Münchens grüne OB-Kandidatin Katrin Habenschaden im großen AZ-Interview
Katrin Habenschaden (41) ist bei der Kommunalwahl 2020 die grüne Herausforderin von OB Dieter Reiter. Die Bankkauffrau hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Aubing.
Ein Morgen zwischen den Jahren. Die Zimmer der grünen Fraktion im Rathaus sind ziemlich verwaist. Nur Katrin Habenschaden sitzt schon am Computer. Na denn, legen wir los.
AZ: Frau Habenschaden, wollen Sie mal raten: 29 – was ist das?
Katrin Habenschaden: Mir fällt da gerade nur lauter Blödsinn ein. Nee, sagen Sie's mir.
Das sind die Stufen, die die Grüne Fraktion vom Oberbürgermeister-Büro trennen.
Ah. Ja, das ist ja machbar. 29 Stufen mehr – da bin ich als alte Bergsteigerin noch nicht einmal warm.
Die müssten Sie dann aber jeden Tag erklimmen.
Kein Problem. Ich habe auch schon mal im fünften Stock gewohnt.
Sie meinen's also wirklich ernst: Sie würden 2020 gerne Oberbürgermeisterin werden?
Das würde ich wirklich sehr gerne.
Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Ich würde mal sagen, ich starte jetzt von der Seitenlinie. Ich sehe mich jetzt aber auch nicht nur als Außenseiterin. Die Landtagswahl hat schließlich schon gezeigt, welches Potenzial die Grünen hier in der Stadt haben. Das wird eine ganz spannende Wahl.
Eine OB-Wahl ist aber immer noch eine Personenwahl, da hilft die grüne Erfolgswelle vielleicht gar nicht so viel.
Ich glaube, wir Grüne fahren gut, uns da als Paket zu verstehen: eine starke Fraktion und eine starke Kandidatin.
Sie haben jetzt noch ein gutes Jahr, sich so richtig bekannt zu machen in der Stadt. Wie sieht da der Fahrplan aus?
Es ist klar, dass ich es, was die Bekanntheit betrifft, momentan nicht mit dem Oberbürgermeister aufnehmen kann. Da hat er viel Vorsprung. Aber es ist machbar, das aufzuholen.
Das wird anstrengend.
Das ganz sicher. Davor habe ich auch durchaus Respekt. Ich habe aber auch Lust drauf. Mir macht Wahlkampf Spaß.
Die Bankkauffrau hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Aubing. Foto: Sigi Müller
Habenschaden: "Verkehrswende ambitioniert angehen"
Auf jedem Marktplatz, bei jedem Kaninchenzüchterverein, überall die Nase reinhalten...
Ja, ich glaube, dass das der Weg ist – nicht nur im Wahlkampf, sondern insgesamt. Die Unmittelbarkeit, die Ansprechbarkeit – nur so kann man die Menschen wieder für Kommunalpolitik interessieren. Wir müssen deshalb bei den Leuten vor Ort sein – auch beim Kaninchenzüchterverein. So einen gibt's bei uns in Aubing übrigens auch, die Haserer.
Und bei denen waren Sie auch schon mal?
Klar. Die Gespräche waren gut.
Worum geht's da? Wo drückt den Haserer der Schuh?
Im Endeffekt geht's immer um die gleichen Themen. Wohin entwickelt sich München? Wohin entwickelt sich der Verkehr? Wohin entwickelt sich die Einwohnerzahl? Das sind die Themen, die alle umtreiben, egal, wo man ist.
Und was sagen Sie dem Haserer dann, der ständig im Stau steht?
Dem sage ich dasselbe, was ich auch im Stadtrat immer sage. Nämlich, dass wir nicht darum herumkommen, die Verkehrswende ambitioniert anzugehen.
"Es braucht auch Maßnahmen, die kurzfristig wirken"
Das heißt, der Haserer muss seine Kaninchen künftig mit dem Lastenfahrrad transportieren.
Das wäre tatsächlich eine Lösung. Lastenräder sind natürlich eine gute Möglichkeit, Dinge zu transportieren. Inwieweit die Hasen so eine Radltour schätzen, kann ich jetzt nicht sagen. Aber was darüber hinaus natürlich vornehmlich passieren muss, ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Das ist der eigentliche Hebel.
