß Wilmers mehrere Monate zusammen mit Zschäpe in Trakt 3 AB im dritten Stock der Frauenabteilung von Stadelheim: Beate Zschäpe in Einzelzelle Nr.124, Renata Wilmers daneben.
Sie teilten Duschraum, Küche und Gang, begegneten sich beim einstündigen Hofgang am Vormittag und nachmittags, wenn die Zellen von 14.30 bis 16 Uhr aufgeschlossen werden. Wilmers Anwalt hat der AZ ihren Aufenthalt in der Haftanstalt bestätigt und uns die entsprechenden Dokumente vorgelegt. „Die Nähe zu dieser Person war mir unerträglich“, sagt Wilmers heute über Zschäpe.
Die Taten, die der 38-Jährigen vorgeworfen werden und deren im Gefängnis zur Schau getragene Gleichgültigkeit stoßen sie ab. Deshalb erzählt sie in der AZ exklusiv vom „System Zschäpe“, das diese hinter Gittern aufgebaut hat: ein düsteres Geflecht aus Beziehungen, Bevorzugung, Beeinflussung und Bedrohung. „Andere würden von den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft überrollt. Aber sie gibt sich, als sei sie nicht betroffen von dem, was da verhandelt wird“, sagt Renata Wilmers.
Zschäpe sei überzeugt, dass ihr nichts passieren könne, wenn sie weiterhin schweige. „Sie benimmt sich wie ein fröhliches Schulmädchen auf Klassenfahrt: alles eitel Sonnenschein.“ Ein 38-jähriges Schulmädchen mit Thüringer Dialekt, das seine Zelle mit einem großen roten Papierherz, Postkarten, Fotos und Selbstgebasteltem dekoriert. Das laut Musik hört, sich zum Hofgang Zöpfchen flicht und in pinke Jogginganzüge mit aufgedruckten Figuren schlüpft, um lachend mit den Freundinnen Volleyball zu spielen. Eine grinsende Knast-Prominente, die auf den Stufen am Rand des Sportplatzes Hof hält und jüngeren Insassinnen Autogramme gibt.
Lesen Sie hier: Ein Double für Zschäpe? Gericht prüft Verbindungen nach Dortmund
„Voll krass, Beate, wir haben dich im Fernsehen gesehen.“ Zu Zschäpes „Gefolge“ hätten eine Drogensüchtige, eine notorische Schlägerin und junge Mädchen gehört, „fast alle deutsch, meist blond mit Pferdeschwanz“. Mit ihnen traf sie sich täglich um 11Uhr zum Mittagessen im „Gruppenraum“, während die übrigen Frauen in den Zellen speisten. „Da saßen sie dann und haben über andere gehetzt.“ Oder über Kochrezepte geplaudert. Oder über Handarbeiten. Gerne auch über Thüringen.
Um 11.45 Uhr wurden alle wieder in ihre Zellen gesperrt, um 14.30 Uhr kamen sie erneut zusammen: zum Kaffeetrinken in fröhlicher Runde. „Wüsste man es nicht besser, man würde Beate Zschäpe nicht mit der Mordserie in Verbindung bringen. Ihre naive Lieb-Kind-Fassade ist nahezu perfekt. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass der NSU so lange unentdeckt geblieben ist“, glaubt Renata Wilmers.
<em>Lesen Sie hier: Zielfahnder: Suche nach NSU hatte keine hohe Priorität</em>
Doch die AZ-Informantin hat auch Zschäpes dunkle Seite kennen gelernt. Sie habe gehört, wie eine Frau aus dem „Gefolge“ einer Ausländerin auf dem engen Gang gedroht habe: „Die Beate hat mir versprochen, dass du fertig gemacht wirst.“ Sie ist dabei gewesen, als Zschäpe mit einer ihrer Kumpaninnen über den Prozess sprach und gesagt haben soll: „Der Richter ist ein Schwein, das hab’ ich schon gemerkt. Die wollen jetzt zwei Zeugen vereidigen lassen. Wenn die das tun, kriegen die Zeugen ein Problem. Dafür werde ich sorgen.“
Sie hat mitbekommen, wie Zschäpe an Pfingsten über den katholischen Glauben gelästert habe: „So einen Scheiß glaubt ihr? Ich bin Atheistin und damit lebe ich viel besser.“ Und sie habe gesehen, wie die Rechtsradikale eine Mitgefangene anfuhr: „Dein Gesicht merke ich mir. Das hat Konsequenzen.“ Dabei hatte die andere sich nur darüber lustig gemacht, dass Zschäpe an diesem Tag keine Post bekommen hatte.
