AZ-Interview mit Grünen-Galionsfigur Sabine Csampai: Der Stadtrat ist ein Karrierekiller
München - Die Grünen-Politikerin und Feministin war von 1990 bis 1996 als erste Frau in München Dritte Bürgermeisterin. 1997 verursachte sie mit ihrem Polit-Sex-Krimi "Kiesbett" einen Skandal – auch wegen der Anspielungen rund ums Münchner Rathaus. Sie blieb bis 2002 Stadträtin. Heute lebt die Münchnerin auch in der Toskana. Zwei von drei Töchtern (26, 40 und 42) sind politisch aktiv.
Anfang Juni ist Sabine Csampai (67) mal wieder in München gewesen, zur 40-Jahr-Feier der Münchner Grünen in der Muffathalle. Sie saß vorn an der Bühne am Tisch mit ihren damaligen Mitstreitern Hep Monatzeder, Sigi Benker und Joachim Lorenz.
Die einstige Galionsfigur der Grünen, die unter SPD-OB Schorsch Kronawitter 1990 Münchens erste Frau im Bürgermeisteramt wurde, sah sich den Auftritt der aktuellen Grünen-OB-Kandidatin Katrin Habenschaden an, ratschte an jeder Ecke und verließ die Party spät. Viel München-Zeit blieb ihr ja nicht. In Montemerano, einem 350-Einwohner-Dorf in der toskanischen Maremma, wo Csampai (neben ihrer Wohnung in Neuhausen) ihr Refugium hat, warteten ja schon ihre 40 Tiere wieder auf sie.

AZ: Frau Csampai, beobachten Sie aus der Toskana die Stadtpolitik in München?
SABINE CSAMPAI: Natürlich, sogar akribisch. München ist ja meine Heimat.
Übers Internet?
Und über viele Freunde in München, die mich in Montemerano besuchen oder die ich besuche. Viele sind ja ehemalige Kollegen, wir sind im intensivem Gespräch.
"Können keinen Tag mehr so verschwenderisch weitermachen"
Wie gefallen Ihnen die jungen Grünen, die in München heranwachsen?
Ich bin ganz sicher, dass die Generation der jetzt 20-Jährigen unsere Zukunft ist. Sie haben kapiert, dass es bei der Umwelt um die Wurscht geht.
Dass sich gerade in München so viele für die Grünen begeistern, überrascht Sie das?
Nein. Hier leben ja viele junge, gut ausgebildete Menschen, vor allem Frauen, die über den Tellerrand rausschauen und sehen: Wir können keinen Tag mehr so verschwenderisch weitermachen. Ich will ja nicht permanent die alten weißen Männer beschimpfen, aber letztlich ist es doch so: Sie wollen das, was sie beherrschen, bewahren und verteidigen und sind als Vordenker denkbar ungeeignet. Den Münchnern reicht das jetzt.
"Zeit ist überreif für eine grüne Frau an der Stadtspitze"
Zeit also für Katrin Habenschaden als erste grüne Oberbürgermeisterin?
Ja, die Zeit ist überreif für eine grüne Frau an der Stadtspitze.
Was würden Sie ihr – mit Ihrer Erfahrung als erste grüne Bürgermeisterin Münchens – strategisch mitgeben?
Sie muss im Kreuz haben, den Münchnern reinen Wein einzuschenken und unangenehme Botschaften auszusprechen. Das muss man durchstehen. Konsum ohne Ende, Energieverbrauch ohne Ende, Luftverschmutzung ohne Ende und gleichzeitig das Klima retten, das geht nicht. Wir sind an dem Punkt, wo man nicht mehr sagen kann, das machen wir in 30 oder 40 Jahren, bloß nicht während meiner Wahlperiode. Aus dieser Phase sind wir jetzt raus.
"München ist noch immer auch eine Autofahrerstadt"
Glauben Sie, dass die Münchner reif sind für eine autofreie Innenstadt? Ein plastikfreies Leben?
Natürlich, sonst würden sie die Grünen nicht wählen. Autos raus aus der Innenstadt – das habe ich 1984 schon im Wahlprogramm gefordert. Das war damals schon richtig. Es dauert offenbar über 30 Jahre, bis etwas, das richtig ist, zum Mainstream werden kann. Aber München ist noch immer auch eine Autofahrerstadt. Die Frage, was hätte ich gern, was ist mir am bequemsten, gilt jetzt nicht mehr, wenn wir den Verkehrs- und damit den Klimakollaps abwenden wollen. Ein qualifizierter Teil der Münchner hat das begriffen oder ist dabei, das zu begreifen.
Die grüne Stadtratsfraktion wird, wie es aussieht, nach der Kommunalwahl stark anwachsen. Haben Sie überlegt, nochmal mitzumachen?
