Einigung bei Rente mit 63
Jetzt soll der „rollierende Stichtag“ kommen. Die AZ erklärt, was das heißt und was das für wen bedeutet
Berlin - Im Streit um die Rente mit 63 gibt es einen wichtigen Durchbruch – nämlich eine Einigung in einem zentralen Punkt. Es soll keinen fixen Stichtag geben, sondern einen individuellen: Zeiten der Arbeitslosigkeit in den letzten 24 Monaten vor dem jeweiligen persönlichen Renteneintritt werden nicht mitgezählt. Damit sind nur noch zwei Details des Rentenpakets offen. Es soll am kommenden Freitag, also in einer Woche, endgültig verabschiedet werden.
Was gilt jetzt bei der Rente mit 63? Kommen soll der sogenannte „rollierende Stichtag“ (wobei noch ein weniger komplizierter Begriff dafür gefunden werden soll). Gemeint ist: Arbeitslosenzeiten werden nur bis zum 61. Lebensjahr berücksichtigt, danach nicht mehr. Beim geplanten Rentenpaket können langjährig Versicherte (mit 45 Beitragsjahren) mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen. Arbeitsministerin Andrea Nahles wollte, dass auch Zeiten von Arbeitslosengeld I unbegrenzt bei den 45 Jahren mitzählen. Das hätte aber dazu geführt, dass viele Arbeitnehmer (freiwillig oder auf Druck ihrer Chefs) schon mit 61 aufhören und zwei Jahre Arbeitslosengeld I in Kauf nehmen, weil dann eine volle Rente ab 63 winkt.
Mit der jetzt gefundenen Einigung ist das so nicht mehr möglich, weil die zwei Jahre nicht mehr für die 45 nötigen Beitragsjahre gezählt werden können. Sprich: Wer die 45 noch nicht erreicht hat, aber trotzdem früher gehen will, muss dann halt wieder – lebenslange – Abschläge in Kauf nehmen. Die einzigen, die nach dem neuen Modell de facto und ohne Kürzungen mit 61 aufhören können, sind alle, die mit 16 zu arbeiten angefangen haben und allenfalls für ein paar Monate arbeitslos waren, so dass sie mit 61 ihre 45 Jahre vollhaben.
Wie wahrscheinlich ist das neue Modell? In Berlin hieß es, die Spitzen der Fraktionen von Union und SPD hätten sich auf den „rollierenden Stichtag“ bereits verständigt. Die SPD wollte das nicht zwar bestätigen, dies wurde aber auch im Zusammenhang mit dem noch laufenden DGB-Treffen verstanden. Nahles’ Ministerium dementierte die Einigung ausdrücklich nicht – dies wird als Signal gewertet, dass sie kommt. So oder so muss das fertige Gesetz bis nächsten Mittwoch vorliegen, dann kommt es in die Ausschüsse. Am Freitag wird es endgültig beschlossen, am 1. Juli tritt es in Kraft.
Gibt es noch Haken? Gestern wurde eine Stellungnahme von Innen-, Justiz- und Arbeitsministerium bekannt, wonach es beim rollierenden Stichtag „verfassungsrechtliche Bedenken“ gibt. Eine solche Regelung könne auch „Personen erfassen, bei denen kein Mitnahmeeffekt vorliegt und deren Arbeitslosenzeiten potenziell berücksichtigungsfähig sind“. Gemeint sind Menschen, die eben nicht freiwillig oder auf Druck ihrer Chefs aufhören, sondern weil ihr Arbeitsplatz tatsächlich wegfällt. Die SPD fordert deswegen eine Ausnahmeregelung für Menschen, die in den 24 Monaten vor ihrem Ruhestand wegen Insolvenz ihres Betriebs arbeitslos werden. Dieser Punkt ist einer der wenigen noch offenen Details. Das Ministerium-Gutachten lässt aber die Hintertür offen, dass die Gesetzesbegründung gut genug formuliert ist.
Wer hat sich durchgesetzt? Alle Seiten haben nachgegeben. Die Union hatte lang einen festen Stichtag gefordert: So sollten keine Zeiten der Arbeitslosigkeit nach dem 1. Juli 2014 mitgezählt werden dürfen (der Tag des Inkrafttretens der Reform). Das hätte aber neue Ungerechtigkeiten mit sich gebracht. Die SPD wollte erst gar keine Begrenzung, doch dann setzte sich nach Rückmeldungen aus den Betrieben die Erkenntnis durch, dass aus der Rente mit 63 tatsächlich die Rente mit 61 werden könnte. Dann wollte sie Strafzahlungen für die Arbeitgeber der Frührentner – dieses Modell zerpflückten Experten, unter anderem wegen der Monster-Bürokratie. Und weil viele Beschäftigte bei einer abschlagsfreien Rente tatsächlich freiwillig aufhören. Deswegen läuft es nun auf den individuellen Stichtag hinaus.