Auch in München: Immer mehr Gewalt unter Jugendlichen

Schlägereien, Raub, Nötigung: Die Zahl der Gewalttaten in München steigt deutlich an. Die Tatverdächtigen sind immer jünger.
Ralph Hub
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Im Oktober 2022 ist Stjepan J., ein 25-jähriger begeisterter Fußballer, in einer Grünanlage in Neuperlach erstochen worden. Ein 22-Jähriger wurde wenig später als Tatverdächtiger festgenommen.
Im Oktober 2022 ist Stjepan J., ein 25-jähriger begeisterter Fußballer, in einer Grünanlage in Neuperlach erstochen worden. Ein 22-Jähriger wurde wenig später als Tatverdächtiger festgenommen. © Thomas Gaulke

München - Das Image von München als sicherste Großstadt Deutschlands hat im vergangenen Jahr ein paar böse Schrammen erlitten. Die Gesamtzahl der Straftaten ist im Vergleich zu 2021 auf knapp 92.000 gestiegen. Vor allem Sexual- und Gewaltdelikte haben zugenommen. Erschreckend: Die Tatverdächtigen sind oft noch Kinder oder im Teenageralter.

"München ist zum 47. Mal in Folge die sicherste Großstadt Deutschlands", sagte Polizeipräsident Thomas Hampel am Freitag im Präsidium bei der Vorstellung des neuen Sicherheitsreports. Daran ändere auch nicht, dass die Gesamtzahl der Straftaten im Vergleich zu 2021 um 5,1 Prozent auf 91.532 gestiegen sei. Ein abzusehender Trend, so der Polizeipräsident, am Ende der Corona-Pandemie.

Zahl der tatverdächtigen Kinder in München steigt auffallend stark an

Mit Corona hat auch ein Trend zu tun, der dem Münchner Polizeichef zunehmend Sorgen bereitet. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder steigt auffallend stark an - im Vorjahresvergleich um 28 Prozent auf 1310, der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre. Bei den Jugendlichen stieg die Zahl um acht Prozent auf 3709 Verdächtige. "Mitverantwortlich dafür sind die Folgen der Pandemie", sagt Erwin Frankl, Chef der Abteilung Verbrechensbekämpfung. "Kinder und Jugendliche konnten sich kaum mehr mit Freunden treffen. Ihr Leben war stark eingeschränkt."

 

Im Zehn-Jahresvergleich hat sich die Altersstruktur der Tatverdächtigen in diesem Bereich deutlich gewandelt, so das Fazit im Sicherheitsreport 2022. So waren im Jahr 2013 unter 556 ermittelten Tatverdächtigen lediglich 19 Kinder, 95 Jugendliche und 72 Heranwachsende. Im vergangenen Jahr waren unter den 626 ermittelten Tatverdächtigen 33 Kinder, 164 Jugendliche und 66 Heranwachsende.

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Die Jugendlichen treffen sich in ständig wechselnder Zusammensetzung an immer wechselnden Orten in der Stadt. Im vergangen Dezember war es beispielsweise das Viertel um den Pasinger Bahnhof, das immer wieder mit Prügeleien, Diebstahl und Raubüberfällen unter Jugendlichen auffiel. Auch in Riem sorgten zuletzt immer wieder Teenager für Ärger und versetzten die Anwohner in Angst.

Sogar Polizisten wurden an den Riem Arcaden zum Jahreswechsel gezielt mit Raketen und Böllern attackiert. Tage später wurde ein Feuerwerk unmittelbar neben der Polizeiinspektion gezündet.

Taten gehen viral: "Sie brüsten sich regelrecht mit ihren Taten"

Die Jugendlichen filmen ihre Taten mit ihren Handys und stellen die Videos anschließend ins Netz. "Sie brüsten sich regelrecht mit ihren Taten", sagt Erwin Frankl. Auffallend sei die zunehmende Gewaltbereitschaft. Oft werden die Opfer sogar noch von den Tätern verhöhnt und gedemütigt: Die Opfer hätten ihnen gegenüber keinen Respekt gezeigt, manche werden sogar gezwungen, sich bei den Schlägern und Dieben zu entschuldigen. Es gehe den Tätern darum, "Macht zu demonstrieren", so Erwin Frankl.

 

Oft sind die Tatverdächtigen noch Schüler oder Auszubildende. Sie haben es auf Geld, Handy, teure Kopfhörer oder Designerjacken abgesehen. Auch um Marihuana und andere Drogen geht es oft. Am Rosenheimer Platz wurde ein 17-Jähriger nach einem missglückten Drogendeal im Dezember 2021 erstochen. Die erst 15 und 16 Jahre alten Täter wurden im Dezember 2022 wegen Totschlags und versuchten Raubs mit Todesfolge vom Jugendgericht zu hohen Haftstrafen verurteilt.

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Im August 2022 trafen sich ein 21-Jähriger und sein Freund (16) in Riem, um von Jugendlichen Drogen zu kaufen. Es kam zum Streit. Am Ende war der 21-Jährige tot. Vier Verdächtige sitzen seitdem in U-Haft und warten auf ihren Prozess.

