Viktor & Rolf über "Fashion Statements" in der Kunsthalle
Sie sind Perfektionisten: Zur Eröffnung ihrer Ausstellung im Februar begaben sich Viktor Horsting und Rolf Snoeren samt Team aus Schnittmachern, Näherinnen und Marketing-Managern in die Kunsthalle München, um bei den Aufbauarbeiten persönlich Hand anzulegen. Die niederländischen Designer, die sich 1988 in der Kunstakademie Arnheim kennenlernten, erfüllen seit über drei Jahrzehnten Modeträume selbst so exzentrischer Stars wie Lady Gaga.
AZ: Welche Frage können Sie nicht mehr hören?
Viktor: Wir sprechen immer gerne über unsere Arbeit, aber wenn uns eine Frage langweilt oder unsinnig erscheint, lassen wir uns das einfach nicht anmerken und versuchen trotzdem unsere Geschichte zu erzählen (lacht).
Rolf: Am schwierigsten sind für mich Fragen nach meinen Lieblings-was-auch-immer - Farben, Blumen, Songs. Heute kann man dir dieses oder jenes besonders gefallen, morgen etwas anderes. Das hängt von meiner Stimmung ab.

Stehen Sie eigentlich - wie bei der Eröffnung Ihrer Ausstellung - gerne im Rampenlicht?
Rolf: Ich bin immer etwas nervös vor Eröffnungsfeiern. Ich bin generell kein Fan von vielen Menschen in einem Raum und stehe nicht gerne im Mittelpunkt.
(Die Pressesprecherin reicht uns Pappbecher und drei kleine Flaschen stilles Wasser. Viktor & Rolf sprechen bedächtig und wirken dabei so bodenständig und entspannt wie ihr Outfit, dass aus dunklen Jeans, hellen Turnschuhen, einem schnörkellosen graublauem Hemd (Viktor) und einem schlichten schwarzen Sweatshirt (Rolf) besteht. Alles frei von sichtbaren Designerlogos. Lediglich ihre Brillen, beide tragen das gleiche Modell, sind von Tom Ford.)
Sie bezeichnen Ihren Stil als minimalistischen Barock. Wodurch zeichnet sich dieser aus?
Rolf: Wir streben immer nach etwas Komplexem, bei dem wir mehrere, oft widersprüchliche Ebenen gleichzeitig haben. Einerseits haftet unseren Entwürfen etwas Minimalistisches an, anderseits sind sie auch sehr üppig. Unsere Silhouetten erscheinen oft grafisch und streng, das Dekor ist jedoch opulent.
Viktor: Wir lieben eine gewisse Opulenz und Glamour, brauchen aber auch einen konzeptionellen Fokus. Wir haben definitiv einen Sinn für kontrollierte Überschwänglichkeit.
Welche Schritte gehen der Entwicklung einer neuen Kollektion voraus?
Viktor: Es beginnt damit, dass wir versuchen eine Idee zu finden. Dazu setzen uns zusammen an einen Tisch und fangen an über alles Mögliche miteinander zu reden. Grundlage für eine Idee kann zum Beispiel ein einzelnes Wort sein, das spezifische Bilder in unseren Köpfen hervorruft. Darauf aufbauend versuchen wir ein Konzept zu entwickeln. Erst wenn sich dieses rund anfühlt, fangen wir an zu zeichnen. Es ist ein analytischer Prozess, den wir seit unseren Anfängen nahezu unverändert jede Saison aufs Neue anstoßen.
Was entgegnen Sie Stimmen, die sagen, dass Ihre Mode nicht tragbar ist?
Viktor: Es geht uns nicht wirklich darum, eine Frau auf eine bestimmte Art und Weise zu kleiden, sondern eine Idee davon zu präsentieren, was Mode sein könnte. Zum Beispiel in dem wir, etwas Vorhandenes nehmen, das die Leute kennen, es auf den Kopf stellen oder auf eine Weise verändern, die neu und frisch ist.
Rolf: Wir versuchen uns von der Meinung anderer Leute nicht beeinflussen zu lassen, weshalb wir aufgehört haben Kritiken zu lesen. Wir wissen, dass wir ein Publikum haben, bei dem unsere Mode Anklang findet. Entscheidend für uns ist, dass wir vollkommen hinter dem stehen können, was wir tun.
Welche Streitkultur pflegen Sie untereinander?
Rolf: Wir streiten nicht gern. Wenn wir uns nicht einig sind, reden wir so lange miteinander, bis wir es sind. Und kreativ gibt es sowieso nichts, worüber man streiten könnte.
Viktor: Wir versuchen immer zu argumentieren. Wenn wir bei einem Entwurf nicht auf einen Nenner kommen, ist das ein Zeichen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Wir betrachten ihn dann als unvollendet.
Was war ausschlaggebend, dass Sie Modedesigner werden wollten und wie haben Sie zueinander gefunden?
Viktor: Bei mir waren es die wenigen Bilder aus der Modewelt, die ich als Teenager zu sehen bekam, zum Beispiel durch die deutsche Fernsehsendung "Neues vom Kleidermarkt", die mich fasziniert haben.

