Auswandern in den Süden? "München ist doch eine tolle Stadt"

51 Jahre sind die Eheleute Marlies und Gottfried Schmid verheiratet. Sie verraten, wie das geht, warum sie nie in den Süden ziehen würden – und was sie glücklich macht.
von  Irene Kleber
Ihr Haus im Münchner Westen haben die Schmids vor fast 40 Jahren als "Bruchbude" auf Kredit gekauft. Heute ist es eine Perle, die ihnen gehört.
Ihr Haus im Münchner Westen haben die Schmids vor fast 40 Jahren als "Bruchbude" auf Kredit gekauft. Heute ist es eine Perle, die ihnen gehört. © iko

München - Eine dreistöckige Gründerzeitvilla im Münchner Westen, helldottergelb mit grünen Fensterläden. Ein paar letzte Rosen blühen noch im Garten. Hinten versteckt sich ein Gartenhäuschen. Hier und da steht eine Skulptur. In einer Nische liegt, vom Regen geschützt, ein Sammelsurium an Bobbycars, Dreirädern, Kinderrollern.

Hier wohnen Marlies (73) und Gottfried Schmid (77; Name geändert), zwei Münchner aus der Großeltern-Generation. Sie haben das Haus 1978 gekauft – nach zehn Jahren im Ausland, wo Gottfried Schmid für Siemens den Telefonnetz-Ausbau organisiert und seine Frau das jüngste der drei Kinder geboren hat.

Heute wohnen die Kinder (die nach der Rückkehr hier in der Villa aufwuchsen), alle in Radlweite. Sie haben längst eigene Familien gegründet. Acht Enkel toben deshalb regelmäßig durchs Haus, plus zwei Leih-Enkel einer engen Freundin, die die Schmids irgendwie mitadoptiert haben.

AZ: Frau Schmid, Herr Schmid. Wie schön Sie es hier haben. Beneiden viele Münchner Sie um Ihr Haus?
GOTTFRIED SCHMID: Heute vielleicht schon. Aber das war ja nicht immer so.
MARLIES SCHMID: Als wir eingezogen sind, war das eine runtergekommene Bruchbude ...
GOTTFRIED: ... da haben alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
MARLIES: Und die Kinder haben sich geschämt, wie ramponiert wir gewohnt haben. Zehn Jahre Baustelle, ach je.

Hatten Sie geerbt, dass Sie sich das Haus kaufen konnten?
GOTTFRIED: Nein. Ich hatte im Ausland gut verdient, weil ich aus Deutschland bezahlt wurde. Aber um 380 000 Mark zahlen zu können, haben wir Bankschulden gemacht.

Ihr Haus im Münchner Westen haben die Schmids vor fast 40 Jahren als "Bruchbude" auf Kredit gekauft. Heute ist es eine Perle, die ihnen gehört.
Ihr Haus im Münchner Westen haben die Schmids vor fast 40 Jahren als "Bruchbude" auf Kredit gekauft. Heute ist es eine Perle, die ihnen gehört. © iko

Ohne Bauchweh dabei?
GOTTFRIED: Ich habe auf den Rat von älteren Kollegen vertraut. Die sagten: Riskier das. Über die Jahre werden die Schulden weniger. Dann gehört es dir. Es war ein guter Rat.
MARLIES: Aber wir haben das Geld dann zusammenhalten müssen mit drei Kindern. Ich habe wieder angefangen zu arbeiten. Halbtags, als Schulsekretärin.

Wie hoch ist heute Ihre Rente?
GOTTFRIED: 3000 Euro, mit den 460 von der Marlies.

Sie gehören damit zu denen, denen es im Alter sehr gut geht in München.
GOTTFRIED: Das ist wohl so, ja.

Sie könnten auch anderswo leben, wo das Wetter schöner ist. Im Süden, zum Beispiel.
GOTTFRIED: Ich sag Ihnen was: Ich kenne einige, die sich fürs Alter etwas in Teneriffa gekauft haben. Die haben das alle wieder aufgegeben.

"Haben wir überhaupt etwas, um uns aufzuregen, Gottfried?"

Warum das denn?
GOTTFRIED: Weil die Gesundheitsversorgung in München besser ist. Man verträgt auch die Hitze nicht mehr so.
MARLIES: Und dieses Beschauliche ist ja auch langweilig. Wir würden unsere Enkel auch gar nicht aufwachsen sehen.

Nicht mal aus der Stadt raus aufs Land ziehen würden Sie?
MARLIES: Wieso? München ist eine tolle Stadt. Wir gehen in jede Ausstellung in der Hypo-Kunsthalle. In der Pasinger Fabrik sind wir auch oft, da gibt’s ja Münchens kleinstes Opernhaus. Und wir haben ein Abo fürs Residenztheater.
GOTTFRIED: Und danach setzen wir uns in den Franziskaner oder zum Spaten.

Reisen Sie auch viel?
GOTTFRIED: Ich würde ja gern mal wieder nach Italien fahren. Aber Marlies ...
MARLIES: ... ja ja, es gibt da ein Haus in einem Dorf in Sachsen-Anhalt, wo ich geboren bin. Da verbringen wir einige Monate im Jahr, oft mit den Enkeln, wenn die Ferien haben.
GOTTFRIED: Deshalb kommen wir ja kaum noch woanders hin.

Wie ist das für Sie, in München älter zu werden. Fühlen Sie sich gut versorgt?
MARLIES: Ja. Ich setze mich auf mein Radl und kann in der Nähe alles kaufen. Ob das jetzt Kleidung ist oder Feinkost oder ein günstiger Supermarkt.

