AZ-Interview: Auf eine Weißwurst mit Christian Stückl - "bisserl mehr Schillerstraße"

Volkstheater-Intendant Christian Stückl spricht im AZ-Interview über das Sterben des Dialekts in der Stadt, sein Verhältnis zu München – und Anwohnerproteste.
von  Felix Müller, Thomas Müller
Christian Stückl bei der obligatorischen Zigarette nach dem Interview im Löwenbräukeller.
Christian Stückl bei der obligatorischen Zigarette nach dem Interview im Löwenbräukeller. © Petra Schramek

Volkstheater-Intendant Christian Stückl spricht im AZ-Interview über das Sterben des Dialekts in der Stadt, sein Verhältnis zu München – und Anwohnerproteste.

Die Idee mit der Weißwurst macht schon Sinn. Sorgt sie doch für eine lockere Gesprächs-Atmosphäre – und is(s)t sehr aussagekräftig: Christian Stückl macht im Löwenbräukeller nicht viel Federlesens, packt sie mit einer Hand – und reißt ihr mit der anderen – mit roher Urgewalt – die Pelle vom Leib. Haben wir so auch noch nicht gesehen.

Aber ein Mann, der so voller Power und Energie steckt, kann halt nicht anders. In diesem Sinne, los geht’s.

AZ: Herr Stückl, als Raucher: Kennen Sie in München noch ein paar Tresen, auf denen Aschenbecher stehen?
CHRISTIAN STÜCKL: Nein. Da macht keiner mehr mit.

Sie haben mal gesagt, Sie seien im Wirtshaus aufgewachsen. Gibt es noch echte Wirtshaus-Kultur in München?
Das Rauchverbot hat schon etwas verändert. Früher ist man anders beieinander gesessen, hat mehr getrunken, diskutiert, sich reingreedet. Gespräche brechen auseinander, da die Raucher raus müssen.

Wie unterscheidet sich Oberammergau da noch von München?
Leider auch nicht. (lacht).

Sie pendeln. Warum ziehen Sie nicht ganz her?
Ich habe mit einem Kollegen und seiner Frau eine Wohnung in München. Ich bleibe manchmal in der Stadt. Ich muss nicht jeden Tag fahren.


Interview beim Weißwurst-Frühstück: Christian Stückl spricht wie ein Franzose, wie man in Bayern so schön sagt. Alle Fotos: Petra Schramek

Und ganz umziehen?
Ich bin total gerne draußen am Land, dort habe ich mein Haus. Du kommst in München nie weg vom Job. Wenn ich abends nach Oberammergau fahre, dann sind da andere Leute, die haben nichts mit dem Theater zu tun.

Sie sind in den 80er Jahren an die Kammerspiele gekommen. Seitdem ist es für Kulturleute noch schwerer geworden durch die extreme Mietentwicklung.
Ich bin ja selbst nicht so konfrontiert mit dem Mietenthema, kriege es aber mit, wie schwer es für Schauspieler ist, eine Wohnung zu finden. Das war aber übrigens in den 80er Jahren auch schon schwierig.

Und wie hat sich das Klima geändert für die Kultur?
Mit dem Volkstheater habe ich ein Theater übernommen, das im Ruf stand, von SPD und Grünen nicht geliebt zu werden. Ude hat noch überlegt, es irgendwann zu schließen. Und jetzt dürfen wir ein neues Theater bauen. Ein Kreativzentrum ist geplant, die Stadt renoviert den Gasteig. Es wird viel getan. Man sollte aber noch mehr für die freie Szene tun.

Das Volkstheater zieht auf den Viehhof. Haben Sie Sorgen, für die Aufwertung des Schlachthofviertels verantwortlich gemacht zu werden?
Es kann sein, dass sich das Viertel durch das Volkstheater total verändert. Aber: Es ist sowieso im Wandel. Mir hat eine CSU-Stadträtin gesagt: Herr Stückl, Sie können nicht ins Schlachthofviertel gehen, das ist ein Glasscherbenviertel!

Was haben Sie geantwortet?
Dass sie offenbar schon lange nicht mehr da war. Ich empfinde das überhaupt nicht als Glasscherbenviertel. Da schießt doch ein Café nach dem anderen aus dem Boden.

