Interview

Alt-OB Christian Ude über weibliche Genitalverstümmelung: "Diese Operateurinnen sind Verbrecherinnen"

Ex-OB Christian Ude kämpft gegen weibliche Genitalverstümmelung. Zum Internationalen Tag dagegen hält er in München einen Vortrag über seine Eindrücke aus Burkina Faso.
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Christian Ude (r.) an der Schule Wend Songda in einem Slum der Hauptstadt Ouagadougou.
Christian Ude (r.) an der Schule Wend Songda in einem Slum der Hauptstadt Ouagadougou. © Walter Korn

München - AZ-Interview mit Christian Ude: Münchens früherer Oberbürgermeister (75) ist vor kurzem mit seiner "Schutztochter" Fadumo Korn, die selbst von Genitalverstümmelung betroffen war und den Verein Nala gegründet hat, nach Westafrika gereist. Die Münchner Aktivistin war es auch, die ihn auf die brutale Tradition aufmerksam gemacht hat.

AZ: Herr Ude, warum setzen Sie sich gegen weibliche Genitalverstümmelung ein?
CHRISTIAN UDE: Weil es zu den entsetzlichsten Skandalen der Gegenwart gehört. Nicht nur in ganzen Landstrichen Afrikas, sondern auch im asiatischen Raum wird diese barbarische Tradition noch praktiziert. Man macht diese Verstümmelung ohne schlechtes Gewissen, einfach weil man es für eine Tradition hält. In Burkina Faso habe ich gelernt, dass manche Mütter es an ihren Töchtern durchführen lassen – in dem Irrglauben, dass ihre Kinder ohne den Eingriff keine Kinder bekommen können. Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Vermeintliche Gründe dafür können auch soziale Achtung im Dorf und Respekt der Verwandtschaft gegenüber sein.

Verstümmelung mit rostigen Nägeln und schmutzigen Scherben

Können Sie sich erklären, warum die vermeintliche Tradition so verwurzelt ist?
Ich teile die Einschätzung, dass ganz am Anfang männliche Dummheit und Aggression dahintersteckte und Männer glaubten, Frauen so besser unter Kontrolle zu haben. Das Verrückte ist jedoch, dass es jetzt zumeist von Frauen praktiziert wird. Mit rostigen Nägeln und schmutzigen Glasscherben. Diese Operateurinnen sind für mich Verbrecherinnen. Man kann es heute also nicht mehr nur als männlichen Übergriff bewerten. Ich habe mich auch ausführlich damit beschäftigt, ob es religiöse Ursprünge gibt. Das ist nicht der Fall.

Wie war das bei Ihrer Reise in Burkina Faso mit der Aktivistin Fadumo Korn Anfang Januar – kann man das Thema vor Ort offen ansprechen oder ist das tabuisiert?
Es ist ein unangenehmes und schwieriges Thema, aber ich war an Schulen und in Dörfern, wo es schon Aufklärungsaktionen gibt. Dort kann man offen darüber sprechen. Ich habe auch miterlebt, wie Frauen vor Publikum hervortraten und mit lauter, selbstbewusster Stimme erzählten, was sie erlitten haben und warum sie Mädchen raten, sofort Hilfe zu suchen, wenn Angehörige so etwas planen. Diese Frauen wollen die nächste Generation vor dem Leid schützen. Auf der anderen Seite habe ich auch Ortsteile, sogar in der Hauptstadt, gesehen, wo mit Stolz verkündet wurde, die Beschneidungsquote sei von 85 auf 65 Prozent gesenkt worden. Man kann es kaum glauben: Das ist ja immer noch eine Zweidrittel-Mehrheit! Man muss zudem bedenken: Der ländliche Raum wird in Burkina Faso besonders vom islamistischen Terror bedroht. Eine Woche nach unserer Abfahrt sind 50 Mädchen von Islamisten als Geiseln genommen worden. Nur eine Woche später! Das berührt einen viel elementarer, wenn man Mädchen im betroffenen Alter gerade noch beim Spielen, Singen, Batiken erlebt hat.

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Wie lautet Ihr Fazit zur Reise?
Es war ermutigend, wie viele Lehrerinnen und Lehrer sich der Aufgabe der Aufklärung verpflichtet fühlen, und auch, dass immer mehr betroffene Frauen am eigenen Beispiel zeigen, welch entsetzliches Leid dadurch passiert. Insgesamt war ich begeistert, dass man in einem Land von beschämender Armut auf Menschen mit unglaublicher Freundlichkeit und Heiterkeit trifft.

Der Eingriff wirkt sich psychisch und physisch aus – lebenslang

Am kommenden Montag, 6. Februar, ist der Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. An diesem Tag werden Sie einen Vortrag zum Thema und Ihrer Reise nach Burkina Faso halten. Welche Themen werden Sie behandeln?
Ich werde mich unter anderem kritisch mit europäischer Arroganz auseinandersetzen.

Inwiefern?
Manche sagen, wir haben Afrika so viel angetan – was stimmt – , deswegen sollten wir dort überhaupt nicht mehr als Ratgeber auftreten. Ich halte das für nackten Zynismus. Sich zurückziehen und nicht bei der Aufklärung helfen, obwohl wir die Mittel dazu hätten, ist eine abwegige Argumentation, die ich kaum ertrage. Der zweite Punkt ist, dass manche aus antisemitischer oder antiislamischer Einstellung heraus sagen, Beschneidung von Buben oder Mädchen sei doch dasselbe. Man müsse dann konsequent auch bei Buben dagegen sein oder den Mund halten. Das ist eine unglaubliche Verdrehung. Man kann von mir aus auch gegen männliche Beschneidung sein, weil es auch ein körperlicher Eingriff ist. Aber es ist etwas vollkommen anderes und in keiner Weise mit der Genitalverstümmelung bei Frauen zu vergleichen. Bei den Frauen sterben sogar viele Betroffene daran und der Eingriff wirkt sich psychisch und physisch aus – lebenslang.

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Was kann man in München und Bayern konkret dagegen tun?
Ich halte die Arbeit des kleinen, aber sehr rührigen Vereins Nala e.V. für Bildung gegen Beschneidung für genau die richtige Antwort. Sie schicken neben vielen Hilfen bei Ernährung und Gesundheit Volunteers in die Dörfer. Schon kleine Spenden können viel bewegen. Dieter Hildebrandt beispielsweise hatte einen Preis von 3.000 Euro für den Kauf von 22 Nähmaschinen verwendet und damit 22 Mädchen eine Ausbildungs- und Existenzgrundlage geschaffen.

Haben Sie in Burkina Faso auch anklingen lassen, dass Sie früher der Oberbürgermeister von München waren?
Ja, das wurde immer erwähnt. Das ist natürlich die Demütigung, die einem Löwen-Fan nie erspart bleibt, wenn alle sofort bewundernd sagen: Oh, Bayern München! (lacht)


Christian Ude über seine Reise nach Burkina Faso: Montag, 6. Februar, um 19 Uhr im Kulturzentrum LUISE, Ruppertstraße 5, U3/U6 Haltestelle Poccistraße

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  • Rudi B. am 04.02.2023 18:41 Uhr / Bewertung:

    "Immer mehr Fälle von Genitalverstümmelung in Deutschland." (Ärzteblatt)
    Dazu kein weiterer Kommentar.

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