AZ-Serie "Familie trifft München": "Wir sind eine Kuschel-Familie"
Von der Stadt München fühlen sie sich im Stich gelassen – jetzt engagieren sich die Fröhlichs in einer privaten Elterninitiative.
München - Ein Sonntagnachmittag in Nymphenburg. Barbara Fröhlich mit Peter und Anna warten auf den Papa. Der muss noch einen Feuermelder anschrauben, einen Schrank fixieren und Glühbirnen auswechseln. Aber nicht bei ihnen zu Hause. Tobi werkelt für eine Elterninitiative in Neuhausen, in der seine kleine Tochter ist.
AZ: Familie Fröhlich, stellen Sie sich so den perfekten Familien-Sonntag vor?
TOBI FRÖHLICH: Nicht unbedingt. Doch heute war ich mit meiner Tochter schon Skifahren. Wer seine Kinder in Elterninitiativen betreut, muss halt seinen Beitrag bringen und Freizeit investieren. In unserem Kindergarten mit 20 Kindern bin ich eine Art Hausmeister.
BARBARA FRÖHLICH: Bei unseren Bewerbungen um alternative Kinder-Betreuungsplätze war es immer gut, dass Tobi gelernter Schreiner ist.
Auf der Suche nach Betreuungsplätzen für Ihre Kinder haben Sie eine Odyssee erlebt.
BARBARA: In Giesing hatten wir unsere Tochter bei drei städtischen Krippen vorangemeldet. Vorsichtshalber hatten wir bei zehn weiteren Krippen angefragt, damit sie mit einem Jahr und drei Monaten anfangen kann. Doch: Wir bekamen keine Zusage, obwohl ich in den Job zurück konnte!
TOBI: Eiligst haben wir uns dann schriftlich bei 15 Elterninitiativen beworben – dort bekamen wir einen Platz. Leider konnten wir den nicht nehmen, weil wir in eine größere Wohnung umziehen konnten. In Nymphenburg ging der ganze Zirkus von vorne los.
"Man muss als Familie schauen, wo man bleibt"
Bei der neuen Elterninitiative wurde Tobi sofort in den Vorstand befördert – eine zeitfressende Aufgabe.
TOBI: Niemand wollte es machen. Ich fand das Schweigen der Eltern bedrückend und habe mich überreden lassen. Als Vorstand habe ich jeden Monat zehn bis 15 Stunden in Dinge gesteckt wie Wasserschäden, die Planung einer neuen Lüftungsanlage oder Personalfragen. Es hat insgesamt Spaß gemacht. Aber dieser Kinderbetreuungsplatz hat mein Leben nicht entlastet. Das hat nicht geklappt.
BARBARA: Vor allem emotional beschäftigt einen so ein Engagement. Man redet beim Abendessen viel darüber. Wenn eine Erzieherin krank war, bin ich öfter eingesprungen.
Fühlen sie sich beim Kitaplatz von der Stadt im Stich gelassen?
TOBI: Total. Auch jetzt, mit dem neuen Kitafinder, ist die Platzvergabe der Stadt ziemlich undurchsichtig. Man muss als Familie schauen, wo man bleibt.
BARBARA: Ich fühle mich im Stich gelassen. Ich musste ja meine Anwesenheit in der Arbeit planen. Wir wussten nie verlässlich, ob wir im Herbst einen Kitaplatz von der Stadt haben. Also braucht man immer etwas in petto.
Ihre Wohnung ist am Hirschgarten. Sie liegt in der Mitte. Wenn Barbara Peter abholt, radelt sie drei Kilometer nach Laim. Von Zuhause liegt der Kindergarten von Anna drei Kilometer entgegengesetzt in Neuhausen.
BARBARA: Jetzt habe ich mir ein E-Bike gekauft. Die Wege sind für mich sehr anstrengend und zeitaufwendig. Am Tag gehen zwei Stunden fürs Kinderbringen und -abholen drauf. Zu meiner Arbeit in Giesing muss ich ja auch.
