Interview

"Sie üben subtil Einfluss aus": Wirtschaftsjournalist Geinitz über Handelsmacht China

Christian Geinitz schreibt in seinem neuen Buch über die Wirtschafts- und Wohlstandsstrategien der Asiaten. Im AZ-Interview spricht der Autor über Chinas Verhältnis zum Westen und wie es sich durch den Ukraine-Krieg verändert.
Martina Scheffler |
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Rote Gefahr oder wirtschaftlicher Partner des Westens? Das Einlassen mit Autokratien bringt Wohlstand, aber auch Abhängigkeiten.
Rote Gefahr oder wirtschaftlicher Partner des Westens? Das Einlassen mit Autokratien bringt Wohlstand, aber auch Abhängigkeiten. © Illustration: imago

AZ: Herr Geinitz, Sie schreiben in "Chinas Griff nach dem Westen", China träume von einer Rückkehr zu alter Stärke. Rührt daher auch die Annäherung an Russland, oder geht es hier nur um wirtschaftliche Interessen?
CHRISTIAN GEINITZ: Beide Länder fühlen sich zutiefst düpiert in ihrer Geschichte, und zwar vom Westen. Sie sagen, der Westen enthält uns unsere frühere Stärke vor, und das geht so nicht. Das ist ein verbindendes Element, dieses Rekurrieren auf alte nationale Größe. Zudem ist China auf Energie aus dem Ausland angewiesen, ähnlich wie Europa, und Russland kann diese Energie liefern.

Der Autor Christian Geinitz.
Der Autor Christian Geinitz. © Foto: privat.

"China ist noch auf westliche Märkte angewiesen"

Sie schreiben, solange sich China nicht mit Russland verbündet, drohe keine "rote", expansive Gefahr. Gilt das noch?
Ich sehe dieses Bündnis nicht. Gerade China hat klar definierte Ziele und wird sich die nicht von Russland zerstören lassen. Das könnte ja der Fall sein, wenn man den Westen derart schwächt, dass er dann nicht mehr in der Lage wäre, die chinesischen Waren aufzunehmen. China ist auf Gedeih und Verderb noch auf westliche Märkte angewiesen. Es kann sich gar nicht leisten, den Westen grundsätzlich zu verprellen. Und deswegen wird es sicher nicht einseitig auf Russland setzen. Russland ist viel zu schwach, wirtschaftlich ist der Markt nicht so interessant wie der Westen.

Neue Achse: Sergej Lawrow (l.), Außenminister von Russland, und Wang Yi, Außenminister von China, Ende März bei einem Treffen in Hefei zum Ausbau der Partnerschaft.
Neue Achse: Sergej Lawrow (l.), Außenminister von Russland, und Wang Yi, Außenminister von China, Ende März bei einem Treffen in Hefei zum Ausbau der Partnerschaft. © Foto: XinHua|Zhou Mu/dpa

Der Blick auf China ist skeptischer geworden - hat sich das durch dessen Haltung zum Ukraine-Krieg noch verstärkt, oder spielt das in der Wirtschaftswelt keine Rolle?
Man hat ja den Eindruck, dass sich China und Russland vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs annähern. Wenn das so wäre, spielt es natürlich eine große geostrategische Rolle, denn beides sind ja Atommächte, große Militärmächte, und China ist heute schon im Kaufkraftbereich die größte Wirtschaftsmacht der Welt.

Chinas Modell: Mit Infrastrukturprojekten in Abhängigkeit bringen

Hat durch diese Annäherung das wirtschaftlich-weltanschauliche Angebot des Westens an Attraktivität für Staaten etwa in Afrika gewonnen, die bisher von der Neuen Seidenstraße zu profitieren glaubten, oder ist der Westen eher unattraktiver geworden?
Es gibt natürlich entlang der Seidenstraße in Afrika, in Zentralasien, aber auch in Lateinamerika durchaus Führungen von Staaten, für die das chinesische Modell schon deshalb attraktiver ist, weil es eben nicht auf gute Regierungsführung, auf Rechtsstaatlichkeit, auf demokratische Ordnung setzt, sondern sagt, solange ihr euch an unsere Seidenstraßen-Spielregeln haltet, bekommt ihr unsere Unterstützung. Angebote des Westens wie das amerikanische "Bring Back Better World", ein riesiges Infrastrukturprogramm für Entwicklungs- und Schwellenländer, setzen auf westliche Werte.

"Wohlstand verdanken wir auch dem Einlassen mit Autokratien." Ist das der richtige Weg?
Das ist sicher zu begrüßen und auch richtig. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, ob Autokraten in den Ländern entlang der Seidenstraße überhaupt Interesse daran haben, dass Korruption bekämpft wird oder dass Gelder nicht veruntreut werden. Andererseits bringen Chinesen sowohl das Geld, um diese Infrastrukturprojekte zu finanzieren, als auch die Materialien und Arbeiter, und drücken dann teilweise Kreditkonditionen den Empfängerländern auf, die zunehmende Abhängigkeiten erzeugen.

Christian Geinitz: "Unseren Wohlstand verdanken wir auch den Autokratien"

Wie unabhängig kann man von Autokratien in der Wirtschaft, im Handel eigentlich werden? Welche Schritte sind noch sinnvoll?
Man kann unabhängiger werden, aber es kostet mehr. Wir haben unseren Wohlstand nicht zuletzt dem zu verdanken, dass wir uns mit Autokratien eingelassen haben. Das gilt für die Energieversorgung durch Russland und das gilt auch, was den täglichen Bedarf angeht, für China. Wir haben jahrzehntelang eine geringe Inflation gehabt, und dies haben wir nicht zuletzt Billigproduktionen aus China zu verdanken.

