Aus Angst vor dem Brexit: Immer mehr Briten in München wollen sich einbürgern lassen
München - Den englischen Einschlag hört man deutlich. "Ik bin bissken nervous", sagt man hier öfters am Gasteig, als es am Freitag heißt: Ab zum Deutschtest.
Die Münchner Volkshochschule (MVHS) organisiert hier wieder ihre mündlichen Sprachprüfungen von A1 (niedrigstes Niveau) bis C2 (höchstes). Und kurz vor dem Brexit sind es überwiegend etwas ältere britische Staatsbürger, die bei den B1-Prüfungen aufschlagen. Denn das Zeugnis ist nötig, um sich in Deutschland einbürgern zu lassen.
Arbeitserlaubnis, Aufenthaltsstatus, Sozialversicherung: Deutsch-Briten, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sind völlig verunsichert. Was wird aus ihnen, wenn Großbritannien nicht mehr Teil der EU sein wird? "Wir wollten unbedingt vor dem Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, um all diesen quälenden Ungewissheiten zuvorzukommen", sagt das Ehepaar Kirstyne (51) und Andy (52) Nichol.

Viele Briten leben seit Jahren in München
Außerdem: "Wer jetzt Deutscher wird, während Großbritannien noch EU-Mitglied ist, darf seine britische Staatsbürgerschaft weiterhin sicher behalten", sagt Andy, der an der südenglischen Küste geboren und aufgewachsen ist, im kleinen Ort Hayling Island. Dorthin zurückkehren? "I leb in Weßling", sagt der Hobbymusiker und Experte für Golfschläger, "ik wohn schon seit 1991 nicht mehr in England."
Seiner Frau geht es ähnlich. Die Schottin aus Dundee lebt seit 1993 in der Region München. Die beiden haben sich hier kennengelernt.
"Der Brexit ist ein Albtraum", sagt Kirstyne, "diese ganzen Falschinformationen. Es hieß ja unter anderem, dass die Briten 300 Millionen Euro täglich in die EU-Kassen zahlen. Schon am nächsten Tag stellte sich heraus, dass die Zahl völlig falsch war." Doch die Lüge sei nun mal in der Welt gewesen.
"Der Brexit ist ein Albtraum"
Andy hebt die Rolle der etwa anderthalb Millionen Briten hervor, die im EU-Ausland leben: "Ich bin mir sicher, die meisten von uns sehen sich als Europäer. Wenn wir beim Referendum abstimmen hätten dürfen, wäre die Wahl ganz klar gegen den Brexit ausgefallen." Was die wenigsten wissen: Viele Auslandsbriten hatten kein Abstimmungsrecht, weil sie schon lange nicht mehr auf der Insel gemeldet sind.
Für die meisten britischen Prüflinge ist der B1-Test der MVHS eine leichte Übung. Doch einige kommen mit einem leeren Gesichtsausdruck aus den Räumen 3144 bis 3147. Der Ingenieur Peter Hall (40) ist überrascht vom Thema der Prüfung. Mit leicht zerzauster Frisur sagt er: "Wir mussten ein fiktives Sozialprojekt vortragen, das war für mich nicht ganz so easy, aber ich hoffe, dass ich bestanden habe."

Seit 2006 in München: "Mein Leben ist hier"
Hall hatte zunächst nicht daran gedacht, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Doch nach einem Brief der Rentenversicherung hat er seine Meinung geändert: "Darin stand, dass ich mich im Falle eines Brexits selbst um die Klärung meiner sozialversicherungsrechtlichen Fragen kümmern muss. Da wurde ich nervös."
Seit 2006 lebt Hall in München. Damals kam er wegen seiner deutschen Freundin hierher. "Auch nach der Trennung dachte ich nicht daran, München zu verlassen, mein Leben ist hier", sagt Hall, der schon im Jahr 2000 aus seiner Heimatstadt Wolverhampton weggezogen ist, zunächst nach Irland. "Ich habe kaum noch Bezug dorthin, weil ich seit insgesamt 19 Jahren weg bin."
Lesen Sie hier: Wegen Brexit - Immer mehr Briten wollen Deutsche sein