Abgas-Skandal: So belastet ist München

Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe fordert die Politik auf, endlich zu handeln. Stickoxid-Katalysatoren müssten flächendeckend zum Einsatz kommen.
von  Eva von Steinburg
Ein Diesel-Auto verpestet die Luft: Hier rußt es aus dem Auspuff wie aus einem Kamin. Was man nicht sieht, sind die Stickoxide, die aber ebenso gefährlich sind.
Ein Diesel-Auto verpestet die Luft: Hier rußt es aus dem Auspuff wie aus einem Kamin. Was man nicht sieht, sind die Stickoxide, die aber ebenso gefährlich sind. © imago/AZ

München - Der VW-Skandal hat entlarvt, wie trickreich, und skrupellos ein Autobauer agiert, die Verpestung der Atemluft und Umweltschäden billigend in Kauf nimmt.

Obwohl Gesundheits-Forscher und Umweltverbände seit Jahren warnen: „Beim Thema Abgasvermeidung sind die Interessen der trickreichen Autolobby immer noch übermächtig“, sagt Jürgen Resch (55), Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er wünscht sich, dass giftige Diesel-Abgase wirksam reduziert werden – und hofft, dass die Politik nach dem VW-Skandal hellhöriger dafür ist. Denn: Der Einbau wirksamer Stickstoffoxid-Katalysatoren ist technisch möglich; er macht ein deutsches Auto jedoch um einige Hundert Euro teurer.

AZ: Herr Resch, nur in Stuttgart werden höhere Stickstoffoxid-Werte gemessen als in der Münchner Luft. Was können unsere Stadtpolitiker tun?

JÜRGEN RESCH: Alle Münchner MVV-Busse sollten in Rekordzeit mit wirksamen Stickstoffoxid-Kats nachgerüstet werden – wie in Berlin, London oder Madrid. Diesel-Taxis, die rund 100 000 Kilometer im Jahr durch die City fahren, sollten von Umwelttaxis mit Erdgas- oder Benzin-Hybridantrieb ersetzt werden. Behörden könnten sich verpflichten, nur Umwelt-Taxis zu bestellen – um Nachfrage zu schaffen. Saubere Busse und die Förderung von Umwelt-Taxis könnte der Münchner Stadtrat sofort beschließen.

Uralte dreckige Diesel-Autos aus der Stadt zu halten, ist Teil der Münchner Strategie. An der Landshuter Allee gilt Tempo 50, um die Stickstoffoxide um 15 Prozent zu reduzieren. Trotzdem wird hier der EU-Grenzwert ständig um das Doppelte überschritten.

Es fahren ja auch von Jahr zu Jahr mehr Autos. Die Politik hatte geplant, dass die Münchner Luftqualität erst 2030 mit den EU-Richtlinien übereinstimmt. Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Wenn Deutschland weiter so eklatant gegen die EU-Grenzwerte verstößt, droht ein Verfahren, an dessen Ende hohe Geldstrafen stehen – bis zu eine Million Euro pro Tag.

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London hat Fahrverbote für Diesel-Autos beschlossen.

Ja, schmutzige Diesel-Busse wurden komplett aus der Stadt verbannt. Nur Busse mit Partikelfilter dürfen dort in die City.

Feinstaub aus Auspuffrohren lässt sich filtern. Aber wie bindet man das Stickoxid-Gas?

Stickoxid lässt sich ebenfalls filtern. Ein Katalysator, unter Einspritzung von künstlichem Harnstoff, kann das gasförmige Gift aus dem Auspuff binden. Moderne 40-Tonner-Lkw haben einen Katalysator und das AdBlue-System, das die Stickoxide herauswäscht. So ein Lastwagen ist heute sauberer als jeder normale Diesel-Pkw.

Auch die S-Klasse von Mercedes und der 7er BMW sind heutzutage mit dem AdBlue-System bestückt.

Deutsche Diesel-Limousinen haben oft zwei Tanks, einen für Diesel und einen für Harnstoff. Das ist der moderne Stand der Technik – doch manche Auto-Hersteller tricksen. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass das System nur so lange sicher funktioniert, wie die Bordelektronik erkennt, dass sich das Auto auf einem „Rollen-Prüfstand“ im Testmodus befindet. Auf der Straße, im realen Leben, stoßen Luxus-Autos und Mittelklassewagen bis zu 25 Mal mehr giftige Stickoxide aus, als Hersteller sagen.