Sie klingen sehr zufrieden mit dem Standort.
Er ist wunderbar. Ich wollte ein Theater mitten in der Stadt.

Kann ein Konzertsaal hinterm Ostbahnhof funktionieren?
Ich glaube, Konzertbesucher sind bereit, ein Stück zu fahren.

Was ist Ihre Lieblings-Ecke in der Stadt?
Als ich Zivildienst gemacht habe, war ich immer in Haidhausen, das habe ich geliebt. Als ich in den Kammerspielen gearbeitet habe, war ich ständig im Glockenbachviertel. Und jetzt ist hier mein Wohnzimmer. Man erobert die Stadt immer von da aus, wo man lebt .


Volkstheater-Intendant Christian Stückl mit Lokalchef Felix Müller (Mitte) und Vizechefredakteur Thomas Müller.

Das Volkstheater liegt irgendwie dazwischen. Wohin orientieren Sie sich: in die Maxvorstadt oder ins Bahnhofsviertel?
Eher in die Maxvorstadt.

Ihr Lieblingscafé dort?
Das wechselt total. Früher war ich ununterbrochen im Steinheil. Dann sind wir eine zeitlang viel ins Schmock. Ich hocke total gerne im Jasmin. Aber natürlich auch in unserem Meschugge.

"Manche schreien nach Dialekt und verstecken dahinter Ausländerfeindlichkeit"

Ist es eigentlich schwierig, noch Schauspieler zu finden, die Bairisch sprechen können?
Man findet immer mal wieder welche. Aber Theater auf Bairisch findet ja eigentlich eh nicht statt.

Im Gegensatz zur Musik. La Brass Banda füllt riesige Hallen.
In den späten 70er Jahren war es auch im Theater total in, alles auf Bairisch aufzuführen. Aber irgendwie haut es nicht hin. Den zerbrochenen Krug will man halt in der Originalsprache hören.

Gar kein Bairisch im Volkstheater also?
Doch. Wir machen zum Beispiel ein Krippenspiel im Volkstheater auf Bairisch. Die Leute freuen sich, mal Dialekt zu hören – aber 70 Prozent der Stadtkinder verstehen es halt nicht mehr.

Ist das schade?
Ich finde es schade, wenn der Dialekt verschwindet. Aber man kann ihn nicht mit Gewalt halten. Wenn jemand bairische Wörter einführen will: Musikradl statt CD...

... dann entgegnen Sie?
Da krieg ich kalte Füße. Sprache ist doch etwas, das immer im Wandel ist. Und eine Stadt ist ein Schmelztiegel. Wer Dialekt mitbringt, der bringt ihn meistens vom Land mit – so wie ich. Ich habe auch schon erlebt, dass Münchner nach dem Dialekt schreien und dahinter Ausländerfeindlichkeit verstecken.

Wie hat sich Ihr Dialekt verändert?
Als ich angefangen habe an den Kammerspielen, da hat der damalige Künstlerische Leiter nach einer Viertelstunde gesagt: Herr Stückl, denken Sie, Sie könnten sich hier auch in norddeutscher Sprache verständigen? Ich war ganz perplex.

Was haben Sie geantwortet?
I moa scho. Das würde ich heute in der Stadt auch nicht mehr so sagen. Natürlich ist auch die eigene Sprache im Wandel – und natürlich spreche ich in Oberammergau anders als hier.

Ein Wort aus Oberammergau?
Nacht in Nobad. Das heißt gestern Nachmittag. Ganz ähnlich heißt es übrigens im Jiddischen: Nekth en ovend. Das hat mir ein israelischer Schauspieler neulich erzählt. Im orthodoxen Viertel von Jerusalem haben sie ähnliche Wörter wie in Oberammergau!

Als Sie 2015 Abdullah Kenan Karaca, einen Moslem, als stellvertretenden Spielleiter vorschlugen – haben Sie da die heftigen Reakionen überrascht?
Ehrlich gesagt hätte ich mit mehr gerechnet. Aber in Oberammergau kennt man die sieben, acht türkischen Familien schon ewig. Und ich habe im Dorf länger gestreut, dass ich Abdullah als zweiten Spielleiter sehe. Die Leute kennen ihn.