Zehn-Jahres-Hoch bei Raubdelikten in München

Im vergangenen Jahr registrierte die Münchner Polizei 4.510 Straftaten wie Mord, Totschlag, Körperverletzung, Raub und sexuelle Übergriffe - eine Zunahme von 29 Prozent im Vergleich zu 2021. Auch im Vergleich zu 2019 noch immer eine Zunahme um 16,6 Prozent. Innerhalb der Gewaltkriminalität haben die Raubdelikte nach Angaben des Präsidiums mit 703 Taten sogar ein Zehn-Jahres-Hoch in München erreicht.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 26 versuchte und elf vollendete vorsätzliche Tötungsdelikte in München registriert, das sind neun weniger als 2021. Bis auf ein versuchtes Tötungsdelikt konnten in allen Fällen die Tatverdächtigen ermittelt werden.

Die Corona-Pandemie hat auch der Trend zur Verlagerung von Straftaten ins Internet weiter beschleunigt. Gegenüber 2019 registrierte die Polizei teils drastische Steigerungen. Bei Cyber-Kriminalität verzeichnete die Münchner Polizei einen Anstieg um rund 64 Prozent.

Cybercrime und Sexualverbrechen nehmen zu

Die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, also Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und ähnliche Delikte sind um 14,2 Prozent gestiegen. Besonders extrem nahmen 2022 die Verfahren wegen der Verbreitung von kinder- und jugendpornografischer Inhalte zu. In Zeiten von Corona gab es ein Plus von schier unglaublichen 131,4 Prozent, so die jüngste Kriminalstatistik.

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Aus diesem Grund hat das Polizeipräsidium bereits im vergangenen Jahr ein eigenes Kommissariat, das K 17 zur Bekämpfung von Kinderpornografie, eingerichtet.

Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte stieg 2022 auf 348 Fälle (ein Plus von 14,9 Prozent). Die ermittelten Tatverdächtigen sind zu 94,1 Prozent Männer. Es handelt sich dabei um ein Spektrum quer durch die Gesellschaft vom minderjährigen Schüler bis zum Rentner, vom Handwerksmeister bis zum Mediziner.

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45 Kommentare
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  • Himbeergselchts am 19.03.2023 01:28 Uhr / Bewertung:

    Was soll die Verwunderung? In aller Welt sind bei Jugenddelinquenz die Jungs um ein mehrfaches in der Überzahl. Inzwischen haben 39% der Kinder und Jugendlichen an Deutschlands Schulen einen Migrationshintergrund, ein großer Teil kam seit 2015. Und zu 75-80% Jungs.
    Wer glaubt, dass da die Kriminalstatistik nicht steigt hat Balken vor dem Kopf.
    Wo mehr Menschen leben passiert mehr (wovon auch immer). Und je mehr wir zusammengepfercht leben, desto größer sind Gefahren für Streit, heftige Auseinandersetzungen und Gewalt. Das ist doch logisch.

  • Dimpfe am 18.03.2023 22:12 Uhr / Bewertung:

    Ist doch kein Wunder. Selbst für Verbrechen wie Raub gibt es für Jugendliche nur milde Kuschelstrafen.

    Eine Strafrechtsreform wäre schon lange nötig.
    - Strafmündig ab 12
    - Jugendstrafrecht bis 16, Ausnahmefälle bis 18

    Dann wäre schnell Schluss damit, wenn ein 17-Jähriger Räuber dann mal mindestens 6 Monate (minderschwerer Fall) ins Gefängnis muss, statt nur ein paar Sozialstunden "aufgebrummt zu bekommen".

    Es ist völlig unveständlich, dass gefordert wird, Wahlrecht ab 16 umzusetzen, aber beim Strafrecht noch das milde Jugendstrafrecht "wegen fehlender Reife" bis 21 gilt. Wer reif genug sein soll, via Wahlen über die Zukunft des Landes zu entscheiden, der ist mit 16 auch reif genug, die Folgen einer Straftat in vollem Umfang erdulden zu müssen.

  • muc_original_nicht_Plagiat! am 18.03.2023 19:05 Uhr / Bewertung:

    ich bin ein Verfechter des Prinzips der Abschreckung durch drastischere Strafen - die dann aber auch konsequent, am oberen Rahmen des Strafmaßes, verhängt werden müssen- außerdem Abschaffung des Jugendstrafrechts, dringend!
    Wenn die Gesellschaft verroht, muss die Justiz darauf entsprechend reagieren.

    Für mich bleibt das große Problem, dass wir in Deutschland verstärkt die Täter zu erklären versuchen, und die Opfer zunehmend alleine gelassen werden. Heißt: Täterverständnis vor Opferschutz

    Mir ist klar, dass diese Thematik sehr stark polarisiert - kann also gut damit leben, wenn Foristen eine andere Einstellung zum Thema haben. Ist sicher auch in aller Kürze hier nicht abzuhandeln, weil es ein vielschichtiges Thema ist.
    Aber meine Grundeinstellung habe ich dargestellt.

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