April 1948: Währungsreform in München - Einführung der D-Mark

Verunsicherung, Hoffnung, Hunger: AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz erinnert sich hier an die Tage der Währungsreform in München vor genau 70 Jahren.
von  Karl Stankiewitz
Münchner warten geduldig in der Marienstraße auf die Ausgabe der ersehnten neuen D-Mark. 30 Millionen Mark wurden an jenem Sonntag an rund 750 000 Einwohner bar ausbezahlt.
Münchner warten geduldig in der Marienstraße auf die Ausgabe der ersehnten neuen D-Mark. 30 Millionen Mark wurden an jenem Sonntag an rund 750 000 Einwohner bar ausbezahlt. © Bayerische Staatbibliothek/Bildarchiv

München - München hungerte – noch drei Jahre nach Kriegsende. Noch einmal wurde die Zuteilung der auf 67 verschiedenen Marken ausgewiesenen Lebensmittel gekürzt, auf karge 1.275 Kalorien pro Kopf und Tag.

Im April 1948 mussten die städtischen Bühnen wegen Hungerausfällen im Ensemble schließen. Im Mai demonstrierten vor der Feldherrnhalle etwa 10.000 Hausfrauen mit Plakat-Slogans wie "Wir wollen Brot, keine Kalorien", während es in Freimann zu wilden Streiks der Reichsbahnarbeiter kam. Der folgende Monat jedoch brachte die Wende, die dem Nachkriegselend ein Ende machen und das später so oft glorifizierte "Wirtschaftswunder" einleiteten sollte.

Geldwechsel Vorschrift: AZ berichtet vom Chaos in Banken

20. Juni 1948. Der mit Spannung erwartete "Tag X", die Währungsreform, war obendrein ein – wenn auch verregneter – Sonntag. Unter strenger Geheimhaltung und Bewachung hatten versiegelte Lastwagen der amerikanischen Armee und Züge über Nacht druckfrische Banknoten und Münzen tonnenweise aus der vorübergehenden Zwei-Zonen-Hauptstadt Frankfurt zu den Umtauschstellen der bayerischen Hauptstadt transportiert. Dort standen die ersten Leute schon seit dem Vorabend an. Bis zum Morgen waren lange Schlangen unter Regenschirmen versammelt.

Vom letzten Freitag vor dem für alle Bürger vorgeschriebenen Geldwechsel meldete die AZ einen großen Andrang in Banken und Sparkassen. Bis zum Geschäftsschluss herrschte ein unerwartetes Chaos. Im Ungewissen, wie sich der verkündete Geldumtausch im Einzelfall auswirken könnte, hoben viele Münchner ihre Guthaben ab, andere zahlten hohe Beträge ein. Und Spekulanten kauften scheinbar wertbeständiges, weil metallisches, Kleingeld zum Kurs 1:1000 auf.

Siegfried Sommer: Letzte müde Reichsmark fließt in Alkohol

Auf Teufel komm raus wollten viele Münchner schnell noch ihr altes Geld vor der Entwertung loswerden. Bei den Friseuren seien sie angestanden, um ihre Haare "auf Vorrat" schneiden zu lassen, berichtete der Lokalreporter "So". Andere unternahmen Dauerfahrten mit der Straßenbahn. Und nicht wenige setzten ihre "letzte müde Reichsmark in alkoholische Getränke um", wusste So. Dieser war kein anderer als der Kriegsheimkehrer Siegfried Sommer, der später als "Blasius der Spaziergänger" noch zahllose lustige und traurige "Verserl" für diese Zeitung schreiben wird.

Verunsicherung war mindestens so verbreitet wie Hoffnung – und Hunger. Die meisten Geschäfte hatten zuletzt sogar Grundnahrungsmittel gehortet. Lebensmittelmarken, auf die es unter anderem zwei Eier geben sollte, wurden nur zögernd angenommen. Bäcker verkauften ihr Brot nur noch in kleinen Laiben.

