"Am Ende werden wir weniger Parkplätze haben": München zieht Bilanz aus umstrittenem Verkehrsversuch an der Kolumbusstraße
München - Der Verkehrsversuch in der Kolumbusstraße in der Au hat den ganzen Sommer über hohe Wellen geschlagen und für viele Schlagzeilen gesorgt. Eine Straße mit Rollrasen und Hochbeeten, Spielplätzen für Kinder und: ohne Autos. Einige Anwohner und Nachbarn fanden den Versuch so daneben, dass sie dagegen geklagt haben. Die Versuchsphase endete mit einem Vergleich vor Gericht und wurde eine Woche früher als geplant am 25. Oktober beendet. Wie es mit dem Thema weitergeht und welche Lehren die Beteiligten daraus ziehen, wollte die AZ im Gespräch mit den Verantwortlichen herausfinden.
AZ: Herr Dunkel, das sogenannte Reallabor in der Kolumbusstraße, das im Sommer für viele Diskussionen und Schlagzeilen sorgte, ging früher als geplant zu Ende. Aber erstmal grundsätzlich: Warum machen Sie das überhaupt alles?
GEORG DUNKEL: Wenn wir unser Mobilitätsverhalten nicht verändern, sind wir in einigen Jahren nicht mehr nur Stauhauptstadt, sondern Stadt im Dauerstau. Wir haben dazu die Mobilitätsstrategie 2035 entwickelt und der Stadtrat hat sie beschlossen, um davon wegzukommen.
Verkehrsprojekt an der Münchner Kolumbusstraße: Mobilität in der Stadt muss effizienter organisiert werden
Und die beinhaltet?
GD: Dass wir einen guten Mix hinbekommen. Wie schaffen wir es, die Mobilität effizienter zu organisieren, aber auch die Räume lebenswerter und mehr Grün in die Straßenräume zu bekommen. Das heißt: Wir müssen die Umverteilung der Straßenräume aushandeln.
OLIVER MAY-BECKMANN: Das Projekt Kolumbusstraße ist auch nicht vorbei, es ist eingebettet in ein größeres Projekt, das neun Jahre lang geht. Wo wir Innovationen entwickeln für die Mobilitätswende und testen, wie sie funktionieren kann. Allein die Kolumbusstraße ist eines von 14 Projekten, die wir im Augenblick parallel durchführen.

Und da läuft jetzt noch die Analyse, sagen Sie. Können Sie trotzdem schon etwas verraten, was gut lief und was vielleicht weniger?
GD: Wir haben auf der einen Seite einen sehr großen positiven Zuspruch bekommen, hatten aber auch viele Kritiker – und das ist auch ein wichtiges Ergebnis. Wie können wir die Diskussionen verbessern? Wie schaffen wir es, frühzeitiger die Menschen im Boot zu haben, dass sie sich mitgenommen fühlen? Diese Lehren müssen wir auch ziehen.
Gericht stoppt Münchens Verkehrsexperiment: Die Macher sehen keine Probleme
Der Versuch wurde wegen eines Vergleichs vor Gericht fünf Tage vor dem eigentlich geplanten Ende abgebaut. Hat das Konsequenzen für künftige Versuche?
OMB: Für uns ist es total spannend, was da passiert ist. Es sind die realen Umstände, unter denen Mobilitätswende in der Stadt stattfinden kann – oder auch nicht. Im besten Fall können wir der Stadt und anderen Entscheidern bessere Handlungsempfehlungen geben, damit künftig bessere und schnellere Entscheidungen getroffen werden können.

Das werten Sie also nicht als Niederlage?
OMB: Nur so funktioniert ein Reallabor. In der Theorie am Tisch kann man nicht alles bedenken. Wir lernen gerade sehr viel darüber, wie wir die Mobilitätswende tatsächlich hinbekommen können.
Trotzdem hat der Vergleich auch Grenzen aufgezeigt.
GD: Die Kommunen tun gerade bundesweit alles, dass klarer definiert wird, wie eine Experimentierklausel ausgestattet werden muss. Damit Kommunen wissen, was sie dürfen und was nicht. Wir brauchen da mehr Gestaltungsspielraum in der Straßenverkehrsordnung. Wir wissen mit den Bezirksausschüssen und dem Stadtrat am allerbesten, was geeignete Maßnahmen wären.
Streit um gestrichene Parkplätze dominiert die Debatte
Die auch medial stark geprägte Diskussion wurde oft eingedampft auf das Thema Parkplätze Ja/Nein. Ist das nicht zu kurz gedacht?
BENEDIKT BOUCSEIN: Ja. Wir haben in der Kolumbusstraße beobachtet, dass die Leute mehr in Interaktion gekommen sind. Die war zum Teil auch konfliktbehaftet, aber bei weitem nicht nur. Es hat mich als Städtebauer gefreut, dass wir gemerkt haben, dass das Quartiersleben profitiert.

