Pausierte Zinserhöhungen: Das falsche Werkzeug gegen die Inflation?

Die EZB pausiert die Zinserhöhungen. Warum die vorherigen Anhebungen nur wenig geholfen haben und was stattdessen Nutzen hätte.
Maximilian Neumair |
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Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main hat zehn Mal in Folge den Leitzins erhöht, jetzt aber eine Zinspause angekündigt.
Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main hat zehn Mal in Folge den Leitzins erhöht, jetzt aber eine Zinspause angekündigt. © Boris Roessler/dpa

Frankfurt am Main - Für den Oktober soll die Inflationsrate voraussichtlich bei 3,8 Prozent liegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht sich durch diese Entwicklung in der Wirkung ihrer bisherigen Zinspolitik bestätigt. In der jüngsten EZB-Ratssitzung beschloss sie daher, den Leitzins von 4,5 Prozent nach zehn Erhöhungen in Folge nicht weiter anzuheben. Das heißt, Kredite verteuern sich zunächst nicht noch weiter.

Der Grund: "Bisherige Zinserhöhungen dämpfen die Nachfrage"

Aber: Die Preise steigen trotz fallender Inflation (die im Vergleich zum Vorjahresmonat angegeben wird) weiterhin, wie die Inflationsraten zum jeweiligen Vormonat zeigen (von Juni bis September rund 0,3 Prozent Teuerung).

Auf Nachfrage der AZ, warum also ausgerechnet jetzt der Zinsstopp komme, verweist eine Sprecherin der EZB auf eine Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Vizepräsident Luis de Guindos. In der heißt es, der Grund sei eine weiter rückläufige Inflation. "Unsere bisherigen Zinserhöhungen schlagen weiterhin stark auf die Finanzierungsbedingungen durch. Dies dämpft zunehmend die Nachfrage und trägt so zu einem Rückgang der Inflation bei", teilen die EZB-Chefs mit.

Aber war das überhaupt notwendig, um die Preisanstiege zu bekämpfen? Maurice Höfgen, Ökonom und Experte für Inflation, hält von dieser Begründung zumindest nichts: "Es ist nur noch peinlich, wenn die EZB das so erklärt." Denn: "Es ist nicht die gesunkene Nachfrage, die jetzt die Preise runtergebracht hat, sondern es ist schlicht und einfach die Panik, die an den Energiemärkten verschwunden ist. Allein dadurch, dass es keinen Gasmangel gibt", sagt er der AZ.

Ökonomen kritisieren das Vorgehen der EZB

Dem Ökonomen zufolge hätte der Zinsstopp mindestens früher kommen müssen. "Höhere Zinsen helfen nicht, einen Energiepreisschock zu bekämpfen." Und gerade deswegen "wäre es richtig gewesen, Zinsen erst gar nicht so hochzujazzen".

Zu der Kritik will sich die EZB auf Anfrage der AZ nicht öffentlich äußern. In einer Sitzung des EU-Parlaments im September 2022 sagte EZB-Präsidentin Lagarde jedoch ebenfalls, die Preisanstiege seien "weitgehend und überwiegend eine Angebots-getriebene Inflation". Und trotzdem rechtfertigte Lagarde die erhöhten Zinsen, indem sie darauf verwies, dass die Inflationserwartungen gesteuert werden müssten. "Wir müssen Maßnahmen ergreifen", sagte sie.

Dieses Einschreiten hält Ökonom Höfgen jedoch für ein Problem, wenngleich er es verstehen kann: "Die EZB hat leider nur die Werkzeuge Zins hoch, Zins runter. Wenn dann alle auf die EZB mit dem Finger zeigen und sagen, liebe EZB, sorg dafür, dass die Preise nicht so schnell steigen, guckt die EZB auf ihren Werkzeugkoffer und fragt sich, was soll ich denn machen?"

Das eine Werkzeug, das sie hat, hole sie dann trotzdem raus, aber das sei eben stumpf. "Platt gesagt: Es ist der öffentliche Druck, der die EZB zum Handeln aufgefordert hat", so Höfgen weiter.

Und der Druck war groß: So hatten mehrere Vertreter aus der Wirtschaft, wie etwa der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) und der Bankenverband, nach der Ankündigung der ersten Zinserhöhung im Juni 2022 das zu späte Handeln der EZB kritisiert. Auch das Münchner ifo-Institut hielt den Zinsanstieg für einen richtigen Schritt, der aber zu spät komme.

Die Zentralbank kann die Teuerung alleine nicht bekämpfen

Die Inflationsbekämpfung alleine in die Hände der Zentralbank zu legen, ist dem Ökonomen zufolge jedoch ein Fehler. "Olaf Scholz und Robert Habeck haben viel mehr Einfluss auf die Inflationsrate als Christine Lagarde." Und die hätten auch bereits viel Richtiges gemacht, wie etwa der schnelle Aufbau von LNG-Terminals oder das Mieten schwimmender LNG-Tanker, um eine Gasmangellage zu vermeiden und sich unabhängiger vom russischen Gas zu machen.

Die Bundesregierung könnte aber noch weitergehen: "Über Steuern haben wir die Möglichkeit, die Preise runterzubringen oder zumindest die Preiserhöhungen zu stoppen, denn die Mehrwertsteuer wird zum zusätzlichen Inflationstreiber."

Der Grund: Wenn etwa die Butter ohnehin statt 1,50 Euro 2,50 Euro kostet und dann noch sieben Prozent Mehrwertsteuer draufkommen, steigt der Preis der Butter nochmal extra.

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Die Sorge vieler Kritiker an solchen Maßnahmen, dass die Supermärkte die Preisreduktion nicht weitergäben, hält Höfgen für unbegründet: "Der Markt regelt in dem Fall mal wirklich. Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es extreme Konkurrenz." Die Discounter drückten im Wettbewerb miteinander gegenseitig die Preise nach unten, wenn sie denn können. In der jetzigen Inflation muss laut Höfgen investiert werden, um den Angebotsschock direkt anzugehen.

Inflationsexperte rät der Bundesregierung Mehrwertsteuererhöhungen zu unterlassen

Das kann dann auch heißen, auf Steuern zu verzichten. Eine wieder auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme sowie auf Speisen in der Gastro, aber auch eine höhere LKW-Maut sollten von der Bundesregierung deshalb besser unterlassen werden, rät der Inflationsexperte.

Die EZB will laut eigener Aussage bis 2025 die Inflation wieder auf zwei Prozent gedrückt haben. Deshalb müssen Banken und die Wirtschaft auch in Zukunft mit weiteren Zinserhöhungen rechnen, falls die bisherigen nicht reichen sollten.

Zunächst zeigen sich die EZB-Chefs jedoch zufrieden: "Angesichts der höheren Kreditzinsen ist die Kreditnachfrage im dritten Quartal erneut deutlich gesunken."

Höfgen sieht das kritisch: "Weniger Kredite heißt weniger Investitionen. Und wie weniger Investitionen der lahmenden Wirtschaft helfen sollen, ist ein Rätsel, das nur die EZB zu lösen weiß."

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