Peter Gabriel auf dem Königsplatz in München: Wie Prometheus

Immer wieder ganz neu trotz seines Kokettierens mit dem Alter: Peter Gabriel auf dem Königsplatz in München zwischen Abendsonne und Mond.
Andreas Radlmaier |
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Peter Gabriel (li.) mit seiner Begleitband am Pfingstsonntag in München.
Peter Gabriel (li.) mit seiner Begleitband am Pfingstsonntag in München. © Jens Niering

Also doch wieder die Nostalgie-Route. Rauf auf den "Solsbury Hill", wo seit 1977 die Lichter der Großstadt herauf strahlen, der ewige Wind weht und die Zeit stillsteht.

Als Peter Gabriel den ersten Hit seiner langen Solo-Karriere gegen Ende des fast dreistündigen Abends anstimmt, schauen selbst die monarchischen Stolz-Kulissen auf dem Königsplatz nicht mehr distanziert zu. Auch die Begeisterung der Zuschauermenge dazwischen wechselt von höflich in herzlich.

Peter Gabriel in München: "Phantasie hilft uns, aus der Zeit zu fallen"

Die Herzen und Münder machen folglich "Boom-Boom-Boom". Gabriel, das britische Pop-Orakel aus Bath und längst in Schaffens-Dekaden denkt, hatte es ganz am Anfang auf Deutsch (und so moderierte er das ganze Konzert) prophezeit: "Die Phantasie hilft uns, aus der Zeit zu fallen."

Man muss es wagemutig nennen, was Peter Gabriel, in jungen Genesis-Jahren Vordenker der Rock-Oper und nun mit seinen 73 Jahren ein veritabler Rock-Opa mit Forscherdrang und Fabulierlust, neun Jahre nach dem letzten Münchner Konzert und fast 20 Jahre nach dem letzten Studio-Album vollzieht. Nahezu die Hälfte der 22 Songs der Show befinden sich in der Live-Testphase und sind teilweise unveröffentlicht.

Neues Album von Peter Gabriel: Jeden Monat ein neuer Soung

"i/o" ist der Titel des geplanten Albums. Jeden Monat wird seit Jahresbeginn bei Vollmond ein neuer Song veröffentlicht. Schlafwandler haben also aktuell Konkurrenz.

"i/o" steht für Input/Output, für Informationsaustausch, Energiefluss, Vernetztsein. Im Fall der Königsplatz-Begegnung könnte das aber auch für "indoor/outdoor" stehen.

Peter Gabriel trat auf dem Königsplatz in München auf.
Peter Gabriel trat auf dem Königsplatz in München auf. © Jens Niering

Denn Peter Gabriel, der Großkünstler der theatralen Seelen-Shows –  man erinnere sich an die ikonenhaften Bild-Inszenierungen des Kanadiers Robert Lepage im vergangenen Jahrtausend –  tauscht für München das Show-Modell: statt schwarzer Bühnenmagie vor einer dunklen Zuschauerarena nun das Guckkasten-Fanal einer pechschwarzen Großbühne im Gegenlicht eines frühsommerlichen Abendhimmels über den Zuschauern.

Die Gnade der Nacht wirkte dann stimulierend. "Darkness" markiert passenderweise den Einstieg in die zweite Konzerthälfte.

Peter Gabriel als "lebensechter Avatar"

Das Risiko fürs Detail und dramaturgische Finesse zeigt sich bereits zu Beginn. Da war der Vollmond schon im Bühnenfirmament als mächtige Projektion aufgegangen, das Showlicht jedoch mühte sich vergeblich um Aufmerksamkeit, und Peter Gabriel, in einen orangefarbenen Overall gekleidet wie die ganze wuselnde Technik- und Film-Crew, begann zu erzählen über tote Planeten, belebende Meteoriteneinschläge und trügerische Wirklichkeit.

Er selber, sagt er, sei ja nur ein "lebensechter Avatar", im Aussehen 20 Jahre älter, 10 Kilogramm schwerer und kahlköpfig.

Peter Gabriel in München: Hoffnungsfroher und binsenweiser

Wie die Haare vergehen. Und mit ihnen ein wenig die Strahl- und Bannkraft in hohen Stimmlagen. Aber, spottet der Sänger über sich, in Wirklichkeit gleiche er ja einem griechischen Gott. Avatare sind eben nicht das Orangene vom Ei.

So träumt sich der sympathische Weltschmerzensmann in die Zukunft. Am Anfang steht das zurückgenommene "Hier kommt die Flut" (samt Ebbe-Gedanken im Hinterkopf).

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"Four Kind of Horses" erinnert an die Apokalyptischen Reiter der Moderne, das "Panopticom" der Künstlichen Intelligenz wird als Chance skizziert und die "Road to Joy" – vorbei an Stinkefingern, die einem irritierenderweise von den Videowänden entgegenschauen –  als Abzweigung aus den Irrwegen des Menschlichen genommen.

Überhaupt scheint Gabriel hoffnungsfroher (manchmal auch nur binsenweiser) gestimmt und glaubt im neuen "Love Can Heal", umschwirrt von Engelschor, Sternenstaub und Herzblut, gar an die Heilkraft der Liebe.

Gabriel-Band bietet höchstes Niveau mit Wucht und Eleganz

Die Soundstrukturen der neuen Songs verraten Gabriels weiterhin vitale Lust am soghaften Klangabenteuer. Mit Gebläse und Streicher-Akzenten wird die organische Note betont. Das reicht bis zur "Sledgehammer"-Fanfare, die damit auf die Keyboard-Synthetik der 80er-Jahre verzichtet.

Überhaupt bleibt seine langjährige Live-Band, aufgestockt zum Oktett, über jeden Zweifel erhaben. David Rhodes (Gitarre), Tony Levin (Bass) und Manu Katché (Schlagzeug) komplettieren den Anspruch auf höchstes Technik-Niveau mit Wucht und Eleganz, von "Digging in the Dirt" bis "Biko", traditionell die letzte Zugabe.

Macht´s Peter Gabriel wie Bob Dylan?

Man wird sehen, welche neuen Stücke Klassiker-Dimensionen entwickeln. Vielleicht in neun Jahren. Dann ist Peter Gabriel so alt wie Bob Dylan jetzt, also weit jenseits des Renteneintrittsalters.

Dann kann Gabriel wieder als Prometheus auf der Bühne erscheinen, das Feuer regelrecht vom Firmament holen und hoffen, dass der Funke auf die Menschheit überspringt. Stadiontauglich ist Peter Gabriel bis jetzt nicht. Auch das ist eine durchaus beruhigende Gewissheit.

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