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Wie hoch sind die Abweichungen genau?

Die Abweichungen beim Spritverbrauch betragen fast 40 Prozent. Bei den giftigen Diesel-Abgasen sind es im Durchschnitt über 700 Prozent. Die Automobilindustrie betrügt ihre Kunden und die Behörden.

Sie behaupten: Die Automobilindustrie schönt Prüfwerte auch in Deutschland.

Es gibt diverse Tricks beim Abgas-Test im Werk, auf der sogenannte Prüfrolle. Das geht vom Ausschalten der Klimaanlage und der Lichtmaschine bis zu Tests mit Leichtlaufreifen mit einem extrem erhöhten Reifendruck. So sieht der Neuwagen beim Abgas-Test „sauber“ aus – ist es aber nicht.

Sie kritisieren scharf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Angaben der Autoindustrie zu Spritverbrauch und Abgaswerten nicht kontrolliert.

Wir fordern schon lange, dass das Kraftfahrbundesamt die Hersteller-Angaben überprüft. Aber auf diesem Feld regiert die Autolobby in Berlin durch. Die deutsche Automobilindustrie hat es geschafft, sich zur Schlüsselindustrie zu stilisieren – und die Politiker kuschen vor ihr. Nach dem Volkswagen-Skandal hoffe ich sehr, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel es jetzt wagt, ihrem Verkehrsminister solche Nachprüfungen zu erlauben.

Die Deutsche Umwelthilfe fordert eine „Blaue Plakette“ für saubere Diesel-Autos.

Mit einer „Blauen Plakette“ könnte man die schmutzigen Diesel-Autos gezielt aus den Städten verbannen. Die Deutsche Umwelthilfe hat viele Ideen, was sofort verbessert werden kann. Manchmal braucht ein Auto nur eine veränderte Software, die nicht bei Tempo 130 den Katalysator abschaltet, wie das häufig ist, und das Fahrzeug wieder in eine Dreckschleuder verwandelt.

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Ihre Forderung an die Politik?

Handelt endlich! Auch München könnte sagen: „Es ist genug!“ Wie kann es sein, dass wir 25 Mal schmutzigere Autos auf den Straßen unserer schönen Stadt haben, als von den Autobauern deklariert? Es ist ein unglaublicher Skandal, wie unbehelligt die Autoindustrie gegen Gesetze verstoßen darf.


EU drängt auf bessere Luft

 

Nur in Stuttgart ist es schlimmer: In München blasen Autos viel zu viel Stickstoffoxide in die Luft – vor allem Diesel-Autos, die ein öliges Kerosin-Gemisch tanken. Sie verpesten die Stadtluft nicht nur mit Ruß, sondern auch mit dem heimtückischen geruchlosen Stickoxid-Gas. Es löst bei Menschen Schleimhautreizungen aus. Eine Überdosis kann tödlich sein.

Nach den Vorgaben der EU dürfen seit 2010 in einem Kubikmeter Luft nicht mehr als 40 Mikrogramm Stickoxid sein. An Münchens Haupt-verkehrsadern wie dem Mittleren Ring wird der Grenzwert jedoch kontinuierlich überschritten. Die Auspuffrohre Tausender Autos, Taxis, Lastwagen, Busse und Motorräder blasen hohe Konzentrationen des geruchlosen Giftgases aus.

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In der Landshuter Allee, mit 150 000 Autos pro Tag eine der am stärksten befahrenen Straßen Europas, ist das Tempo schon von 60 auf 50 Stundenkilometer gedrosselt worden. Denn 2013 lag der Jahresmittelwert für die Landshuter Allee bei 81 Mikrogramm Stickstoffdioxid. EU-rechtlich erlaubt ist die Hälfte, maximal 40 Mikrogramm.

Solche Tempo-Limits sind ein erster Schritt, aber viel zu wenig. Weil die Bundesrepublik kaum etwas für bessere Luftqualität in den Städten tut, handelt jetzt die EU: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren wegen anhaltender Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid gegen Deutschland eingeleitet. Plausible Maßnahmen für saubere Luft sind gefragt – auch für das Münchner Stadtgebiet.

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