50 Jahre U-Bahn: Münchens Untergrund
München - Nach 70 Jahren Planung und fast sieben Jahren Bauzeit begann vor 50 Jahren für München das U-Bahn-Zeitalter.
Bereits 1905 wurde U-Bahn-Bau im Landtag beantragt
Nachdem zuletzt 1912 in Hamburg eine echte Untergrundbahn in Deutschland gestartet war, setzte Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) am 19. Oktober 1971 die U-Bahn der aufblühenden Olympiastadt in Betrieb - mit Zügen, die zunächst nur vom Goetheplatz bis Kieferngarten fuhren.
Bereits am 9. November 1905 war im Landtag der Bau einer solchen Bahn beantragt worden, "um dem lawinenhaft anwachsenden Verkehr auf den Straßen auszuweichen". Damals existierten bereits weltweit Untergrundbahnen. Doch die ersten Entwürfe der königlich-bayerischen Staatseisenbahn waren zunächst wieder ad acta gelegt worden.
In der 550 Meter langen Grube wurden Schwammerl angebaut
Erst im Mai 1938 wurde die Idee erneut aufgegriffen; sie gehörte zu Hitlers persönlichen Vorstellungen von einer gigantomanischen "Hauptstadt der Bewegung".

Als Zehnjährigen, so erinnert sich der AZ-Reporter, führte ihn der Großvater, Lagermeister bei der Trambahn, aus der Tumblingerstraße 11 oft mit Branchenstolz zum nahen Goetheplatz, wo riesige Dampfhämmer mit ihren Rammstößen infernalischen Lärm und Qualm verbreiteten.
Revolutionäre Technik: Münchner U-Bahn-Bau entsteht in halber Bauzeit
Kriegsbedingt wurden 1941 die Arbeiten eingestellt. Die 550-Meter-Grube wurde 1954 zum Teil mit Bombenschutt verfüllt oder zur Champignonzucht genutzt; die Betreuer kamen per Schlauchboot.
Erst nach längerem "Entscheidungs- und Reifeprozess", wie der legendäre U-Bahn-Pionier Klaus Zimniok zur Eröffnung referierte, entschied sich der Stadtrat doch lieber gleich, statt für eine ursprünglich geplante "Ustrab", für eine "weltstadt-adäquate U-Bahn". Diese verfügte im Gegensatz zu den Unterpflasterbahnen ("U-Straßenbahnen"), die seit 1966 Stuttgart, Frankfurt, Köln und Kassel nicht viel schneller als Straßenbahnen bedienten, über einen vom übrigen Verkehr völlig abgetrennten Schienenstrang.
Dafür wurden in München teilweise revolutionäre Techniken, die 40.000 Interessenten aus 50 Ländern in die Baustellen lockten, entwickelt und erfolgreich erprobt. Der Clou: Mit Hilfe eines "Eisernen Maulwurfs" aus Amerika konnte der größte Teil der ersten Strecke im "Schildvortrieb", also unterirdisch, ausgehoben und die ursprünglich auf zwölf Jahre veranschlagte Bauzeit fast auf die Hälfte verkürzt werden.

Am 1. Februar 1965 hatte Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) am Nordfriedhof das Signal zum Einbringen der ersten 18 Meter hohen Stahlträger gegeben (ein Fernsehteam aus Leipzig wurde bei diesem ersten Spatenstich unter Verdacht der Werkspionage vertrieben). Man rechnete mit Kosten von 450 Millionen Mark. Der Olympia-Zuschlag vom April 1966 in Rom gab dem Stadtumbau natürlich einen mächtigen Schub.
720 Millionen Mark: Hans-Jochen Vogel von steigenden Kosten "bestürzt"
Schon im Februar 1967 durften wir Journalisten auf einer Pressetestfahrt im Tunnelabschnitt Alte Heide die neue Schnelligkeit wahrnehmen. Das erwartete Gedränge wurde durch Statisten simuliert.
Durch die Beschleunigung stiegen allerdings die Kosten: von anfänglich geschätzten 684 Millionen bis zur Inbetriebnahme auf 720 Millionen Mark, Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel war "bestürzt". Ein Teil der Kostensteigerung war dadurch verursacht, dass man an der Trasse eine komplizierte Abzweigung zur Satellitenstadt Neuperlach vorgesehen hatte.

