Ausschwärmen statt abwarten: Unterwegs mit den Münchner Impfguides

Seit Kurzem schickt die Stadt Studenten als Impfguides in Viertel. Sie sollen Menschen die Angst vor der Spritze nehmen. Einfach ist das nicht. Dafür lernen auch die Studenten mehr, als sie gedacht hätten.
Helena Ott |
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Julia W. (29) mit ihrer kleinen Tochter, die junge Mutter hatte vor zwei Monaten Corona, nun erklärt ihr Alex S., warum sie sich trotzdem impfen lassen sollte.
Julia W. (29) mit ihrer kleinen Tochter, die junge Mutter hatte vor zwei Monaten Corona, nun erklärt ihr Alex S., warum sie sich trotzdem impfen lassen sollte. © Sigi Müller

München - Es nieselt. Keine guten Bedingungen, um Passanten zu stoppen. Medizinstudent Till S. (23), ein junger Mann in einer leuchtend gelben Warnweste und mit freundlicher Ausstrahlung, versucht es trotzdem. Schon beim zweiten Satz wird es heikel: "Darf ich fragen, ob Sie geimpft sind?" Er darf, dieses Mal.

Zwei junge Frauen mit Fahrrad und Kinderwagen bleiben stehen. Eine ist dreimal geimpft, die andere noch keinmal: "Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, aber ich warte noch ab." Sie sagt, sie habe Covid schon gehabt und es gut überstanden. Aber wer sagt ihr, dass die Impfung nicht schlimmer sei als die Erkrankung selbst, fragt sie.

Impfguides in München: Können Studenten schaffen, was bisher nicht gelungen ist?

Der Medizinstudent im zweiten Semester nickt verständig, er wolle sie nicht überreden. Aber er erklärt, dass es gute Studien gebe, die zeigten, dass Nebenwirkungen äußerst selten seien. "Mittlerweile wurden weltweit Milliarden Menschen geimpft, und es gab nur in ganz wenig Fällen schwere Nebenwirkungen", ergänzt seine Kollegin Marie H. (24) aus dem vierten Semester.

Im Tandem wird sie mit Till S. solche Gespräche an diesem Donnerstag noch dutzendfach führen. Sie schildern, dass es keine wissenschaftlichen Hinweise gibt, dass die Impfung unfruchtbar macht oder dass sie die DNA verändert. Und erklären Passanten, die zweimal geimpft und einmal genesen sind, dass sie drei Monate nach der Infektion mit einer Auffrischungsimpfung trotzdem besser geschützt seien.

Sie versuchen, im Team zu überzeugen: Till S. (23), und Marie H. (24) bei ihrer Tour durch Riem.
Sie versuchen, im Team zu überzeugen: Till S. (23), und Marie H. (24) bei ihrer Tour durch Riem. © Sigi Müller

München hinkt mit einer Impfquote von 72,6 Prozent hinterher

Die Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sind im Auftrag der Stadt unterwegs. Auf dem Rücken ihrer Warnwesten steht "Impfguide". Sie und bald 40 andere sollen als eine Art Streetworker in Stadtviertel gehen. Sollen mit Menschen über ihre Haltung zum Impfen sprechen. Aber gelingt den Anfang, Mitte-20-Jährigen, was zwölf Monate Impfkampagne nicht geschafft haben?

München hinkt mit einer Impfquote von 72,6 Prozent im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch hinterher. Bremen, Hamburg und Berlin sind um die zehn Prozent weiter.

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Die Impf-Skepsis findet der Impfguide verständlich

Die Fachschaft der Medizin-Studierenden der LMU war schon im Herbst mit ihrer Idee auf die Stadt zugegangen. Seit Anfang März sind die "Impfguides" nun unterwegs. Von der Stadt bezahlt, von der LMU geschult und als Hilfskräfte angestellt.

Heute sind Marie H. und Till S. gemeinsam mit Alex S. (22) rund um die Riem Arcaden unterwegs. Trotz oder wegen des Nieselregens ist einiges los. Mit festem Schritt gehen die drei auf jeden zu, der nicht telefoniert oder einen großen Bogen macht: Rentnerinnen mit Einkaufstrolley, Mutter und Sohn bei der Raucherpause, eine Frau mit schwarzem Nikab-Schleier, junge Männer in weißen Arbeiterhosen und Väter und Mütter mit herumspringenden Kindern.

Alex S. (22), studiert im fünften Semester Medizin an der LMU, seit Anfang März arbeitet er als Impfguide.
Alex S. (22), studiert im fünften Semester Medizin an der LMU, seit Anfang März arbeitet er als Impfguide. © Sigi Müller

Sechs Einsätze gab es bisher. Es ginge nicht nur um Ungeimpfte, sagt der dritte Impfguide, Alex S. "Es gibt auch viele, die zweimal immunisiert wurden, aber nun mit der dritten Impfung zögern." Aus seiner Sicht verständlich. Es habe viele irritiert, dass sich so viele vollständig Geimpfte trotzdem angesteckt haben.

Trotz ihres Medizinstudiums sei es ihnen auch nicht immer leicht gefallen, die Informationen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu verstehen. Jetzt sind sie vorbereitet. Dem jungen Mann mit kariertem Käppi versucht es Alex S. so zu erklären: Die Impfung schütze nicht immer vor einer Ansteckung, das ist richtig. "Aber es ist erwiesen, dass sie deutlich, deutlich vor einem schweren Verlauf schützt", sagt er.

