Bericht zur wirtschaftlichen Lage der Menschen in Bayern spaltet
München - Ist Bayern ein sozialeres Bundesland als die SPD-regierten oder eine Ellenbogengesellschaft, in der Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften? Selten waren die Meinungen zwischen Opposition und Staatsregierung so unterschiedlich wie beim vierten Sozialbericht, den Bayerns CSU-Sozialministerin Emilia Müller am Donnerstag im Landtag präsentieren will.
Einzelheiten wurden bereits im Vorfeld bekannt. "Die soziale Lage im Freistaat ist so gut wie nie zuvor", jubelte Müller. Die Bayern könnten von guten Einkommen und Arbeitsmarktchancen wie in keinem anderen Bundesland profitieren. Sie verfügten über das höchste durchschnittliche Nettovermögen – die privaten Haushalte im Freistaat besitzen rund 182.000 Euro, deutschlandweit sind es fast 60.000 Euro weniger.
Zudem haben die Bayern die dritthöchsten Nettoeinkommen mit 25.860 Euro, 2.000 Euro mehr als der Bundesdurchschnitt – aber 900 Euro weniger als Spitzenreiter Baden-Württemberg. Auch Rentnern gehört mehr als Senioren in anderen Bundesländern.
Alles super im Freistaat?
Beim Geldvermögen sind’s mit 68.000 Euro pro Rentnerhaushalt rund 17.000 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt, beim Immobilienvermögen mit mehr als 145.000 Euro sogar 60.000 Euro mehr als bei den Rentnern im Rest Deutschlands.
In keinem anderen Land werden zudem die Grundsicherung im Alter sowie Hartz IV von Ausländern in geringerem Umfang in Anspruch genommen als im Freistaat. Die Gefahr, in Armut zu verfallen, sei in keinem Staat so klein wie in Bayern, tönt Müller.
Und wenn es denn doch einmal passiere, handle es sich nicht um einen Dauerzustand, sondern um eine kurze Lebensphase. Der Anteil der Bevölkerung, der dauerhaft armutsgefährdet sei, habe sich in dem Land, das Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gerne als "Vorstufe zum Paradies" preist, innerhalb von zehn Jahren mehr als halbiert und sei mit 2,5 Prozent der Bevölkerung weniger als halb so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Also alles super, alles wunderbar im Freistaat? Nicht ganz. Für die sozialpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Doris Rauscher, ist Müllers Bericht "schamlose Schönfärberei" und ein Zeichen satter Selbstzufriedenheit.
DGB: "Staatsregierung auf einem Auge blind"
Defizite würden nur am Rande benannt oder ganz weggelassen. Die SPD-Politikerin verweist auf eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, der zufolge 85 Prozent der Bayern der Ansicht sind, dass sich Beruf und Familie nicht gut miteinander vereinbaren lassen.
Hinsichtlich der Betreuungsquote für Kinder hinke der Freistaat im Bundesvergleich hinterher. Probleme dieser Art würden im Sozialbericht gar nicht benannt. "Der Sozialbericht wird immer mehr zu einer ans Peinliche grenzenden Selbstdarstellung der CSU-Regierung", kommentiert die sozialpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Kerstin Celin.
Ebenso scharf geht der Chef der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Thomas Beyer, mit dem Sozialbericht ins Gericht. Dieser sei ein "Dokument der Spaltung" zwischen Arm und Reich. Auch Müllers Zahlen belegten die problematischen Lebenslagen von Rentnern, Alleinerziehenden, Arbeitslosen und Zuwanderern im Freistaat, die zum Teil sogar stärker von Armut betroffen seien als andernorts in Deutschland.
Der DGB-Landesvorsitzende Matthias Jena bescheinigt der Staatsregierung, dass es Bayern "im Ländervergleich hervorragend" gehe. Gleichwohl sei dessen Staatsregierung "auf einem Auge blind". So fehlten im Freistaat etwa 50.000 Sozialwohnungen.
Die staatliche Förderung von 1.500 Wohnungen pro Jahr sei "nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt der DGB-Chef. Es bringe auch den Rentnern nichts, wenn die Sozialministerin ihnen erzähle, dass jeder Rentnerhaushalt über ein überdurchschnittliches Vermögen verfüge, wenn die Lebensrealität vieler Senioren ganz anders aussehe.
Verharmlost werde auch die Armutsgefährdung. 2010 waren in Bayern 10,8 Prozent der Menschen in Gefahr gewesen, ökonomisch abzurutschen, 2017 schon 11,6 Prozent.