Immerhin waren der Bund und das Land Bayern über eine "Tunnelgesellschaft" finanziell beteiligt und auch haftbar. Um die von Bonn zunächst blockierten Zuschüsse nicht zu gefährden, sollten die U-Bahnhöfe nachträglich zu Luftschutzbunkern für 15 .00 Menschen ausgebaut werden. "Rausgeschmissenes Geld", maulten Stadträte damals.
Neue Wege ging München auch, indem die senkrechten Stahlprofilträger nicht mit großem Getöse in den Boden gerammt, sondern in vorgebohrte Löcher versetzt wurden, um so immer wieder verwendet werden zu können. Die Untertunnelung des Rathauses, wobei ein mehrgeschossiges Bahnhofs- und Kreuzungsbauwerk entstand, bezeichnete U-Bahn-Referent Klaus Zimniok, der nebenbei als Experte für Reptilien und andere Kriechtiere bekannt war, als "bisher wohl einmalig in der Welt".

Luftfahrtunternehmen entwickelte Funktechnik für Züge
Erstmals in Europa waren in München alle Züge per Funk mit einer zentralen Leitstelle verbunden. Sie waren von einem Luftfahrtunternehmen entwickelt, luftgefedert und konnten vollautomatisch gefahren werden. Die Elektronik der Stellwerke - Computer gab es noch nicht - errechnete sinnvolle Anweisungen für Fahren, Bremsen oder Anhalten.
Sie wurden auf das Fahrzeug, das die Befehle auf ihre Richtigkeit überprüfen konnte, über elektrische Leiterschleifen an den Schienen übertragen. Der Fahrer fertigte an den Bahnhöfen den Zug lediglich durch Tastendruck ab, wobei ihm die Sicht durch Fernsehmonitore erleichtert wurde.
Besonderes Gewicht legten Zimnioks Ingenieure und Designer auf eine künstlerische Ausgestaltung der Bahnhöfe, in denen bereits Kunstausstellungen, Modeschauen und Konzerte stattgefunden hatten. Die namhaften Gestalter Paolo Nestler und Alexander Freiherr von Branca spielten mit wechselnden Farben und Formen. Die Fahrtreppen waren beheizbar, alle Tunnels beleuchtet, sodass man nicht in einen schwarzen Schlund einfuhr.

Durch Hauswurfsendungen, Plakate, Prospekte und Puzzlespiele wurden die Münchner animiert, vom Auto auf die unterirdische Metro umzusteigen. "Die Bahn fährt schnell. Sie nicht!" Verzichtet wurde auf ursprünglich geplante Gags zur Inbetriebnahme, etwa einer Aktion "Kiss and Ride", der Verleihung von Kosenamen für die Züge und die Ausgabe von Regenschirmen an die Fahrgäste. 1.600 Ehrengäste durften drei Tage lang zum Nulltarif zwischen Schlachthofviertel und Freimann pendeln, was allerdings in Presse und Stadtrat böses Blut brachte.
17 Minuten dauert es damals vom Goetheplatz bis Kieferngarten
Deshalb druckte man schnell noch ermäßigte Sonntagskarten für die gemeine Bevölkerung. Gewöhnlich kostete die Fahrt so viel wie die Trambahn: 80 Pfennige. An einem Verbundsystem mit allen öffentlichen Transportmitteln wurde ja erst noch gearbeitet.
Der Ausbau der zunächst zwölf Kilometer langen Strecke hatte eine halbe Million Mark verschlungen. Weitere 55 Millionen Mark kosteten die ersten weißblauen Züge. Sie verkehrten in 17 Minuten, die Aufenthalte an 13 Bahnhöfen mitgezählt, vom Goetheplatz bis zum Kieferngarten. Rund fünf Kilometer verliefen oberirdisch. Im City-Bereich, wo man mit 52.000 Fahrgästen pro Stunde rechnete, wurde gleich in Abständen von fünf Minuten gefahren, sie sollten bis zu den Olympischen Spielen auf zwei Minuten verkürzt werden.
Münchner U-Bahnnetz von zwölf auf 95 Kilometer ausgedehnt
Seit der feierlichen Einweihung vor einem halben Jahrhundert ist das oft gelobte und manchmal kritisierte U-Bahn-Netz Stück für Stück gewachsen. Längst bindet es die Nachbarstadt Garching an. Bald, geplant für das Jahr 2025, wird es auch im Südwesten über die Stadtgrenzen hinaus nach Martinsried verlängert.
Von zwölf auf 95 Kilometer Streckenlänge mit hundert Bahnhöfen hat sich das Netz ausgedehnt. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 34,8 km/h befördern die U-Bahnen täglich rund 1,2 Millionen Menschen. Zumindest vor Corona.

Nach und nach werden die teils veralteten Garnituren nun durch moderne Gliederzüge ersetzt. Eine Neubaustrecke U 9 soll das innerstädtische Netz entlasten und neue Direktverbindungen herstellen, beispielsweise zwischen der Wiesn und Münchner Freiheit. Eine neue Leitstelle ist bereits in Betrieb gegangen. Bei der U-Bahn werden weiterhin die Weichen gestellt.