Wie gut sind Sie an den öffentlichen Verkehr angebunden?
MARLIES: Na, wir haben den Bus vor der Tür. Man kommt in München von überall nach überall. Da geht es uns gut.

Gibt es genug Ärzte?
GOTTFRIED: Absolut. Wir haben noch kein Problem gehabt, Termine zu bekommen.

Wie erleben Sie den Service bei den Behörden?
GOTTFRIED: Im Kreisverwaltungsreferat habe ich mich zuletzt ärgern müssen. Sechs Wochen warten für ein Papier.

Welche Stadtpolitiker kennen Sie?
GOTTFRIED: Den Oberbürgermeister Reiter. Den würde ich wohl auf der Straße erkennen.
MARLIES: Aber nicht so leicht wie Christian Ude. Dem habe ich ja immer gern zugehört.

"Noch einmal 20 Jahre alt sein? Das will ich auf keinen Fall"

Ist Ihnen der CSU-Bürgermeister geläufig?
MARLIES: Heißt der nicht Schmid? Aber wie er aussieht, weiß ich nicht.

Verraten Sie uns, welche Partei Sie zuletzt gewählt haben?
MARLIES: Ich FDP. Schon immer. Ich mag die Überregulierung nicht.
GOTTFRIED: Ich habe Grün gewählt. Ich finde Nachhaltigkeit wichtig.

Auf der Treppe mit acht eigenen und zwei Leih-Enkeln.
Auf der Treppe mit acht eigenen und zwei Leih-Enkeln. © Anja Hölpe

Was sind Ihre großen Aufreger-Themen in München?
MARLIES: Haben wir überhaupt etwas, um uns aufzuregen, Gottfried?
GOTTFRIED: Da müsste ich erst mal nachdenken.

Beschäftigt Sie, wie der neue Konzertsaal aussehen wird?
GOTTFRIED: Schön soll er halt werden. Aber da regt mich mehr auf, warum der Gasteig nach nur 30 Jahren generalüberholt werden muss. Wenn ein Privater so schlampig planen und bauen würde!

Haben Sie eine Meinung zum Tunnelbau?
MARLIES: Ja, sollen die bauen. Es werden ja nicht weniger Autos werden in Zukunft.

Wie ist das mit den Mietpreisen und der Wohnungsnot in München. Beobachten Sie das?
GOTTFRIED: Ehrlich gesagt, nein. Das Thema Wohnung betrifft uns ja nicht. Und die Kinder haben wir unterstützt, für eigenes Eigentum zu sorgen.
MARLIES: Eigentlich bekommen wir gar nicht mit, wie es den schlechter gestellten Münchnern geht.

Wie viele Flüchtlinge haben Sie schon in der Stadt gesehen?
MARLIES: Kaum welche.
GOTTFRIED: Man sieht den Leuten ja auch nicht unbedingt an, ob es Flüchtlinge sind oder Touristen. Mich hat jedenfalls noch keiner gestört. Ich fahre sogar gern hinüber ins Einkaufszentrum und schaue mir die jungen ausländischen Leute an. Mir gefällt das Lebendige. Ich mag, dass sich München entwickelt und verändert.

Sie sind jetzt 51 Jahre verheiratet. Was hat Sie zusammen gehalten?
MARLIES: Ich sag nix dazu.
GOTTFRIED (knufft seine Frau): Ich bin eben sehr robust und widerstandsfähig.
MARLIES: Es war das ganze Leben und Erleben.
GOTTFRIED: Weil wir uns halt mögen. Wir wollten auch die Familie zusammen halten. Die Bindung ist einfach da.

Sind Sie glückliche Menschen?
MARLIES: Ja, ich hätte gar keine Lust, unglücklich zu sein.
GOTTFRIED: Wenn man das Wort ,Unglück’ daneben stellt, bin ich auf jeden Fall glücklich. Man muss das aber auch wollen. Und man muss zufrieden sein wollen, weil Unzufriedenheit und Unglück, die liegen ja nah beieinander.

Wären Sie heute gern noch mal jünger?
MARLIES: Nein! Na, vielleicht 50, aber auf keinen Fall 20 oder 30. Weil ich heute keinen Zeitdruck mehr habe. Wissen Sie, wie schön das ist, schlafen zu können, so lang man will?
GOTTFRIED: Ich auch nicht. Aber die Zeit könnte langsamer vergehen. Nur alle drei Jahre ein Alterssprung, das wäre mir lieber.

Dann gilt für Sie beide nicht: Früher war alles besser?
GOTTFRIED: Nee.
MARLIES: Nee.

"Wenn man das Wort 'Unglück' daneben stellt, bin ich glücklich"

Wenn Sie trotzdem die Uhr zurückdrehen könnten: Was würden Sie anders machen?
MARLIES: Ich würde rechtzeitig ins Computerzeitalter einsteigen.
GOTTFRIED: Ich würde mit 55 noch Steinmetz lernen. Da hätte ich noch Kraft dazu gehabt.

Gibt es noch einen Traum?
GOTTFRIED: Dass wir heil und gesund bleiben.
MARLIES: Meine Enkelin Elisa hat mich mit neun gefragt: "Oma, stirbst du dann bald?" Ich habe geantwortet: "Ich wünsche mir, dass ich miterlebe, wie du mal heiratest und Kinder bekommst." Da hat sie gesagt: "Oma, dann bist du aber richtig alt. Dann ist es auch nicht mehr so schlimm, wenn du dann stirbst."


Im nächsten Teil unserer Serie lesen Sie: Warum Brigitte Hartl (79) lieber aneckt, statt angepasst zu sein

Lesen Sie hier Teil eins der AZ-Serie: So leben Senioren in München - Der Ausstieg aus dem Berufsleben

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