"Für die Inder war der Sommernachtstraum einfach ein Softporno"

Was muten Sie den Oberammergauern als nächstes zu?
1990 haben wir noch darum gestritten, dass der erste Evangelische eine Hauptrolle kriegen kann, Frauen haben sich ein Spielrecht erstreiten müssen. Jetzt haben wir einen muslimischen zweiten Spielleiter. Manche fragen sich: Wann lässt der Stückl auch noch die Flüchtlinge mitspielen? Die Kinder dürfen übrigens schon alle. Manchen mute ich vielleicht zu viel zu und es gibt sicher einige im Dorf, die sich danach sehnen, dass endlich die Zeit nach mir anbricht.

Ist Integration auf dem Dorf leichter als in der Stadt?
Auf jeden Fall. Der Mustafa aus Ägypten sagt mir immer, er ist heilfroh, dass er der einzige in seiner Flüchtlingsunterkunft ist, der Arabisch spricht. So ist er gezwungen, Deutsch zu lernen. Und es ist viel leichter, in die Sporthalle zu gehen und einfach mal beim Fußball mitzuspielen.


Lustig war’s schon auch, wie man sieht, Und noch eins: In seinem Glas war Apfelschorle. Kein Bier.

Sie sind viel in Indien. Was finden Sie da, was Sie in Bayern nicht finden?
1994 ist das zufällig zustande gekommen. Aber dann habe ich gedacht: Wenn man angeboten kriegt, dort Regie zu führen, muss man es machen. Ich habe mich in Indien vom ersten Moment an wohlgefühlt. Ich bin ständig in Fettnapferl getappt.

Zum Beispiel?
Wir haben den Sommernachtstraum gespielt. Der Schauspieler hat mich fragend angeschaut, als ich ihn aufforderte: Du sollst sie anschauen, du bist in sie verliebt, du sollst sie küssen! Da ist richtig Panik ausgebrochen. 1993 wurde gerade der allererste Kuss auf einer indischen Leinwand gezeigt, im Theater gab es das in Indien nicht. Wir hatten eine Riesendiskussion. Ich habe immer gesagt: Das ist eine Liebesgeschichte! Überall auf den Tempeln sind Nackerte, aber auf der Bühne traut ihr euch nix!

Ist am Ende geküsst worden in Ihrem Sommernachtstraum?
Sie haben den Kopf so gehalten, dass es für die Zuschauer nach einem echten Kuss aussah. Das hat gereicht. Wir haben 67 Vorstellungen gespielt – und das nicht, weil es so ein guter Sommernachtstraum war. Für die Inder war es einfach ein Softporno.

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie aus Indien zurückkommen?
Die Ruhe und Sauberkeit in München. Und vor allem die wenigen Kinder auf der Straße.

In Indien: Relativieren sich da die Münchner Probleme?
Absolut.

Was sind hier Probleme?
In Indien herrscht in den Städten wirkliche Wohnungsnot. In München haben die Leute Angst um ihr Viertel – wie beim Theaterbau. Da geht es plötzlich um die Eidechsen, um den Biergarten, den man behalten will. Ich verstehe das alles.

Aber?
Der Biergarten war von Anfang an etwas Temporäres. Und: Man kann eben nicht 64 000 Quadratmeter mitten in der Stadt einfach brachliegen lassen.

Nochmal zu den Münchner Problemen. Was stört Sie?
Man räumt in München schon viel zur Seite, es ist manchmal zu sauber. In Hamburg oder Berlin tritt auch hervor, was hinter den Kulissen ist.

Und in München?
Ich würde mir ein bisserl weniger Maximilianstraße wünschen – und mehr Schillerstraße. Ich mag es, wenn es so bunt und lebendig ist. Vor Silvester war ich ganz oft in der Landwehrstraße einkaufen.

Warum?
Die Flüchtlinge wussten nicht, wohin an Silvester. Wir haben ein Fest organisiert und alle zusammen gekocht. Dazu mussten wir in der Landwehrstraße halal einkaufen. Abdullah war auch mal dabei.

Und wie fand er es?
Er hat gesagt: Da willst aber auch nicht wohnen.

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