Ist der Ausbau da nicht schon angestoßen? Schwarz-Rot im Rathaus hat vor einem Jahr doch ein Milliardenprogramm für den ÖPNV-Ausbau aufgelegt.
Das sind aber alles eher langfristige Projekte. Wir stellen uns dem U-Bahnbau auch sicher nicht in den Weg. Aber es braucht auch Maßnahmen, die kurzfristig wirken. Und da passiert nicht viel. Wenn ich jetzt mal an den Ausbau von Busspuren denke – bis auf ein paar Minimaßnahmen wurde da nichts beschlossen. Und der Bus ist für viele Autofahrer halt erst dann eine Alternative, wenn er am Auto vorbeifährt.
Was würde sich mit einer grünen Stadtspitze denn ändern?
Erstens: ein ÖPNV, der pünktlich und schnell ist. Zweitens: ein gut ausgebautes Radwegenetz. Drittens: Mietpreise, die niemanden zum Rausziehen zwingen, weil er sich die Stadt nicht mehr leisten kann. Viertens: flexible Kita-Öffnungszeiten, damit jeder arbeiten kann, so viel und wann immer er will. Und fünftens: ausreichend Grünflächen in allen Vierteln – das ist für uns auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
Das zusätzliche Grün kam jetzt erstaunlicherweise erst an letzter Stelle.
In dieser Reihenfolge ist keine Gewichtung enthalten, denn eine lebenswerte Stadt muss dies alles bieten – natürlich auch ausreichende Grünflächen. Aber Wohnen, Kinderbetreuung und Verkehr haben in der öffentlichen Diskussion natürlich einen hohen Stellenwert, da haben viele Menschen einen spürbaren Problemdruck.
"Ich denke die Stadt nicht nur von Aubing aus"
Den Haserer treibt also weniger der grüne Klee um, den man in Aubing nicht mehr findet, sondern der nervtötende Verkehr.
Bei uns draußen findet man natürlich noch Klee. Aber ich denke die Stadt ja nicht nur von Aubing aus. Ich denke sie schon auch vom Hasenbergl oder von Untergiesing aus.
Sind Sie öfter im Hasenbergl?
Ich versuche tatsächlich, überall viel zu sein. Ich bin ja ursprünglich nicht aus München, sondern aus Nürnberg. Das heißt, ich kann in dieser großen Stadt auch immer wieder Neues entdecken.
Wie lange wohnen Sie jetzt schon in München?
Seit 2002.
Also fast Ihr halbes Leben. Vielen Dank, sehr charmant!
Aber ich bin ja schon 41.
Würden Sie's mit Blick auf den OB-Wahlkampf als Schwachpunkt sehen, dass Sie nicht aus München stammen?
Nein, überhaupt nicht. Ganz viele Menschen kommen ja originär nicht von hier, sind jetzt aber fester Teil dieser Stadtgesellschaft. Ich glaube sogar, es kann helfen, dass ich das durchlebt habe, was viele Neuzugezogenen auch erleben. Wohnungssuche zum Beispiel.
Das war 2002 noch deutlich einfacher als heute.
Ich fand's damals schon schwierig – vor allem aus der Entfernung. Ich habe damals bei der Sparkasse in Nürnberg gearbeitet, bin dann zur Sparkasse in München gewechselt. Die Eingruppierung ist da vollkommen gleich, die Lebenshaltungskosten sind aber komplett andere. Der Umzug nach München hat einfach dazu geführt, dass ich wesentlich weniger Geld in der Tasche hatte. Und das ist etwas, was viele andere Menschen auch kennen.
Wie viel Fränkin steckt denn jetzt noch in Ihnen?
Meine Kinder lachen immer. Denn sobald ich mit meinen Eltern telefoniere, ist der Dialekt wie angeknipst. Ansonsten, klar, da komme ich her. Da steckt schon noch was in mir drin.
Der gute Frankenwein? Oder mittlerweile doch lieber ein Münchner Helles?
Naja, schon gerne Wein. Der muss aber nicht zwangsläufig aus Franken kommen. Bier trinke ich schon auch, aber dann vor allem als Radler im Sommer im Biergarten.
Was kann denn München von Franken lernen?
Ich glaube nicht, dass München da etwas lernen muss. München ist eine ganz offene, eine ganz tolle Stadt.