Für mich ist diese Zeit vorbei. Ich lebe so grün wie möglich und stehe meiner jüngsten Tochter Hannah Lesch, die in Italien Gemeinderätin ist, mit Rat und Tat zur Seite, das ist notwendig, um angesichts des Faschisten Salvini nicht zu verzweifeln. Für München wünsche ich mir, dass in der neuen Fraktion viele junge Frauen dabei sein werden.
"Ellbogen sind innerhalb einer Fraktion eher im Wege"
Was können Sie den künftigen Stadtrats-Neulingen für den Start an Tipps mitgeben?
Wenn man den Job ernst nimmt, ist es viel, viel mehr Arbeit, als man das je vermutet hat. Man muss wissen, dass man mit seinem politischen Gegner mehr Zeit verbringen wird als mit allen, die einem lieb sind. Das muss man aushalten, und ein Partner auch. Und: Anfeindungen aus allen Richtungen übersteht man nur, wenn man zusammenhält wie Pech und Schwefel, und indem man darüber gemeinsam lacht. Ellbogen sind innerhalb einer Fraktion eher im Wege.
Ihr Alltag in der Toskana, wie sieht der heute aus?
Ich wohne allein in dem Haus, das mein verstorbener Mann Helmut Lesch vor über 40 Jahren mal gekauft hat. Die drei Töchter sind ja schon lang erwachsen. Und ich habe 40 Tiere auf meinem Land. Hunde, Katzen, Hühner, Schafe, ein Schwein und natürlich Bienen. Der Rest ist Gartenarbeit, Gemüse, Wein, Kräuter und Öl für den Eigenbedarf.
Wie groß kann man sich das Gelände vorstellen?
Einen Hektar, ungefähr wie einen Fußballplatz. Die Tiere haben wir alle aus furchtbaren Verhältnissen gerettet. Wir werden zusammen alt.

"Ironie ist einfach immer Glückssache"
Wie finanzieren Sie das? Haben Sie ausgesorgt?
Mit meiner Minirente – und weil ich alles selber mache. Man bekommt ja für die Zeit als ehrenamtliche Stadträtin keine Rente. Und Bürgermeister haben nur dann Pensionsansprüche, wenn sie mindestens zwei Legislaturperioden gemacht haben. Ich hatte nur eine, weil ich wegen meiner dritten Tochter eine Wiederwahl nicht wollte.
Minirente? Was meinen Sie damit?
Dass sie halt klein ist. Der Stadtrat ist ja finanziell ein echter Karrierekiller. Wenn du raus bist, und du hast keinen gutbezahlten Job außerhalb dieses Ehrenamts, für das es zwar Sitzungsgelder gibt, aber keine Kranken-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung, dann stehst du vor dem Nichts. Die Leute denken immer, Politiker sahnen ab, aber das ist auf kommunaler Ebene nicht zutreffend, nur weiß das keiner.
Werden Sie eigentlich noch auf den Skandal angesprochen, den Sie 1997 nach Ihrer Zeit als Bürgermeisterin erzeugt haben – mit Ihrem Polit-Sex-Krimi "Kiesbett" rund um die Grünen-Fraktionschefin Rita und das Münchner Rathaus?
Den Skandal habe ich nie verstanden. Aber Ironie ist einfach immer Glückssache.
Kommt da noch eine Fortsetzung? Der dritte und letzte Rita-Krimi ist ja 2001 erschienen. Münchner Geschichten, die das politische Leben schrieb, gäbe es genug. Die hiesige Kommunalpolitik gäbe auch einiges her. Es ist eine Sache der Nachfrage.
"Ich habe mein Plansoll für Männer übererfüllt"
Welche Münchner Rathaus-Akteure wären heute mögliche Hauptfiguren für einen Krimi?
Das würde ich jetzt nicht verraten. Ich will mir ja nicht ohne Not Ärger einhandeln. Aber es gäbe natürlich Kandidaten.
Sie haben vor ein paar Jahren nach Menschen gesucht, die in Montemerano mit Ihnen eine Art WG aufmachen wollen. In eigenen Häusern in der Nachbarschaft. Was ist daraus geworden?
Es sind wirklich ein paar Freunde hergezogen, zum gemeinsamen Altwerden und Genießen. Nur das Projekt Sonntag-zusammen-Tatort-Schauen scheitert an dem unsäglichen Schmarrn der neuen Folgen.
Gibt es eigentlich wieder einen Mann in Ihrem Leben? Viele Männer in München haben Sie als Feministin gefürchtet, aber auch heiß umschwärmt.
Nein. Ich war drei Mal verheiratet, dazwischen gab es auch den einen oder anderen Mann. Ich bin 67 und finde, ich habe damit mein Plansoll für Männer übererfüllt.
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