Advent unter Corona-Bedingungen: Gemeinde auf Abstand

Kirchenkonzerte, gemeinsame Adventsfeiern - das alles fehlt heuer. Wie eine Pfarrerin und ein Pfarrer sich im Advent trotz Krise um die Menschen kümmern wollen.
Helena Ott |
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Michael Schlosser, Pfarrer in der Mariahilfkirche, hat die Marienstatue aus einer Seitenkapelle geholt und neben den Altar gestellt - damit Menschenbei ihr beten können, ohne sich zu nahe zu kommen.
Michael Schlosser, Pfarrer in der Mariahilfkirche, hat die Marienstatue aus einer Seitenkapelle geholt und neben den Altar gestellt - damit Menschenbei ihr beten können, ohne sich zu nahe zu kommen. © Daniel von Loeper

München - Zielstrebig läuft der Gemeindepfarrer aus der Au durch das Kirchenschiff der Mariahilfkirche auf die hell angeleuchtete Marienstatue zu. Angekommen macht Michael Schlosser ein zuversichtliches Gesicht. "Die hat schon ganz andere Seuchen überstanden, die Pest, Cholera", sagt der katholische Pfarrer.

Marienstatue in der Mariahilfkirche ist umgezogen

Um 1630 sollen in München etwa 7.000 Menschen an der Pest gestorben sein. Die Statue ist also krisenerprobt. Als die Pandemie im Frühjahr ausbrach, hat Schlosser sie versetzen lassen. Von einer kleinen, engen Seitenkapelle, rechts vorne vor den Altar.

Menschen, die mit ihren Sorgen kommen und eine Kerze anzünden oder ins dicke Fürbittbuch schreiben wollen, sollen keine Angst haben müssen, sich zu nahe zu kommen. Täglich von 8 bis 18 Uhr steht die Kirche für Besucher offen. "Wir lassen jetzt niemanden alleine", sagt Schlosser. Seine Arbeit hat sich verändert. In der zweiten Infektionswelle, in der dunklen Jahreszeit, im Advent gilt das besonders.

Corona-Pandemie hat das Gemeindeleben auseinandergepflückt

Statt wöchentlichem Adventsfrühstück, Adventsfeiern und feierlichen Konzerten, hat die Pandemie das Gemeindeleben auseinandergepflückt. "Früher waren wir mal traurig über diese riesige Kirche", sagt Michael Schlosser, "weil sie sich nie richtig füllen ließ". Jetzt ist der 63-Jährige froh, dass er bei den Adventsgottesdiensten niemanden abweisen muss. Gelbe Kärtchen in den langen Bankreihen weisen die weit auseinandergezogenen Sitzplätze aus.

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Auch wenn in Gottesdiensten jeder für sich betet und zuhört, verbindet die Besucher sonst der gemeinsame Gesang. "Jetzt wird kürzer, leiser und mit Mundschutz gesungen", sagt Pfarrer Michael Schlosser. Da freut er sich dieser Tage besonders über seinen Orgelspieler Bastian Fuchs, der auf "höchstem Niveau" spiele. Und damit bietet die Kirche in der Krise hier etwas Einzigartiges, nämlich Livemusik.

Im Corona-Advent gibt es Gottesdienste auf Abstand

Elf Kilometer weiter östlich betreut Pfarrerin Ulrike Feher die evangelische Gemeinde der Riemer Sophienkirche. Auch dort gibt es im Corona-Advent Gottesdienste auf Abstand. Das Adventsprogramm im Internet wurde erweitert: Auf die Pfarrei-Webseite wollen Feher und ihr Pfarreiteam Konzertvideos, eingesprochene Geschichten, Bastelanleitungen und Backrezepte stellen.

Ulrike Feher.
Ulrike Feher. © privat

Aber eine Tradition ist unersetzbar: das Krippenspiel. Eigentlich sei es mehr ein ganzes Theaterstück, mit 30 Darstellerinnen und Darstellern im Grundschul- bis Konfirmandenalter. "Wir hatten schon im Januar die ersten Anmeldungen für dieses Jahr", sagt die 57-Jährige am Telefon. Die zweite Welle macht das wuselige Schauspiel im Kirchenraum unmöglich. Stattdessen wird es nun am 24. Dezember eine krisenaktualisierte Weihnachtsgeschichte geben. Gespielt von nur drei Darstellern. "Aber das, was uns verbindet an Weihnachten, bleibt", sagt Ulrike Feher, "Jesus kommt trotzdem."

