Abhängige erzählt: "Du bist das Letzte für andere"

Im Bahnhofsviertel stehen an jeder Ecke Abhängige: Stefanie (34) ist heroinabhängig – und hat der AZ eine Welt gezeigt, die die meisten Münchner nicht kennen.
Jasmin Menrad |
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Rund um den Hauptbahnhof sind die Süchtigen zu finden. Sie wissen nicht, wo sie sonst hingehen sollten.
Sven Hoppe/dpa Rund um den Hauptbahnhof sind die Süchtigen zu finden. Sie wissen nicht, wo sie sonst hingehen sollten.

München - Die Männer mit den Bierflaschen an der Tramhaltestelle sind Druffies. Die hübsche Frau mit den schwarzen Haaren in der Landwehrstraße auch. Beim Schwammerl steht auch eine Gruppe. Junkies wollen sie alle nicht genannt werden. "Wir nennen uns selbst Druffies", sagt Stefanie (34, Name geändert), Mutter einer Tochter (12), seit einem Monat clean, die ausschaut, als würde sie in ihrem Kapuzenpulli ertrinken.

Fünf Tage die Woche geht sie um 9 Uhr durchs Bahnhofsviertel, um im Drogennotdienst bei Verein Prop in der Landwehrstraße Arbeitsstunden zu leisten. Weil Drogenabhängige nicht wissen, wo sie hingehen sollen, hängen sie im Bahnhofsviertel auf der Straße herum.


Der L43 Drogennotdienst ist der einzige Zufluchtsort für die Abhängigen. Foto: min

Hier hat sie sich in jedem Hauseingang und jeder Garage gespritzt

Eineinhalb Jahre lang hat sich das Leben von Stefanie nur um Heroin gedreht: "Du stehst mit Schmerzen auf, schwitzt und hast nur einen Gedanken: Heroin. Dann besorgst du dir Geld, um dir was zu kaufen. Du denkst dir, dass du morgen viel erledigen willst. Wenn du aufwachst, hast du wieder diese Schmerzen."

Bis vor vier Jahren hat Stefanie ein normales Leben geführt – ohne Drogen. Sie arbeitete im Einzelhandel. 18 Jahre lang war sie mit ihrem Mann zusammen, bis er sich umbringt. Stefanie findet keinen Therapeuten, hat Angstzustände und Depressionen. Da bietet ihr eine Bekannte an, ihr Heroin zu spritzen. "Ich hab Angst vor Nadeln", sagt Stefanie. Lernt dann aber, sich selbst zu spritzen.

Eineinhalb Jahre war Stefanie Teil der Szene um den Bahnhof. In der Landwehrstraße lacht sie bitter auf. "Hier hab ich mich echt schon in jedem Hauseingang und jeder Tiefgarage gespritzt." Suchttherapeutin Heike Zwanziger vom Prop kennt das. Einige Male ist sie mit dem Notfallkoffer losgerannt, weil ihr wer erzählt hat, dass jemand im Hinterhof in einer Tiefgarage liegt.

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Stefanie erklärt: "Um eine Vene zu finden, muss es warm sein. Mittlerweile spritzen sich viele in die Leiste, was ja auch sehr intim ist." Stefanie erzählt, wie ein Freund in einer Toilette umgekippt ist. Andere Drogenkonsumenten waren dabei, doch sie haben "was stecken", also Heroin dabei, und wollen deshalb nicht die Polizei rufen. "Wenn die am Telefon merken, dass du wegen Drogen den Krankenwagen rufst, schicken sie sofort die Polizei mit", sagt Stefanie. Deshalb hauen viele Drogenabhängige ab, wenn einer von ihnen umkippt.


In den Tiefgaragen setzen sich Abhängige Spritzen. Foto: min

Über eine der vielen Tiefgaragen kommt man auch in die Katakomben des Hauptbahnhofs. In dem Gängesystem sind Lagerräume und Zuliefereingänge. Es ist einer dieser Orte, an denen sie keiner beachtet. "Wenn du drogenabhängig bist, bist du das Letzte für die anderen", sagt Stefanie.

Sie entdeckt die Drogenabhängigen überall – Sendlinger Tor, Westend, Marienplatz und natürlich am Hauptbahnhof. Die Straßen rund um den Hauptbahnhof sind klar aufgeteilt: An einer Bahnhofsseite gibt’s Heroin, an der anderen nur Haschisch. Meist sind die Süchtigen laut, blenden das Drumherum aus, haben einen schroffen Umgangston. "Ist klar durch das Leben, das sie führen. Das Klima in der Szene ist rauer geworden", sagt Zwanziger.

"Man fühlt sich total asozial"

135 Klienten-Kontakte haben sie im Prob in der Landwehrstraße am Tag. Hier gibt’s frische Spritzen, ein offenes Café, Beratung und eine Notschlafstelle. Jeder darf herkommen – egal in welchem Zustand. Etwa tausend unterschiedliche Menschen kommen im Jahr. Tendenz steigend.

Stefanie möchte raus aus der Szene. "Mein größter Wunsch ist, dass meine Tochter und ich wieder zusammenleben." Nach neun Monaten Sucht hatte Stefanie selbst das Jugendamt informiert. Das Amt hat ihr die Tochter weggenommen. Deshalb will Stefanie in stationäre Therapie gehen. "Aber ich weiß nicht, wohin ich mit meinen drei Katzen soll, wenn ich vier Monate weg bin."

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Jetzt hat das Tierheim seine Hilfe angeboten. Sie würden sich um ihre Katzen kümmern, sollte Stefanie in stationäre Therapie geht. Stefanie übernimmt dafür die Kosten. Am besten wäre es für die Tiere, wenn sie in eine Pflegestelle kommen würden. Wer Zeit hat, ein Pflegetier aufzunehmen und für diesen Zeitraum die Verantwortung für das Tier zu übernehmen, der meldet sich per Mail unter s.giltner@tierheim-muenchen.de

Hilfe hat Stefanie sonst nur aus dem Drogennotdienst bekommen. "Manche Polizisten behandeln uns wie Dreck. Aber wo sollen wir denn hin?" Typisch für die bayerische Drogenpolitik: Die Menschen werden verdrängt. "Man fühlt sich total asozial", sagt Stefanie.

Heike Zwanziger fordert Drogenkosumräume für ihre Klienten: "Dort können sie unter hygienischen Bedingungen und unter Aufsicht konsumieren." In Bayern ist das politisch nicht erwünscht. Süchtige sollen unsichtbar sein: in Hauseingängen, Hinterhöfen und Tiefgaragen.


München: Schon der fünfte Drogentote in diesem Jahr

Am Samstag wurde ein Münchner (21) tot in seiner Wohnung gefunden. In seinem Umfeld fand die Polizei Fixer-Utensilien, die auf einen Rauschgift-Konsum hindeuteten. Die ärztliche Untersuchung des Leichenbeschauers bescheinigte eine Rauschmittelvergiftung. Damit ist der Verstorbene der fünfte Drogentote in München in diesem Jahr. Im Vergleichszeitraum 2015 waren es neun, 2016 sieben.

<img alt= woanders. (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken.) Foto: min

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