Prognos-Studie: "Gas-Abhängigkeit wird bisher dramatisch unterschätzt"

193 Milliarden Euro Wertverlust für die Wirtschaft bei einem russischen Gasstopp ab Freitag - das sagt eine Prognos-Studie.
Martina Scheffler
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Der Chemie-Standort Burghausen. Die Chemieindustrie wäre von einem russischen Gasstopp besonders betroffen, so eine Studie.
Der Chemie-Standort Burghausen. Die Chemieindustrie wäre von einem russischen Gasstopp besonders betroffen, so eine Studie. © imago/Westend61

München - Michael Böhmer schonte die Zuhörer nicht. Bei der Vorstellung der von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) in Auftrag gegebenen Prognos-Studie wird deutlich, was ein Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Industrie und das Land bedeuten kann.

"Nach unserer Untersuchung ist die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas bislang dramatisch unterschätzt worden", sagte Böhmer am Dienstag in München. Bei dem untersuchten Szenario wurde ein Lieferstopp von russischem Gas ab dem 1. Juli bis zum 31. Dezember 2022 angenommen.

Bereits ab Juli ergäbe sich der Schätzung nach ein Engpass von mehr als 50 Prozent für die sogenannten nicht geschützten Gaskunden, also die Industrie. Die negativen Effekte auf die deutsche Wirtschaftsleistung würden 12,7 Prozent betragen, ergänzte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw. 

Prognose: Oktober wird "dramatischer Monat"  

5,6 Millionen Arbeitsplätze wären davon betroffen. Direkt betroffene Branchen - wie etwa die Glasindustrie - müssten mit einem Verlust der Wertschöpfung in Höhe von 49 Milliarden Euro rechnen.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Rechne man indirekte Folgen dazu, drohe ein Wertschöpfungsverlust von insgesamt 193 Milliarden Euro, so Brossardt. In der Studie wurden der Effekt möglicher Substitute von Gas als auch technische Prozesse besonders betroffener Branchen berücksichtigt.

Ein "dramatischer Monat" werde in diesem Szenario der Oktober, führte Böhmer aus. Dann müsse noch Gas gespeichert werden, gleichzeitig werde aber bereits wieder geheizt. Dies sei der "Knackpunkt". Bei Eintreten der vorgestellten Schätzung, die Böhmer ausdrücklich nicht als Worst-Case-Szenario verstanden wissen wollte, werde die Produktion im zweiten Halbjahr 2022 in vielen Branchen erheblich sinken, in der Glasindustrie etwa um 47,8 Prozent, im Bereich Roheisen und Stahl um 34 Prozent, bei Nahrungsmitteln um 32 und in der Chemie um 31,4 Prozent.

Diese Branchen seien direkt am stärksten betroffen, der Schaden sei jedoch aufgrund ihrer hohen Bedeutung in der Kraftfahrzeug-Erzeugung und der Lebensmittelbranche am größten. Auch indirekt wären Branchen betroffen, besonders Dienstleistungen mit einem Minus von 7,6 Prozent. "Es pflanzt sich fort auf die gesamte Volkswirtschaft", sagte Böhmer. "Deutschland würde in eine tiefe Rezession gleiten."

Brossardt: "Wir brauchen eine Reaktivierung von Kohlekraftwerken"

Was also tun? "Zeit ist hier wirklich Geld und Gold wert", sagte Böhmer. "Jeder Monat, in dem wir länger Gas bekommen, sorgt dafür, dass wir in dem Monat keine Knappheit haben und mehr Zeit haben, Speicher zu füllen."

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw. (Archivbild)
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw. (Archivbild) © vbw

Wasserstoff könne kurzfristig noch keine Lösung sein, sagte Brossardt. Aber: "Wir brauchen eine Reaktivierung von Kohlekraftwerken" - und auch die verbliebenen Atomkraftwerke müsse man zunächst am Netz lassen, forderte er. Fracking sei nicht der große Wurf, sagte Böhmer. "Wir müssen kurzfristig Lösungen finden."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
Teilen
lädt ... nicht eingeloggt
 
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.