AZ diskutiert: Wie gefährlich ist Acta?
Bei der Podiumsdiskussion der Abendzeitung wird um das umstrittene Abkommen heiß debattiert. Künstler fürchten den Verlust der Urheberrechte. Die Piraten glauben: Acta ermöglicht Zensur.
München - Joachim Gauck ist schon mal nicht zu beneiden. „Das könnte beim Bundespräsidenten enden“, sagt Evelyne Menges. Der müsste am Ende das Gesetz über Acta unterschreiben, sagt die CSU-Stadträtin. Das Staatsoberhaupt könnte tatsächlich am Ende darüber entscheiden, ob mit der Regelung zum Schutz von Urheberrecht Autoren das Leben gesichert wird, oder ob „Menschen sterben“, wenn das umstrittene Gesetzeswerk in Kraft tritt. Letzteres behaupten Acta-Kritiker, da das Abkommen auch Patente auf lebenswichtige Artzney regeln soll.
Zum Nachlesen: Der Ticker vom ACTA-Podium der AZ
Wie gefährlich ist „Acta“ - für die Bürgerrechte? Profitiert wirklich nur die Musik-Industrie? Was ist mit den Musikern, den Literaten, mit Journalisten, die im weitesten Sinn davon leben, für geistiges Eigentum bezahlt zu werden? Ist das Internet von „Zensur“ bedroht, also das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung? Oder ist der Schutz geistigen Eigentums nicht auch ein Grundrecht?
Vor gut zwei Wochen brachte das Thema 16 000 Demonstranten auf Münchens Straßen. Grund genug für die AZ, Fachleute und Betroffene zusammenzubringen. Und es ging hoch her in der Freiheiz-Halle
„Das ganze ist Bullshit“ sagte Stefan Körner. Der Chef der Piratenpartei in Bayern möchte Acta am liebsten „in die Tonne treten“. Eine Meinung, die sensible Zeitgenossen wie Klaus Doldinger oder Willy Astor nicht so widerspruchslos mittragen wollen: „Viele junge Musiker können nichts bringen, wenn es keine wirtschaftliche Basis gibt“, sagt Doldinger. Der weiß, wovon er spricht: „Ich hab die Gnade des Erfolgs“, sagt der Saxofonist und Komponist der Tatort-Melodie. „Viele andere haben diesen Erfolg nicht.“ Deshalb seien Geld für Urheberrechte überlebensnotwendig.
Auch Kabarettist Willy Astor ist mit einer „Für-Lau- Mentalität“, die er bei vielen in der Internet-Generation sieht, nicht glücklich: „Ich geh ja auch nicht zum Metzger, bestell’ 100 Gramm Schinken und bezahl’ nicht“, sagt er, und: „Auch für Musiker muss es Butter aufs Brot geben.“
Auch er zahle beim Metzger, sagt Oberpirat Körner: „Und es muss ein Interessenausgleich mit dem Künstler geben.“ Allerdings: „Wir wissen, was Künstler bekommen, und wir wissen was eine CD in der Herstellung kostet – und wo bleibt der Rest?“ Die Industrie stopfe sich die Taschen voll, und es seien Firmen wie „Google, Apple, Monsanto, die das Abkommen ausgehandelt haben“. Kultur, sagt Körner, „beginnt da, wo sie verfügbar gemacht wird“. Urheberrechte, wie sie in Deutschland noch 70 Jahre nach dem Tod eines Autors gelten, seien da eher hinderlich.
Rechtsanwältin Menges nannte das Piraten-Weltbild „sympathisch, aber weltfremd“. Die CSU-Frau findet es aber gut, dass Acta jetzt vom Europäischen Gerichtshof auf seine Grundrechtsverträglichkeit geprüft wird.
Moderator und AZ-Vize-Chefredakteur Georg Thanscheidt konnte sich zumindest über den Podiums-Konsens freuen, wonach alle für eine Überarbeitung von Acta sind. Nur: Kein Literat, kein Komponist könne von Gema oder Verwertungsumlagen alleine leben: „Vielleicht braucht es Acta deshalb?“
Die Piraten – auch im Publikum – sehen das natürlich anders. Und weil Acta auch die Markenrechte der Pharma-Industrie regele, seien im Endeffekt auch Menschenleben in Gefahr: In Afrika, wo die Medizin gebraucht werde, komme die Artzney nicht an. Alles nicht ganz falsch – aber hoffentlich nicht so dramatisch.