AZ-Serie: München 1968 - Erwin Teufel: Der Deifi is do

Das fast weltweit und mehrjährig gespielte Revolutions-Spektakel hat natürlich seine Hauptdarsteller. In München, einer der Hauptbühnen, sind es nur einige wenige, und die sind oder wurden bei weitem nicht so berühmt oder in der bürgerlichen Welt berüchtigt wie beispielsweise Dany Cohn-Bendit in Paris, Rudi Dutschke in Berlin oder Jochka Fischer in Frankfurt (von Che Guervara in Cuba gar nicht zu reden).
Einer hat früh schon einen Name wie ein Fanal: Fritz Teufel. In München gibt er zunächst nur Gastspiele, aber die sind alle bestens besucht und oft bejubelt. Der Jüngling aus der schwäbischen Provinz hat in West-Berlin unter anderem Theaterwissenschaft studiert und die "Kommune 1" mitgegründet. 1967 wurde er dort mehrmals eingesperrt, nachdem er den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey mit Puddingpulver bombardiert und gegen den Schah demonstriert hatte.
Nach einem Prozess, den der Angeklagte durch sein geflügeltes Wort "Wenn's denn der Wahrheitsfindung dient" zum Gespött machte, wurde er zu Weihnachten freigesprochen.
Teufel geht gen West. Alsbald rumort in München des öfteren die Losung: "Der Deifi is do." Dann sträuben sich manchem Wirt die Haare, denn der "Teufelskreis" pflegt lustig und ungehemmt zu zechen. Einmal ziehen sie alle, des Zornes voll, zum "Schwabinger Weinbauer", der tags zuvor ein paar Langhaarige rausgeschmissen hat. Grund genug für Teufel, dem Wirt einen Leberkäs an den Kopf zu werfen. So berichtet es mir Christian Ude; der hatte den absonderlichen München-Gast damals, lange bevor er Oberbürgermeister wurde, als Lokalreporter der SZ begleitet.
Für Münchens Ordnungshüter bedeutet jeder Besuch des bärtigen, bebrillten Polit-Clowns den Großeinsatz. Tritt er irgendwo in Erscheinung, dann - so im Bayerischen Hauptstaatsarchiv dokumentiert - "berichtete die Polizei selbst harmlose Happenings bis hinauf ins Bundesinnenministerium".
Einmal habe ich selbst, als Reporter, den Teufel in einer Paraderolle erlebt. Am 8. November rücken die Revoluzzer in zwei Marschsäulen von ihren Hochschulen her vor, zum Juristenball im "Bayerischen Hof". Unterwegs zertrümmert man noch ein bisschen die Fenster des Amtsgerichts. Doch nur wenige, darunter Stargast Fritz Teufel und seine Kommunarden, können die Ketten der Kellner und der - erstmals mit Gesichtsschutz ausgerüsteten - Polizisten durchbrechen.
Sie wollen eigentlich nur mit den tanzenden Juristen über die jüngsten "Terrorurteile" diskutieren. Der zufällig anwesende Regisseur Fritz Kortner ist dazu bereit. Hausherr Falk Volkhardt blockt und bietet Teufel einen Whisky an. Der aber fordert: "Whisky für alle". Ansonsten stößt des Teufels Stoßtrupp nur auf verdutzte Ausländer, die zu Messen für Antiquitäten und Elektronik gereist sind, oder auf Anwälte und Referendare, auf die Teufels Verdikt kaum zutrifft: "Am Tage verknacken sie die Genossen und abends schwingen sie das Tanzbein."
So bleibt die Vorstellung absurd: Studenten im Revoluzzer-Kostüm palavern im Foyer mit einer internationalen Society, die teilweise in Frack und Abendkleid steckt. Aus dem Ballsaal tönt Walzermusik. Und draußen lärmen die Genossen. Dann kommt die Polizei und räumt.
Keine Angst vorm Knast, ermuntert Teufel seine Genossen
Einmal soll Teufel einen "Molli" (Brandsatz) in einem Hydrantenkasten des ungeliebten Amtsgerichts deponiert haben, nur ein technischer Fehler verhinderte die Explosion. Deshalb verdonnert ihn ein Schöffengericht, begleitet von Tumulten und Sprechchören, abermals zu zwei Jahren, die er komplett verbüßt. Wieder frei, philosophiert er: "Die Wirksamkeit der politischen Aktivität ist an der Höhe der Knasturteile abzulesen."