Rolf: Ich komme aus einer sehr kleinen Stadt und war extrem gelangweilt, niemand aus meiner Familie hatte etwas mit Mode zu tun. Die wenigen Bilder, die auf mich einwirkten, waren meist Parfümwerbung, aber sie versetzten mich gedanklich in eine andere, glamouröse Welt, der ich zugehörig sein wollte. Viktor und ich haben uns im gleichen Jahr um einen Studienplatz an der Kunstakademie in Arnheim beworben und landeten zufällig in der gleichen Klasse. Für ein Projekt schlossen wir uns zusammen - das war der Anfang von allem.
Rolf: Ein Jahr nach unserem Abschluss nahmen wir an einem in Modekreisen anerkannten Wettbewerb im südfranzösischen Hyère teil, um Kontakte mit Leuten aus der Pariser Modeszene zu knüpfen und einen Job zu ergattern. Als wir gewannen, dachten alle, wir hätten schon unser eigenes Label, aber wir hatten nicht einmal einen Namen. Es war nicht unsere Absicht, uns selbständig zu machen.
Viktor: Als Gewinner mussten uns die Veranstalter natürlich dem Publikum vorstellen. Sie wussten, dass ich Viktor war und er Rolf. Also hieß es "Viktor und Rolf, bitte auf die Bühne", und der Name blieb hängen.
Welche ihrer Kollektionen war für Sie die größte Herausforderung?
Rolf: Da kommt mir sofort jene in den Sinn, die wir im Januar 2023 präsentiert haben, in der wir Kleider auf den Kopf gestellt haben und sie optisch schweben ließen. Eine Kollektion gegen die Schwerkraft. Die Entwicklung der Modelle beanspruchte sehr viel Zeit und basiert auf unzähligen Tüfteleien mithilfe unseres Teams. Wir wollten die Idee schon lange und unbedingt umsetzen. Irgendwann hatten wir den Dreh raus, aber es war sehr schwierig.

Viktor: Vom handwerklichen Standpunkt aus gesehen stimme ich zu, aber meiner Meinung nach waren unsere allerersten Kollektionen, die schwierigsten. Nicht etwa wegen ihrer handwerklich exquisiten Ausführung, sondern weil wir sie quasi aus dem Nichts heraus geschaffen haben. Denn zu dieser Zeit gab nur uns beide, einen Schreibtisch und ein kleines Büro. Niemand kannte uns, wir hatten kein Geld, keinen Kollektionsplan, keine Schnittmuster. Alles musste erst einmal entstehen.
Vor zehn Jahren haben Sie dem Prêt-à-Porter Adieu gesagt. Warum?
Rolf: Unser größtes Problem mit der Mode von der Stange waren diese ständigen Fristen, bei denen wir immer das Gefühl hatten hinterherzuhinken. Wir mögen es nicht, von Termin zu Termin zu hecheln. Wir brauchen Zeit, um über Dinge nachzudenken. Nur so können wir großartige Arbeit leisten.
Und dennoch verkaufen Sie über Ihre Website auch schlichtere, alltagstaugliche Mode.
Viktor: Das sind Stücke, die in Kleinstserien im eigenen Haus produziert werden. Der Umfang ist nicht vergleichbar mit den Mengen, die wir zu Beginn der Nullerjahre bis zur Einstellung der Prêt-à-Porter-Sparte im Jahr 2014 produziert haben. Bei der Entwicklung dieser Teile gibt es keinen Termindruck. Sie sind quasi ein Lust-und-Laune-Projekt, mit dem wir ein paar unserer einfacheren Ideen umsetzen können.

Dank einer an L'Oréal vergebenen Lizenz für Parfums sind Viktor & Rolf nicht auf den Verkauf ihrer Mode angewiesen. Ihr 2005 lancierter Dufterstling "Flowerbomb" ist ein weltweiter Bestseller und spült ihnen Geld in die Kasse, dass es ihnen erlaubt sich ganz auf die Erstellung aufwendiger Haute-Couture-Modelle zu konzentrieren und ihre Kreativität kompromisslos auszuleben. Dabei gehen sie bei der Umsetzung ihrer Ideen stets an die Grenzen des schneidertechnisch Machbaren.
Welche Schritte sind erforderlich, um an eines Ihrer Couture-Kleider zu gelangen?
Viktor: Privatkunden müssen mit unserem Atelier einen Termin vereinbaren und für die Anproben zu uns nach Amsterdam kommen. Wie viele Anproben notwendig sind, hängt davon ab, was in Auftrag gegeben wird. Ob es etwas ist, das sie auf dem Laufsteg gesehen haben, oder eine Abwandlung davon oder etwas von Grund auf Neues.

Inwiefern spiegeln sich Ihre Designphilosophie und Ästhetik in den Preisen Ihrer Kleider wider?
Viktor: Ähm …
Auf die Frage nach den Preisen für ihre Couture-Modelle reagieren Viktor & Rolf überrascht und ein wenig verunsichert. Gut möglich, dass die beiden Modekünstler die Preisgestaltung für ihre Modelle lieber anderen überlassen oder die Preisthematik nicht öffentlich diskutieren möchten. Mit einem hilfesuchenden Blick wenden sie sich wortlos an ihre Pressesprecherin, die überraschend locker reagiert und ohne zu zögern konkret wird: "Rechnen sie mit mindestens 50.000 Euro. Der finale Preis ist natürlich abhängig vom Aufwand für die Erstellung des Modells und den Materialien, aus denen es gefertigt wird." Mode von Viktor & Rolf zu tragen ist ein Privileg, ihre Kreationen in der Kunsthalle zu bestaunen ein Genuss. Letzteres gar, ohne dafür das Konto sprengen zu müssen.
Die Ausstellung "Fashion Statements" läuft bis 6. Oktober in der Kunsthalle (Theatinerstraße 8), täglich 10-20 Uhr, Eintritt 18 Euro, Senioren 14 Euro, Studenten und Auszubildende 8 Euro, Kinder und Jugendliche (6 - 18 Jahre) 4 Euro
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