Bayerns Tafeln sind am Limit: Ein Besuch im Westend
Westend - Donnerstagmittag, kurz vor halb zwei – immer mehr Menschen tummeln sich vor der Auferstehungskirche im Münchner Westend. Viele mit leeren Kinderwagen und Einkaufstaschen. Allmählich bildet sich eine Schlange, eine junge Dame beginnt, Nummern aufzurufen, die Menschen reihen sich zur wöchentlichen Essensausgabe ein. Dieses Bild zeigt sich einmal die Woche an jeder der 28 Essensausgabestellen der Münchner Tafel.
An diesem Tag werden Lebensmittel von knapp 20 Helfenden für etwa 460 Gäste ausgegeben. Überwiegend ältere Menschen, Kranke, aber auch viele junge Mütter mit Kindern kommen an die Ausgabestelle in der Gollierstraße 55.

Hinter Biertischen stehend, überreichen die Helfenden die Lebensmittel an die Bedürftigen – von frischem Obst und Gemüse bis hin zu Brot und Fleisch ist vieles im Angebot.
Lebensmittelknappheit durch Lieferengpässe
Aber wie lange noch? Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, die hohe Inflation und die horrenden Preissteigerungen treffen auch die Tafeln in Bayern. Die Folge: Ein enormer Anstieg an Tafelgästen in kürzester Zeit, gepaart mit zunehmender Lebensmittelknappheit aufgrund von Lieferengpässen.
Insgesamt stieg die Anzahl der Gäste der Münchner Tafel in kürzester Zeit von 20.000 auf 23.000 Menschen, die hier pro Woche nun mit 130 Tonnen Lebensmitteln versorgt werden. Das ist aber leider bei weitem noch nicht alles, wie Steffen Horak, Pressesprecher der Münchner Tafel, erklärt: "Es gibt in der Stadt München rund 150.000 Menschen, die einen Anspruch darauf hätten, zur Tafel zu kommen." Scham sei der Grund dafür, warum dennoch "nur" 23 000 Menschen wöchentlich zu einer der Ausgabestellen kommen.
Dabei wächst die Zahl armer Menschen. Das bestätigt auch Peter Zilles, Vorsitzender der Tafel Bayern: "Wir haben momentan mit so vielen Krisen zu kämpfen - die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, Lebensmittelknappheit."
Seit März 2022 hätten sich die Gästezahlen verdoppelt, weit über 200.000 Menschen werden in 173 bayerischen Tafeln versorgt. Die Tafeln seien am Limit, auch durch den enormen Zuwachs ukrainischer Flüchtlinge - sie müssen reagieren. Oberstes Gebot ist hier aber: Jeder, der Hilfe braucht, bekommt sie auch, unabhängig davon, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religionsangehörigkeit man habe. "Gleichberechtigung ist unser Credo", sagt Zilles.
Jeder darf nur noch halb so oft kommen
Deswegen seien Aufnahmestopps auch keine Lösung. Die Tafeln würden versuchen, den Ansturm mit einer sogenannten "Frequenzhalbierung" zu regulieren. Das heißt konkret: Damit jeder versorgt werden kann, darf man nur noch halb so oft kommen wie zuvor. "Die Einkaufsfrequenz zu halbieren, ist sicherlich kein Patentrezept für alle Tafeln, zumal ja auch jede Situation unterschiedlich ist." Es sei eine Notlösung.
Bei der Tafel in Nürnberg sei beispielsweise die Zahl der Gäste von 5.500 auf 11.200 angewachsen, gerechnet wird mit einem weiteren Anstieg auf 13 000 Gäste. 90 bis 95 Prozent seien ukrainische Flüchtlinge, aber auch andere Personengruppen würden vermehrt den Weg zur Tafel finden.
Zilles: "Durch die aktuelle Krisensituation kommen auch zunehmend Einheimische in solch eine prekäre Lage. Der Unterschied ist nur, dass viele von ihnen sich nicht trauen, zu uns zu kommen."
In Bezug auf Spenden gebe es nicht überall die gleichen Probleme, manche Tafeln hätten mehr, andere weniger, sagt der bayerische Tafel-Chef. Zilles lobt die finanzielle Unterstützung durch die Politik. Der Dachverband hätte schon einige sehr hohe Spendenbeträge zugesichert bekommen, für das Ende dieses Jahres sei nochmal eine hohe finanzielle Unterstützung vom Freistaat angekündigt worden.
"In Bayern geht es den Tafeln finanziell gesehen schon gut, da sieht es in anderen Bundesländern deutlich schlechter aus."

178 Sponsoren helfen der Münchner Tafel
Bei der Münchner Tafel ist die Lage noch etwas entspannter. Sie gehört als privater Verein nicht dem Dachverband der bayrischen Tafeln an und ist somit auch staatlich unabhängig.
Reduzierte Ausgabezeiten oder akute Lebensmittelknappheit gibt es Sprecher Horak zufolge nicht. Die Tafel habe treue Spenderinnen und Spender, die trotz der Krise weiterhin finanziell Hilfe leisten. Insgesamt 178 Sponsoren helfen mit - egal ob bei Dienstleistungs-, Geld-, Sach- oder Lebensmittelspenden. Hinzu kommen die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.
Und was, wenn die Anzahl der Tafelgäste weiter rasant steigt? "Es gibt immer eine Lösung", sagt Horak. "Dann muss man eben noch mehr telefonieren und nach übriggebliebenen Lebensmitteln fragen, dann müssen wir eben noch längere Strecken zurücklegen."
Ganz so optimistisch blickt die Tafel Bayern nicht in die Zukunft: "Die Zahl an Hilfsbedürftigen steigt, das Lebensmittelangebot sinkt." Sollten die Zahlen weiter steigen, müsse man die Einkaufsfrequenz weiterhin senken. Wie genau es weitergeht, könne derzeit niemand sagen, so Zilles.
Sowohl Horak als auch Zilles ist es wichtig zu betonen: Allein lassen die Tafeln trotz des hohen Andrangs niemanden. Es gelte weiter: Jeder, der Hilfe braucht, bekommt sie auch.
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