Am Samstag waren noch einmal 17.000 Studenten mit Trillerpfeifen und Sprechchören durch die Stadt gezogen; sie nannten es Hungermarsch. Amerikanische Militärpolizisten, deren Aufgabe der Schutz der Aktion Währungsreform war, hielten die Demonstranten auf, drängten sie von der Ludwigstraße ab.

Endlich wieder gutes Geld: die D-Mark

Endlich war nun also wieder gutes Geld da: die "Deutsche Mark". Bald kannte man sie nur noch als "D-Mark" oder "DM". Nie zuvor wurden in München derart hohe "Umsätze" gemacht: 30 Millionen Mark wurden an jenem Sonntag von rund 5.000 städtischen Angestellten und Beamten an rund 750.000 Einwohner bar ausbezahlt. Eingenommen und wenig später eingestampft wurde die zehnfache Menge wertlos gewordener Reichsmarkscheine, während die alten Münzen eingeschmolzen wurden.

"Wirtschaftswunder": Ein neues Zeitalter bricht an

Und siehe da: Über Nacht waren die Schaufenster wieder voll von solider Ware. Ein neues Zeitalter der materiellen Werte konnte beginnen – später wird man es "Wirtschaftswunder" nennen.

An kultureller Substanz andererseits ging so manches an jenem 20. Juni 1948 vorläufig verloren: Einige Theater und Buchverlage mussten schließen. Für dergleichen hatten nun viele Münchner kein Geld übrig. Und nicht wenige verloren viel brav erspartes Kapital: Nur zehn Prozent vom alten Geld wurde in neues umgetauscht.

Außerdem durfte jeder Bürger der drei Westzonen von seinem Ersparten 40 Deutsche Mark in Empfang nehmen – eine Art Begrüßungsgeld. Ungeschoren davon kamen nur die Leute, die es gar nicht nötig hatten, wegen vier Scheinen im strömenden Regen an den Ausgabestellen zu warten: die Besitzer von Sachwerten (Ländereien, Immobilien) oder Produktionsmitteln (Fabriken).

Dies und die schier abgöttische Verehrung vieler Menschen für die neue Währung regte den damals 19-jährigen Gymnasiasten Dieter Hildebrandt noch viele Jahre später auf – und zur Satire an. "Kopfgeld" hieß das erste Geld ganz offiziell. Dafür kaufte ich mir, inzwischen bei der Zeitung, auf der Stelle etwas vermeintlich Wertbeständiges: eine Lederhose. Das gute Stück aus ungarischem Pferdeleder erbat sich 70 Jahre später das Haus der Bayerischen Geschichte, um es in seinem Museum in Regensburg auszustellen – in der Abteilung Währungsreform.

Über Nacht wurden aus Versorgungsberechtigten Konsumenten

Das Startgeld wirkte wie eine Initialzündung. Die Schornsteine begannen wieder zu rauchen. Endlich konnte man wieder feine Kleidung kaufen und den Bauch mit lange vermissten Genüssen füllen statt mit zugeteilten Kalorien. Aus "Versorgungsberechtigten" wurden über Nacht "Konsumenten". Keine Biermarken mehr und keine Magermilch, kein Schwarzmarkt mehr mit Fantasiepreisen und Razzien. "Dass nunmehr unser Wirtschafts- und Arbeitsleben zur Ehrlichkeit zurückfindet", erwartete die bayerische Staatsregierung.

Allerdings kletterten die DM-Preise allzu rasch und meist unbegründet. Einmal griffen verärgerte Hausfrauen die Eier aus den Kisten auf dem Viktualienmarkt und warfen sie den flüchtenden Standlfrauen nach. Die Wirtshäuser blieben noch eine Weile ziemlich leer: Die Halbe sollte jetzt 32 Pfennig kosten – so viel wollte man doch nicht für den "Plempl" ausgeben. Ein Kilo Rindfleisch kostete gar 2,22 DM.

Ein neues System war da: die Soziale Marktwirtschaft. Über ihre politische und soziale Relevanz wird heute noch – oder wieder – diskutiert.

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