50 Meter von Ihnen hat gerade eine höchst exklusive Krippe eröffnet.
BARBARA: In dieser privaten Krippe hätte Peter sofort einen Platz bekommen. Doch acht Stunden Betreuung kosten hier über 1000 Euro, mit super Englischunterricht, Yoga und Öffnungszeiten von 7 bis 18 Uhr.
TOBI: Das ist irre. Für Peter zahlen wir jetzt 380 Euro, plus Essensgeld und drei Stunden Elternarbeit im Monat.
BARBARA: Kinder brauchen keine Altbauvilla, um sich wohl zu fühlen. Die Räume sind fast egal. Sie brauchen eine nette Umgebung und Fürsorge.
"München ist zu klein für die vielen Leute"
Wie zufrieden sind Sie mit ihrem Leben als Familie in München?
BARBARA: Kulturell bietet München Kindern viel. Es gibt genug Bespaßung, wie den Ferienzirkus Lilalu oder Theater. Wir wohnen nah am Nymphenburger Schlosspark, dort finden die Kinder sogar ein Stück Wildnis mit Kaulquappen. Aber das Leben in der Stadt ist als Familie nicht mehr so lebenswert. Ich habe das Gefühl, man kriegt keine Luft. Alles ist gestopft voll.
TOBI: Auch wenn man raus will in die Berge. München ist zu klein für die vielen Leute. Die Infrastruktur wird zu klein gehalten.
Sie erleben irrwitzige Wartezeiten…
BARBARA: Beim Sportverein ESV an der Bahn wollten wir Anna zum Kinderturnen anmelden. Doch: eineinhalb Jahre Wartezeit. Es gibt auch schwer Plätze in Schwimmkursen. Für ein Ferienprogramm muss man auch ewig früh dran sein.
TOBI: Ich habe Kollegen, die deswegen pendeln. Aber ich bin in Nymphenburg groß geworden. Ich kann mich nicht vertreiben lassen.
Sie geben ja zu: „Wir jammern auf hohem Niveau“.
TOBI: Ja, absolut. Denn ich fühle mich total wohl in der Stadt. Ich habe hier noch meine Hockeyfreunde von früher. Im Winter als Familie mit Blick auf Schloss Nymphenburg Schlittschuhlaufen, das ist traumhaft.
BARBARA: Es ist so, wie es ist. Trotzdem bin ich manchmal neidisch auf andere Mütter, die alles zu Fuß machen können.
"Kinder sind wie Vollbesoffene"
Wo bleibt das Schöne an Familie?
BARBARA: Dass man kuscheln kann, das ist für mich das Größte am Familienleben. Außerdem lebt man voller Power im Hier und Jetzt und nimmt sich selber nicht mehr so wichtig.
TOBI: Wenn wir in einem Bett in der früh um sechs total unausgeschlafen aufwachen und die Kinder liegen selig neben einem – das ist durch nichts zu ersetzen!
Mit dem Läusekamm hat Anna dem Papa die Frisur gestylt…
TOBI: Haare kämmen liebt sie. Wir lesen auch gemütlich am Sofa die Geschichte von Olli, dem Zahnputzschwein. Wir lieben es, auf dem Teppich zu liegen, zu raufen und uns zu kitzeln. Wir sind eine echte Kuschelfamilie.
Warum ist die Zeit miteinander so erfrischend?
TOBI: Bei uns ist es lustig. Mein Kollege sagt, Kinder sind wie Vollbesoffene, wenn sie noch ganz klein sind – und das stimmt. Erst im Laufe ihres Lebens werden sie nüchterner.
BARBARA: Erfrischend ist, dass immer etwas Neues kommt. Familie macht das Leben mühsam, aber mühsam-lustig. Und bei allem Stress: In unseren Elterninitiativen sind Anna und Peter in privaten und heimeligen Gruppen gut aufgehoben. Sie sind dort happy.
Lesen Sie auch den vorherigen Teil der AZ-Serie "Familie trifft München"