Ukraine-Krieg: Autoindustrie im Krisenmodus - so reagieren BMW und Audi
Der Angriff Russlands auf die Ukraine sendet Schockwellen durch die gesamte Weltwirtschaft - die für Deutschland so zentrale Autobranche bildet da keine Ausnahme. Wie stark sich die Verwerfungen auswirken werden, ist bisher nicht präzise zu sagen. Einige Brennpunkte:
Autoindustrie: Von der Chipkrise in die Sanktionskrise?
Noch haben sich die Autobauer nicht von den Lieferengpässen bei Mikrochips erholt. Da die verfügbaren Mengen an Halbleiter-Elektronik in der Pandemie immer knapper wurden, staute sich die Produktion - "Halden" halb fertiger Wagen und teils erhebliche Absatzeinbußen waren die Folge.
Die Lebensgefahr für Beschäftigte in der Ukraine und die Verhängung erster Wirtschaftssanktionen gegen Russland hinterlassen nun bereits ebenfalls Spuren: VW-Werke in Sachsen etwa müssen mehrere Tage pausieren, weil aus der Westukraine zugelieferte Kabelsätze fehlen.
BMW Dingolfing streicht Produktion
Dies schlägt sich auch auf die Produktion am BMW-Standort in Dingolfing nieder. Das Werk wird die Fahrzeugproduktion in der kommenden Woche komplett streichen. Davon seien mehrere Tausend Mitarbeiter betroffen, sagte Sprecher Manuel Sattig auf AZ-Anfrage. "Leider lässt sich das momentan nicht vermeiden." Ob die Produktion anschließend wieder hochgefahren werden könne, ließe sich angesichts "der sehr dynamischen Situation" derzeit nicht abschätzen. Das Thema Kurzarbeit sei "in Klärung". Zuvor hatte BMW mitgeteilt, man sei "in Gedanken bei allen Menschen, die in diesem Krieg Leid und Verlust erfahren müssen"
In umgekehrter Richtung stellt sich die Frage, ob Fabriken in Russland im Fall weitreichender Handelsbeschränkungen jenseits von Technologie-Exporten noch mit Vorprodukten versorgt werden können.
Branchenexperte Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen erwartet, dass Unternehmen mit lokalen Niederlassungen "produktionsseitig in Bedrängnis kommen". Für Deutschland gelte: "Durch die globale Vernetzung der Zulieferebene könnte die Autoproduktion auch hierzulande massiv beeinflusst werden."
Sollten weitere russische Banken aus dem Swift-System fallen, könnte zudem die Bezahlung von Im- und Exporten ins Stocken geraten - oder ganz kollabieren. VW-Chef Herbert Diess richtete eine Arbeitsgruppe ein, um die Folgen des Krieges für das Netz der weltweit über 40.000 Lieferanten seines Konzerns zu analysieren.
Aus Wolfsburg heißt es noch betont zurückhaltend, die Lage könne "zu Anpassungen der Produktion an einzelnen Standorten führen".
Effekte auf Preise und Wartezeiten
Knappe Güter bedeuten meist höhere Anschaffungskosten und mehr Geduld bei der Bestellung. Auch hier könnte der Ukraine-Krieg die schon schwierige Chip-Situation verschärfen.
Tiefgreifender und potenziell bedrohlicher ist mit Blick auf die Rohstoff-Großmacht Russland jedoch ebenso für die Autobauer die Energiefrage: Die Stromerzeugung aus Gas, Öl und Kohle soll in der industriellen Produktion mittelfristig auslaufen, noch können regenerative Träger das aber nicht ersetzen - ganz zu schweigen von metallischen Ressourcen wie Kupfer, Nickel oder Stahl-Erzen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie stimmt auf Rohstoffmangel und höhere Preise ein. "Der Krieg sorgt für zusätzliche große Unsicherheit beim Import von Rohmetallen und metallhaltigen Vorstoffen", sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Und: "Wir müssen mit weiteren empfindlichen Preissteigerungen rechnen." Reindl hält die mögliche Abkoppelung des Rohstoffgeschäfts ebenfalls für gefährlich.
Zusammen mit Transportschwierigkeiten könnte das "die Fahrzeugproduktion verteuern und für weitere Lieferengpässe sorgen". In der Autobranche seien neben Halbleitern auch Stahl, Aluminium und Kupfer knapp.
In einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts nannten drei Viertel der Firmen Probleme beim Einkauf - in der Autoindustrie waren es 89 Prozent.
Kurzarbeit bei Autobauern: Viele Schichten werden abgesagt
Die Belegschaften der Autobauer haben sich während der vergangenen zwei Jahre an immer wiederkehrende Arbeitsausfälle gewöhnt.
Erst der Verkaufseinbruch zu Beginn der Corona-Krise, dann die fehlende Elektronik: Beinahe im Wochenrhythmus mussten an vielen Standorten weitere Schichten abgesagt werden und Beschäftigte in Kurzarbeit gehen
VW und Audi: Sorge um die Mitarbeiter
Zunächst, so betonen die Konzerne, gehe es jetzt darum, die Sicherheit des Personals in den Kriegsgebieten zu gewährleisten. Schon vor dem Angriff Russlands bot VW an, Kollegen auszufliegen.
Ob Sach- und Finanzanlagen im Fall einer längeren Konfrontation eine Zukunft haben, wollen die Firmen bislang nicht öffentlich abschätzen. Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management glaubt: "Die Hersteller müssen ihre Investitionen in Russland komplett neu bewerten." Auch Reindl sagt: "Russland und die Ukraine werden wohl für lange Zeit als Absatzmärkte ausfallen."
Auch beim zum VW-Konzern gehörenden Autobauer Audi sorgt man sich um Mitarbeiter. Zum weltweiten Lieferantennetz gehörten Zulieferer in der West-Ukraine. "Aufgrund der aktuellen Lage in dieser Region kann es zu Beeinträchtigungen in der Lieferkette kommen", hieß es in einer Stellungnahme. Der Konzerneinkauf stehe im intensiven Austausch mit den Lieferanten und prüfe Alternativen.
Verkaufen in Zeiten politischer Isolation
Befürchtungen vor einem neuen "Kalten Krieg" machen auch in manchen Schaltzentralen der Wirtschaft die Runde. Reindl erwartet "empfindliche, aber angesichts eher niedriger Marktanteile keine existenzbedrohlichen Effekte".
Zu berücksichtigen sind außer der Nachfrage und Außenhandelsschranken die Folgen von Währungsturbulenzen: Sollte der russische Rubel seinen Kurssturz nach den ersten Sanktionen gegen die Zentralbank fortsetzen, würden Importe ins Land aus Sicht russischer Verbraucher immer teurer.
Bratzel schätzt: "Der Export von Fahrzeugen nach Russland dürfte zunächst ganz zum Erliegen kommen."
Nach außen besorgt, innerlich auf Alarm
Die Autohersteller tragen die ersten Sanktionswellen mit und verweisen allgemein auf die "volatile Lage". Hinter den Kulissen aber bindet die Krisenreaktion schon Kapazitäten.
Nach Angaben des Branchenverbands VDA gibt es 49 Fertigungsorte deutscher Zulieferer und Hersteller in Russland und der Ukraine. Chefin Hildegard Müller sagte: "Die Folgen für die Unternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind derzeit noch nicht konkret absehbar."