Worum geht es denn noch neben Parkplätzen im öffentlichen Raum?
GD: Es geht natürlich um viel mehr. Wir möchten den Fokus darauf legen, was wir in den Quartieren schaffen müssen, damit man auf das eigene Auto zunehmend verzichten kann, ohne, dass es von heute auf morgen verboten ist. Am Ende werden wir weniger Parkplätze haben. Wir wollen Fußverkehr, auch für die Gastronomie, mehr Parkplätze für Fahrräder und mehr Fahrradwege. Und mehr Flächen für Lieferverkehr, da haben wir ein Problem in München.
Stadt München will mehr Plätze mit Car- und Bikesharing testen
Was sind da ganz konkrete Schritte, die die Stadt macht?
GD: Wir fangen jetzt an, mit den Mobilitätspunkten ein konkretes Angebot an geteilter Mobilität zu machen. Das sind Punkte, die das vielfältige Mobilitätsangebot bündeln, wie Car- oder Bikesharing. 200 dieser Punkte errichten wir im Stadtgebiet bis 2026. Aber nur mit Angeboten wird es nicht gehen, es wird auch Einschränkungen geben.
OMB: Die Mobilitätswende ist so komplex, dass diese Reduktion der Diskussion auf Parkplätze dem nicht gerecht wird. Das sind verschiedene Ebenen, die so nicht zusammenpassen. Uns geht es darum, zu erforschen wie das Leben in der Stadt künftig aussehen kann.
Schlussendlich geht es um eine Verhaltensänderung und um eine veränderte Infrastruktur, sagen Sie. Sind die Stadt und ihre Bewohner dafür schon bereit?
BB: Wir sind als Gesellschaft in einer Zwischenphase. Deswegen sind wir auch froh, mit diesem Forschungsprojekt mit drin zu sein. Das soll auch dazu dienen, dass Ideen generiert werden und sich zum Beispiel Start-ups gründen, die bei der Mobilitätswende helfen.
Münchner ändern ihr Verhalten nicht radikal, doch Verhaltensanreize für nachhaltige Mobilität sind erforderlich
Und was haben die Münchner davon?
BB: Für München ist es sehr positiv, dass es hier passiert und nicht woanders, weil die Firmen dann hier hervorkommen und die Lösungen viel mit München zu tun haben.
Aber Veränderung braucht Zeit. Wie wollen Sie das hinkriegen?
GD: Wir sind als Menschen am Ende träge und wir werden unser Verhalten nicht radikal verändern. Das müssen wir auch nicht. Aber wir müssen noch schmackhafter machen, was wir dadurch gewinnen. Und das, was wir negativ bewerten, weniger schmackhaft machen.

Sie sprechen das Beispiel des Anwohnerparkausweises an, der aktuell in München 30 Euro im Jahr kostet.
GD: Ja, das wird gerade diskutiert. Es ist klar, dass diese zehn bis zwölf Quadratmeter für ein ganzes Jahr mehr Wert haben als diese Summe. Der sollte deutlich teurer werden, wir haben hierzu aber noch keine Freigabe des Freistaats. Damit beginnt dann hoffentlich das Grübeln in den Köpfen nach Alternativen.
Anwohnerparkausweise sollen in Zukunft mehr kosten
Und Sie sehen Carsharing als wichtiges Zukunftsmodell?
OMB: Wenn wir es mit solchen Projekten erfahrbar machen können, was es zum Beispiel bedeutet, wirklich auf Carsharing zu setzen statt auf das eigene Auto, können wir so vielleicht eine Verhaltensänderung anstoßen.
Was steht am Ende dieses Prozesses?
BB: Wir laden dazu ein, darüber nachzudenken, was man davon haben kann, wenn in der eigenen Straße eine Gemeinschaft entsteht. Wenn ich mehr Grün habe, aber trotzdem alle Angebote, die ich brauche. Und wenn im Straßenraum auch die Kinder mehr Platz haben und anfangen, sich den anzueignen. Und alle anderen trotzdem zufrieden sind.
Wenn die Stadt München wachsen will, müssen die Bürger ihr Mobilitätsverhalten ändern
Das Reallabor Kolumbusstraße ist aber nur ein kleiner und auch kurzer Teil davon?
OMB: Wir haben mit diesem Projekt, das eine Ausschreibung der Bundesregierung ist, skizziert, was wir in diesen neun Jahren herausfinden wollen: Wie wir die Qualität der Luft, der Zeit und des Raums verbessern. Das alles zusammen ist schon ein optimistisches Bild. Aber hier in München können wir die richtigen Akteure zusammenbringen.
GD: Im Fokus steht die lebenswerte Stadt für die Menschen. Verbunden mit der mathematischen Notwendigkeit: Wenn wir weiter wachsen wollen, müssen wir unser Mobilitätsverhalten verändern. Die Voraussetzungen dafür bietet unsere Stadt aber.
- Themen:
- München