Fritz Teufel in München vor Gericht. Foto: imago
Bei einem Strategiekongress des SDS meint er dann selbstkritisch: "Die Bewusstseinsindustrie hat uns zu Stars gemacht und als Konsumgut integriert. Damit will sie verhindern, dass man sich mit uns solidarisiert. Früher hatte ich Freunde, jetzt nur noch Anhänger. Jetzt werde ich auf der Straße von irgendwelchen Idioten um Autogramme gebeten oder gefragt, warum ich nicht im Gefängnis bin."
Um solchen, der Bewegung abträglichen Personenkult abzubauen, will der nun weltberühmte Teufel keine Interviews mehr geben, sondern nur noch "als Fotomodell" Geld für die schwebenden Prozesse einsammeln. Außerdem startet der linke Eulenspiegel eine "Aktion Schweinchen": Rosa Sparschweine machen die Runde zwecks Finanzierung der harten Revolutionsfolgen. "Keine Angst beim Go-in," ermuntert er die Münchner Freunde, "wen's erwischt, der kann sich immerhin informieren, wie's im 20. Jahrhundert noch in unseren Strafanstalten zugeht."
Beim Gedanken an ein derartiges Zwangs-Teach-in ist der zarten, hübschen Linda de Voss, genannt "Mao-Mieze", gar nicht wohl. Sie präsentiert die Vorladung zu einem Nürnberger Prozess. "Mich erwarten bei mildernden Umständen mindestens sechs Monate Knast, nur weil ich beim SPD-Parteitag ein bisschen rumgestanden bin," klagt sie mit Schmollmündchen. "Außerdem habe ich Ermittlungsverfahren wegen versuchter Gefangenenbefreiung, wegen Körperverletzung und noch n'paar andere Dinger am Hals."
Diese "Beispiele für Justizterror" hindern das blonde Mädchen jedoch nicht, ihren Beitrag zur Anti-Justizkampagne zu leisten: "Wir sollten die Richter mal zu Hause aufsuchen und den Nachbarn auf Transparenten sagen, war für Urteile diese Herren sprechen." Daraufhin versprachen ihr die Genossen, sie im Autokonvoi zum Gericht zu begleiten. Später organisiert Linda Streiks und Antikriegstage nur noch für die Gewerkschaft Verdi.
Teufel indes taucht erst mal unter. Mit seiner Schlägerkappe auf einem Siegerpodest hockend, posiert noch für anti-olympische Plakate. Dann beteiligt er sich an der Gründung der Münchner "Tupamaros", einer Mini-Organisation, die - nachdem der tonangebende SDS im März 1970 in München aufgegeben hat - gemeinsam mit "Roten Garden", "Spartakus" und "Schülerfront" zum langen Marsch in Richtung Gewalt aufbrechen.
Bei der politisch motivierten Gaudi blieb es nicht lange. In den Teach-ins wird bald heiß und kontrovers die Frage diskutiert: Darf Gewalt nicht nur gegen Sachen angewendet werden, sondern auch gegen Personen?
Terroristische Aktionen stehen noch längst nicht auf der Agenda, Einzelstimmen dieser Tonart werden abgeschmettert. Und selbst die ärgsten Gegner der Revoluzzer begnügen sich vorerst mit Beschimpfungen wie "Linksfaschismus" (Bild) oder "inszenierte Krawalle" (Strauß), damals CSU-Vorsitzender und Bundesfinanzminister.
Allerdings: Mit der aus der Berliner Hausbesetzerszene übernommenen und sogar verrockten Parole "Macht kaputt, was euch kaputt macht" nähert man sich auch in München schon Ende 1968 einer Roten Linie an.
Am 6. Juli 2010 stirbt der Fahrradkurier Fritz Teufel, 67 Jahre alt, an den Folgen von Parkinson. Die Trauerfeier auf einem Berliner Prominentenfriedhof gerät zu einem fröhlich-bunten Schlussakt der großen Tragikomödie.
Morgen lesen Sie: Knast und Gewalt