Jetzt schwärmen Sie, als wären Sie schon Oberbürgermeisterin.
Es gibt natürlich schon auch immer wieder Dinge, die mir nicht gefallen. Das ist letztlich ja auch der Grund, warum ich als OB kandidiere.
Weil's der Dieter Reiter nicht hinkriegt?
Ja, weil er sich in dieser Koalition mit der CSU schon auch oft den Schneid abkaufen lässt. Es wäre tatsächlich vieles nicht passiert, wenn wir als Grüne da nicht ständig antreiben würden.
Aber ansonsten haben Sie ein gutes Verhältnis zum OB?
Ja, auf der persönlichen Ebene ist das Verhältnis gut.
Sie gehen angeblich sogar regelmäßig zusammen Pizza essen.
Ja, das stimmt.
"Lieber SPD oder CSU – da werden wir uns nicht festlegen"
Worüber sprechen Sie da? Geht’s da auch schon um ein mögliches Bündnis 2020?
Das wäre die falsche Herangehensweise. Wir wollen in einen Wahlkampf gehen, in dem wir zeigen, was aus München werden könnte, wenn Grün wieder mitregiert. Und ansonsten haben wir kein Interesse daran, uns da jetzt schon auf irgendwelche Konstellationen festzulegen.
Die Grünen haben ja lange mitregiert. Trotzdem ist vieles liegen geblieben. Wie ist das zu erklären?
Hätten wir die Stadtentwicklung so prognostizieren können, wie sie jetzt eingetreten ist, dann wäre die Bedeutung des U-Bahnausbaus sicher anders eingeschätzt worden. Aber es hat in München halt auch Zeiten gegeben, da hat die Bevölkerungszahl einfach stagniert. Jetzt aber haben wir das Wachstum und trotzdem passiert an vielen Stellen nichts. Die Tram-Westtangente zum Beispiel – da geht nichts voran.
Dabei betonen doch mittlerweile alle Parteien, wie wichtig die Verkehrswende ist.
Ach, seit der Landtagswahl sind Umweltthemen in Interviews und auf Parteitagen gerne genommen. Es gibt eine Übernahme von grünem Sprech. Den großspurigen Ankündigungen müssen aber auch irgendwann Taten folgen – und das sehe ich nicht. Die Grünen sind immer noch die einzigen, die eine konsequente Umweltpolitik verfolgen.
Ist das momentan jetzt eigentlich ein grünes Zwischenhoch? Oder hält das an?
Diese Erfolgswelle werden wir konservieren müssen. Es hat sich ausgezahlt, dass sich die Grünen nicht am politischen Gegner abgearbeitet haben – das nervt den Wähler. Stattdessen haben wir gezeigt, wofür wir stehen und was grüne Politik kann.
Glaubt man den anderen Parteien, war es aber vor allem diese gewisse Unbeschwertheit, die den Grünen zum Erfolg verholfen hat.
Ich habe ein Problem damit, wenn das jetzt alles auf die gute Laune heruntergedampft wird. Wir haben einen optimistischen Wahlkampf geführt, das ist richtig. Aber jetzt so zu tun, als wäre der Wahlkampf frei gewesen von Sachthemen, das finde ich unfair. Das Polizeiaufgabengesetz, der Flächenverbrauch – das haben wir zum Thema gemacht. Und letztlich erklärt man die Wähler ja auch für dumm, wenn man sagt, sie hätten sich rein durch die gute Laune einfangen lassen.
Sie selbst sind noch gar nicht so lange bei den Grünen.
Ich bin 2009 eingetreten, war aber davor schon immer grüne Wählerin. Ich komme ursprünglich aus dem Naturschutz, habe meine Kindheit in der Natur verbracht und versuche, dieses Bewusstsein für die Umwelt jetzt auch meinen Kindern weiterzugeben.
Wie machen Sie das?
Naja, ich habe unter anderem eine Zusatzausbildung als Wald- und Wildnispädagogin. Da gehe ich immer wieder mit Kindergruppen raus in die Natur. Das muss nicht weit sein. Die Aubing Lohe, das reicht schon. Die Kinder nehmen da viel mit. Die verstehen schon sehr gut, dass etwas nicht so bleibt, wie es ist, wenn man es nicht schützt, sondern zum Beispiel einfach achtlos seinen Müll wegschmeißt.