Der Käppi-Träger und seine Freundin im bauchfreien schwarzen Kapuzenpulli waren am Anfang nur zögerlich stehengeblieben. Aber nach wenigen Sätzen von Alex S. stellen sie von sich aus eine Frage nach der anderen: "Und man muss nicht in Quarantäne, nachdem man geimpft ist?", fragt er. Am Ende steckt er das Infoblatt der Stadt in die breiten Hosentaschen seiner hellblauen Jeans.

Bis 8. April könnten sie sich noch "quasi vor der Haustüre impfen", sagt Alex S. Danach schließt das Impfzentrum in der Messe, aber andere Stationen wie am Gasteig oder am Marienplatz bleiben aktiv.

Einsätze in Berg am Laim, Blumenau und am Haderner Stern

Die Einsätze in anderen Vierteln wurden von einer Impfaktion ganz in der Nähe ihrer Laufroute flankiert, hier ist das Impfzentrum in Laufweite. Die Gegenden sind nicht zufällig ausgewählt: Berg am Laim, Blumenau und am Haderner Stern. Nächste Woche auf der Schwanthalerhöhe. Sie werden zunächst dort eingesetzt, wo das Gesundheitsreferat eine geringere Impfbereitschaft vermutet.

Wie die Verantwortlichen darauf kommen? Eine Studie des RKI von Anfang Februar zeigt, dass in Schichten mit geringerem Einkommen, niedrigerem Bildungsgrad oder Sprachkenntnissen durchschnittlich weniger Menschen geimpft sind als in der Gesamtbevölkerung. Die Stadt wertet also die Einkommensverteilung und andere Parameter aus und bestimmt so die Einsatzorte.

Um die Riem Arcaden tun sich die drei an diesem Donnerstag jedenfalls nicht schwer, ihre Zielgruppe aufzuspüren. Etwa jeder Zweite, den sie ansprechen, ist entweder ungeimpft oder ohne dritte Impfung. Im überdachten Durchgang des riesigen Einkaufszentrums führen Till S. und Marie H. ihr bisher längstes Gespräch: Knapp über zehn Minuten. Die 24-jährige Vanessa A. und ihre 22-jährige Freundin Jrina T. fragen, wie es sein könne, dass Vanessas Mutter direkt nach der Booster-Impfung Corona bekam. "Das möchte ich verstehen", sagt Vanessa A.

Das Gespräch wird hitzig. "Könnt ihr mir 100-prozentig sicher sagen, dass ich nicht zwei Jahre später schwere Nebenwirkungen bekomme?", fragt Jrina T. "Du hast recht, eine 100-prozentige Garantie gibt es nie", gibt Marie H zu. Aber sie schiebt ruhig hinterher, dass bei Impfungen, egal ob Corona oder Tetanus, Nebenwirkungen innerhalb von 14 Tagen auftreten: "Dass danach noch was passiert, ist sehr unwahrscheinlich."

Vanessa A. schaut noch skeptisch. Aber sie nimmt das Infoblatt. Sie will sich "überlegen", ob sie doch zur dritten Impfung geht. Jrina T. ist nicht geimpft. "Ich glaub einfach nicht, dass es was bringt", sagt die zierliche Frau mit langen dunklen Haaren und verschränkt noch einmal mit Nachdruck die Arme. Nach zwei, drei letzten Argumentierschleifen verabschieden sich die Impf-Guides.

"Allein, dass sie mit uns geredet haben, ist positiv"

Über zehn Minuten und nichts erreicht? Till S. sieht es anders: "Allein, dass sie so lange mit uns geredet haben und ihre Argumente gehört werden", sei positiv.

Um fünf Uhr am späten Nachmittag ist der Einsatz vorbei. Es macht müde, so viel zu reden, zu argumentieren. Aber es lohnt sich. Nicht nur, weil sie für den Job bezahlt werden: In zwei Jahren Pandemie sei viel Praxisunterricht weggefallen, sagt Alex S. Er habe es satt, mit der Theorie vor dem Schreibtisch zu sitzen. Und er fürchtet eine neue Welle im Herbst, wenn es mit dem Impfen nicht noch vorangeht. "Das ist auch unser Beitrag, das zu verhindern."

Ob ihr akademischer Hintergrund hier in bodenständigeren Gegenden ein Hindernis ist? Anfangs sei es nicht leicht gewesen, sagt Till S., sofort den richtigen Ton zu treffen und ohne medizinische Fachbegriffe zu erklären. Aber jetzt muss es sitzen. Schließlich hätten sie jedes Mal nur den einen Versuch. "Und für uns ist das auch ein wichtiges Probierfeld", sagt S., "in unserer Berufspraxis müssen wir später auch mit allen auf Augenhöhe umgehen können."

Till S. hofft, dass damit auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem wieder verbessert werden kann.

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34 Kommentare
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  • Andi K. am 04.04.2022 15:37 Uhr / Bewertung:

    Bei etwa 150 verschiedenen Nationalitäten in München müssen die "Guides" (m/w/d/:/_/I/*/...) ganz schön sprachgewandt sein oder hält man sich da ggf. zurück?

  • Steirerbluat am 04.04.2022 10:38 Uhr / Bewertung:

    Was für ein Schwachsinn! Ein Student sollte wichtigeres zu tun haben unter Tage als solch dämlichen Interviews zu machen!" Wann kapieren die Impf-Protagonisten eigentlich mal das diese "Impfung" gar keine Impfung ist ?? Wer jetzt noch nicht "geimpft" ist, wird es auch nicht werden

  • Kampf den Schwurblern am 04.04.2022 11:33 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Steirerbluat

    dicker Hals
    völliger Schwachsinn.
    Wenn es keine Impfung ist, was ist es dann in Ihren Augen?

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