Adventsschnitzeljagd um in Weihnachtsstimmung zu kommen

In ihrer Gemeinde mit den Neubausiedlungen an der Messestadt leben viele junge Familien. Den Kindern will Feher ein bisschen was von der Vorfreude der stillen Adventszeit zukommen lassen. Dazu hat sich das Pfarreiteam eine Adventsschnitzeljagd ausgedacht. Eine Route durch den Riemer Park mit kleinen Rätseln, Texten und Suchaufgaben. Aber nicht altmodisch auf Papier, sondern für das Smartphone. Wer vorher kurz eine Schnitzeljagd-App runterlädt, kann mit seinen Kindern losziehen. Den Link dazu soll es bald auf der Pfarreiwebseite geben. An diesen Ort wird in diesem Jahr auch das traditionelle Adventskonzert verlagert, für feierliche Stimmung im kleineren Kreis, im eigenen Wohnzimmer.

Advent ist für Christen die Zeit zur Besinnung, "auf sich, auf Gott und auf die wichtigen Menschen im eigenen Leben", sagt Ulrike Feher. Aber das machten einem die vielen Adventsfeiern und das Rumgehetze in normalen Jahren nicht leicht, findet die Pfarrerin. Das Corona-Jahr könne da die Chance einer besonderen Adventszeit bieten. In der zwar viel Gemeinschaft fehle, aber in der es leichter ist "zu sich zu kommen".

"Harter Winter" für einsame Menschen, so Pfarrer Schlosser

Während es draußen Grad um Grad kälter wird, ist die Adventszeit durch die Schutzmaßnahmen künstlich eingefroren. Alltagsgewohnheiten sind unterbrochen. Soziale Kontakte beschränken sich auf nahe Familienmitglieder, enge Freunde. Für Menschen, die einsam sind, krank, oder in Krisensituationen, wird es dagegen ein "harter Winter", sagt Pfarrer Schlosser im Pfarrhaus hinter der Mariahilfkirche.

Mit großer Vorsicht und Abstand besucht er, wie auch die Pfarrerin in Riem, weiter alte Menschen zuhause, im Altenheim oder ruft sie an. Die Einzelgespräche seien mehr und intensiver geworden, sagt er. Und es gehe um grundsätzlichere Fragen: Lohnt es sich, auf Gott zu vertrauen, wenn er auf der anderen Seite eine solche Krise zulässt, bei der viele Menschen sterben?

Dienstags und donnerstags hat Pfarrer Schlosser zwei Stunden Sprechstunde, auch zur Coronazeit. Im Pfarrhaus gibt es einen großen Raum mit einem wuchtigen Holztisch, an dem man sich mit Abstand gegenüber sitzen kann. "80 Prozent von denen, die kommen, haben ein schweres Päckchen zu tragen", sagt Schlosser, sie seien arbeitslos, wohnungslos oder haben Krisen in der Familie. In der Pfarrei haben sie eine Liste mit Älteren, die alleine leben oder Kranken, die er und das Seelsorge-Team der Pfarrei regelmäßig durchtelefonieren.

Der Schwerpunkt hat sich verschoben: Auf die Seelsorge

Der Schwerpunkt seiner Arbeit hat sich diesen Advent verschoben. Die Seelsorge ist mehr geworden, die Adventsfeiern von Ministranten, Vereinen, Chören sind abgesagt. "Das Gesellige ist schon schön", sagt Schlosser", aber die Seelsorge sei für ihn als Pfarrer seine wichtigste Aufgabe. Auch an den Weihnachtsfeiertagen selbst will er sich Zeit zum Telefonieren reservieren. Denn die Mariahilf-Gemeinde hat eine Aktion. Jeder, der möchte, kann sich melden, um an Weihnachten einen Anruf vom Pfarrer oder anderen aus dem Seelsorge-Team zu bekommen. "Da kann man sich auch für Bekannte oder den Nachbarn melden, wenn man denkt, dass ihnen so ein Weihnachtsanruf gut tun würde", sagt Schlosser.

Trotzdem geht für ihn ein wichtiger Seelsorge-Baustein in diesem Jahr verloren. Das "Weihnachtsessen in der Au". Fünf mal hat es schon stattgefunden. Dabei haben Ehrenamtliche direkt am Abend des 24. Dezember ein großes Buffet für 250 Menschen hergerichtet. "Da kamen Hartz-IV-Empfänger, Wohnungslose, aber einmal war auch ein Student aus Genf da, der über Weihnachten nicht nach Hause fahren konnte", sagt Pfarrer Schlosser.

Aktion "Weihnachten aus der Tüte" gegen die Einsamkeit

Aber vergessen soll sich dennoch niemand fühlen. Deshalb gibt es in diesem Jahr "Weihnachten aus der Tüte". Dazu sammeln Ehrenamtliche Lebensmittelspenden und Drogerieprodukte. Wenn man in der Au und Untergiesing wohnt, kann man Name und Adresse auf der Pfarreiwebseite hinterlassen und bekommt an Weihnachten ein Päckchen vor die Tür gestellt.

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