AZ-Stadtspaziergänger: Rund um den Ostbahnhof
Haidhausen/Berg am Laim - Ein langer, uralter Eisenzaun entlang der Orleansstraße auf der Seite des Ostbahnhofs. Nicht irgendein Zaun. Es ist ein sehr berühmter. Es ist der Zaun - der "Weiße-Rose-Zaun".
Geht man etwas weiter, stößt man auf eine Tafel mit alten Schwarz-Weiß-Fotos. Man sieht Soldaten in Uniform und dahinter eine lachende, ihre Arme weit ausbreitende Sophie Scholl. Sie verabschiedet ihren Bruder Hans sowie Alexander Schmorell und Willi Graf, die als Soldaten einer Studentenkompanie an die russische Ostfront gebracht werden. Es ist der 23. Juli 1942.

Kein Zweifel, der Zaun ist ein wertvolles Stück Zeitgeschichte – das freilich seit Jahrzehnten vor sich hinrostet. Noch werden dahinter Gebrauchtwagen verkauft. Bald, etwa ab 2024, wird das vier Hektar große Areal aber mit Wohnungen bebaut. Und der Zaun?
Der wird in 100 Einzelteile zerlegt und als Erinnerungsorte bundesweit an Schulen verteilt – Interessenten können sich bei der Weiße-Rose-Stiftung melden.
Am Ostbahnhof freilich bleibt auch ein Zaunelement – das wertvollste Stück, vor dem das berühmte Foto 1942 entstanden ist. Es soll Teil eines Memorials werden.
Ich gehe am Zaun entlang zur Bahnunterführung Berg-am- Laim-Straße und dann in die Friedenstraße. Die Gleise der Bahnhofsanlage verschwinden unter hohen, gelben Blumen. Fast hat man den Eindruck, der Bahnhof wäre verlassen. Dann aber düst ein ICE durch und eine rote S-Bahn – aus ist's mit der Ruhe.

Immerhin ist hier zwischen den Gleisen aber ein echtes Biotop entstanden, in dem viele Insekten und andere Tiere eine neue Heimat gefunden haben. Im vergangenen Jahr blühten die Blumen übrigens bis weit in den Dezember.
Bald bin ich am Werksviertel, wie das ehemalige Pfanni-Gelände nun heißt, und sehe das ehemalige Rhenaniagebäude. Es ist mustergültig saniert. Mittlerweile liegt eine große rote Kugel davor - auf meinem Foto noch nicht, dafür sind auch keine parkenden Autos zu sehen. Ich hatte vor kurzem genau den Moment erwischt, als der Bauzaun abgebaut wurde.

Ich gehe die Fußgängerunterführung unter den Gleisen durch, bin wieder an der Orleansstraße. Elegant, der herrschaftliche Eckbau des Hotels Stadt Rosenheim am Bahnhofs- und Orleansplatz.
Wie bei einem großen Fuchsbau verschwinden die Menschen in den Löchern, werden über Rolltreppen hochtransportiert und wieder ausgespuckt, überqueren den Orleansplatz.
Hoppla, die Baustelle ist weg, die jahrelang eher vor sich hinruhte, als betriebsame Hektik zu verbreiten. Kein Bagger, keine Umzäunung mehr. "Wir machen den Orleansplatz schön für euch", hat es damals geheißen. Schön ist er, aber wer sich noch erinnern kann, auch wenn's schon lange her ist, irgendwie genauso wie vorher, oder? Der Brunnen läuft leider nicht mehr, wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen winterfest gemacht. Irgendwas ist ja immer.
Zum Vormerken: Bald, im Advent, wird wieder eine historische Dampflok am Ostbahnhof halten, Fahrgäste aufnehmen und mit lautem Pfeifen und Zischen ihre München-Runden drehen.
In diesem Sinne eine schöne Woche
Ihr
Sigi Müller
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