China kauft sich auch im Bereich Energie ein. Sie beschreiben den Einstieg in Awilco Offshore, ein Bohrinselunternehmen aus Norwegen, das 2008 von einem der drei großen staatlichen Mineralölkonzerne Chinas übernommen wurde. Wie bewerten Sie solche Übernahmen vor dem Hintergrund, dass Deutschland unabhängiger von einzelnen Energie-Exporteuren werden will?
Man muss aufpassen, wem man was anvertraut. Das sind meist chinesische Staatsunternehmen oder Privatunternehmen, deren Köpfe aber oft sehr eng mit der kommunistischen Führung verbandelt sind. Wenn diese Unternehmen sich in strategisch wichtige Branchen in Europa einkaufen, muss man schon zweimal hinschauen. Das tut die Europäische Union auch.

Es gibt mittlerweile eine sogenannte europäische Screeningverordnung, die genau das vorschreibt, und die Mitgliedsstaaten haben ihre Außenwirtschaftsgesetze entsprechend angepasst, so dass es jetzt leichter fällt, zu analysieren: Ist ein solches Unternehmen, das zu uns kommt, gefährlich für unsere Infrastruktur? Notfalls wird dann eine Übernahme untersagt.

Deutschland: Das Land der Technologiezurückhaltung

Sie beschreiben auch den Einkauf der Chinesen beim Münchner Flugtaxi-Pionier Lilium, bei dem Brasilien viele Exemplare bestellt hat. Ist Deutschland beim Nutzen der eigenen Innovationen zu zögerlich? Ich denke da auch an den Transrapid, der ja nicht in Deutschland, sondern in China fährt.
Das liegt genau daran, dass wir ein Rechtsstaat sind. Vielleicht war es nicht besonders klug, den Transrapid im eigenen Land nicht einzusetzen, andererseits gab es dafür gute Gründe, wirtschaftliche, ökologische. Ich bin oft mit dem Transrapid in Shanghai gefahren, und wenn man sieht, dass der mitten durch die Wohngebiete rumpelt und dass Wohnblocks plattgemacht worden sind, übrigens ohne Einspruchsmöglichkeiten der jeweiligen Eigentümer und schon gar nicht der Mieter, da ist man doch froh, in einem Land zu leben, wo das nicht passiert. Dass Deutschland trotz allem eine gewisse Technologiezurückhaltung hat, ist auch wahr. Und vor allem noch nicht genug ausgeprägte Förderstrukturen.

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China plant, eigene technische Normen durchzusetzen in Ländern wie Indien, Thailand und Vietnam. Länder, die auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg einig waren in ihrer ausbleibenden Verurteilung des Angriffs. Ist das eine Gefahr, wenn China und diese Länder sich noch mehr zusammenschließen?
China versucht nun, eigene Normen durchzusetzen, um dadurch Handels- und Entwicklungsvorteile zu erzeugen. Diese Normierungskampagne ist in der Tat eine, die wir noch gar nicht so richtig auf dem Schirm haben. China versucht entlang der Seidenstraße, Standards zu setzen. Wir alle kennen die Din-Norm und andere. Solche Normen sind entscheidend für die Erfolge der Wirtschaft, man kann entsprechende Geschäftsbeziehungen eingehen, Teile passen aneinander.

"China ist schon heute expansiv in der Welt"

"China ist expansiv, ohne einen einzigen Schuss abzugeben." Ein cleverer Schritt?
Das ist ein sehr subtiler Weg, um Einfluss auszuüben, und das ist eine Hauptthese meines Buches: Dass die Chinesen sehr, sehr gut darin sind, auf eine Art und Weise, die nicht expansiv aussieht, geostrategische Ziele durchzusetzen. Ein weiterer wichtiger Weg ist das Einkaufen chinesischer Staats- oder privater Konzerne in westliche Unternehmungen nach einer Art Masterplan. Das geschieht sehr strategisch geschickt entlang von Schlüsselbranchen, in denen man bis 2049 die Welt anführen möchte. China ist heute schon expansiv in der Welt, ohne dass es einen einzigen Schuss abgegeben hat.

Wie wird sich die Partnerschaft des Westens mit China verändern, wird der Westen künftig selbstbewusster sein?
Es steht zu hoffen. Auch der Reformbedarf in China ist groß. China hat begriffen, dass es den nächsten Wohlstandsschritt nur schafft, wenn es innovationsfähiger wird, wenn es weniger in Beton investiert als in kluge Köpfe. Deshalb sind die Chinesen so interessiert an deutschen und europäischen Unternehmen. Für diesen Entwicklungsschritt sind sie auch stark auf den Westen angewiesen. Deswegen ist es keine ganz schlechte Zeit, um jetzt mit den Chinesen so zu verhandeln, dass die Erlangung gleicher Bedingungen für Chinesen und Europäer auf beiden Märkten erreicht wird.

Wie sieht es mit der politischen Entwicklung aus?
Politisch macht mir Sorge, dass die Invasion in der Ukraine möglicherweise zeigt, dass man zurückkehrt zu alten machtpolitischen Währungen. Das ist gefährlich, wenn China das als Blaupause für seine eigenen Interessen nimmt wie Taiwan. Was würde passieren, wenn China dort einmarschiert? China hat die größte Armee der Welt, aber anders als Russland ist es auch als Wirtschaftsmacht ganz vorne.

Sanktionen wie gegen Russland wären im Fall des Falles gegen China nicht möglich?
Nur mit noch größerem Wohlstandsverlust für uns.


Christian Geinitz: "Chinas Griff nach dem Westen. Wie sich Peking in unsere Wirtschaft einkauft" (C.H. Beck,.18 Euro).
Christian Geinitz: "Chinas Griff nach dem Westen. Wie sich Peking in unsere Wirtschaft einkauft" (C.H. Beck,.18 Euro).
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