Eine Seltenheit, denn sonst erhielt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess bergeweise Briefe, meist privat, oft handgeschrieben. „Das erhöhte Aufkommen an Post für Frau Zschäpe hat die Poststelle derart belastet, dass andere U-Häftlinge oft wochenlang auf ihre Nachrichten warten mussten. Es wird ja jeder Brief von den Beamten gelesen“, sagt Wilmers. „Die Leute haben sich deshalb beschwert.“
Besonderes Aufsehen erregte eine Paket-Lieferung aus der Haftanstalt Köln-Ossendorf, in der Zschäpe bis kurz vor Prozessbeginn eingesessen hatte. „Das waren mindestens sechs Kartons mit privater Kleidung. So viele Klamotten sind sonst niemandem in der gesamten Anstalt erlaubt.“ Untersuchungshäftlinge wie Zschäpe dürften zwar eigene Kleidung tragen, Art und Anzahl der Stücke seien aber vorgeschrieben.
Bei Zschäpe wurde offenbar eine Ausnahme gemacht. „Sie hat sogar einen eigenen Abstellraum für ihre Sachen bekommen, weil die in der Zelle gar keinen Platz hätten.“ Die private Kleiderkammer ist wohl nicht die einzige „Hafterleichterung“, die Zschäpe in Stadelheim widerfährt. „Ich habe gesehen, wie sie im Büro einer Beamtin telefonierte“, erzählt Renata Wilmers. „Das ist eigentlich unmöglich.“ Wer telefonieren wolle, müsse zuerst einen Termin bei einer Sozialarbeiterin machen.
Lesen Sie hier: Mutter von Kasseler NSU-Opfer appelliert an Zschäpe
Eine Mitgefangene, die vom Tod ihrer Mutter erfuhr, habe nicht einmal in dieser Situation vom Büro der Beamtinnen aus ihre Geschwister anrufen dürfen. „Aber bei Beate Zschäpe ging es um Banalitäten. ,Da bin ich jetzt aber froh, dass ich meine Bastelsachen aus Köln bekomme’, hat sie am Apparat gesagt.“ Außerdem, sagt Wilmers, habe sie nie erlebt, dass Zschäpes Zelle durchsucht wurde oder dass die Schließerinnen ihr gegenüber so forsch geworden wären, wie es bei Frauen mit weit geringeren Delikten vorgekommen sei.
Im Gegenteil. „Einige Beamtinnen pflegten einen beinahe freundschaftlichen Umgang mit ihr. Es ist blanker Hohn, zu sagen, diese Frau würde im Gefängnis behandelt wie jede andere. Ich hatte das Gefühl, dass sogar die Beamtinnen teilweise Angst davor haben, Zschäpe dumm zu kommen. Dass auch sie fürchten, dass sie sonst Schaden nehmen könnten.“ Nicht nur sie sei fest davon überzeugt, dass die mutmaßliche Nazi-Mörderin gute Verbindungen „nach draußen“ habe.
Ein Indiz: Die hohen Beträge, die Zschäpe alle zwei Wochen im Gefängnis-Laden ausgibt. Im Prinzip hat jeder Häftling die Möglichkeit, sich von Familienangehörigen oder Freunden über die Landesjustizkasse Geld auf sein „Eigengeldkonto“ überweisen zu lassen, das ihm dann im Gefängnis zur Verfügung steht. Ein Limit für diese Zuweisungen gibt es nicht. Doch meist fallen sie niedrig aus. Anders offenbar bei Zschäpe: „Sie muss jede Menge Geld haben. Sie hat stets für 100 bis 200 Euro eingekauft.“ Haarfärbemittel und Marken-Kosmetik, Zigaretten, Mineralwasser in großen Mengen, Milka-Schokolade, Essiggurken – und einmal 21 Dosen Thunfisch. „Sie stand meist als erste in der Schlange und ihr Einkaufswagen war immer voll.“
Woher stammt dieses Geld? Zu ihrer Mutter hat Zschäpe kaum noch Kontakt, ihre Oma ist schwer krank. Die Drohungen, die Briefe, das viele Geld, die Zurückhaltung der Beamtinnen – all das lässt für Renata Wilmers nur einen Schluss zu: „Beate Zschäpe wird draußen von einem großen Kreis unterstützt und es muss eine direkte Verbindung zu diesen Leuten geben.“ Leute, die einer – laut Anklage – rechtsradikalen Terroristin zur Seite stehen. Leute, deren Skrupellosigkeit der AZ-Informantin Angst machen. Auch deshalb hat sie uns um absolute Anonymität gebeten. Der Leiter der JVA Stadelheim wollte die Schilderungen aus „rechtlichen Gründen“ nicht kommentieren.