Interview

"Wir sind mit Träumen auf Tour"

Seit 20 Jahren touren die vier Musikerinnen von Salut Salon mit ihrem ungewöhnlichen Klassik-Programmenum die Welt.
Philipp Seidel
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Die lässige, sexy Seite der Klassik: Salut Salon mit (von links) Meta Hüper, der Gründerin Angelika Bachmann, Olga Shkrygunova und Heike Schuch.
Die lässige, sexy Seite der Klassik: Salut Salon mit (von links) Meta Hüper, der Gründerin Angelika Bachmann, Olga Shkrygunova und Heike Schuch. © picture alliance/dpa/Jonas Walzberg

Ihren weltweiten Internet-Hit "Wettstreit zu viert" spielen Salut Salon noch immer als Zugabe bei jedem Konzert. "Diesmal jedoch in einer neuen Version mit Instrumenten-Kung-Fu", sagt Gründerin Angelika Bachmann. Mehr als 37 Millionen Aufrufe zählt das Video des Klassik-Quartetts zu Vivaldis "Sommer" bei YouTube. Ihre aktuelle Tournee mit dem neuen Programm "Träume" führt sie am 18. März auch nach Germering in die örtliche Stadthalle.

AZ: Frau Bachmann, Sie haben schon in jungen Jahren in Hamburg Salons organisiert. Waren die so, wie man sich das vorstellt: Musisch bewegte Menschen kommen in einer Hamburger Altbauwohnung zusammen?
Angelika Bachmann: Unser Salon war nicht so bürgerlich - und wir machen das immer noch. Im Dezember war wieder ein wunderschöner: Einer rappt, einer liest, andere spielen was vor. Ich lade immer irgendwie ein. Das können mal 80 Menschen sein, mal 30. Das sind freie Abende, die nicht berechenbar sind. Ich finde es schön, dass es so generationenübergreifend ist wie bei unseren Konzerten.

Zusammenarbeit mit Samy Deluxe

Die Idee, Menschen zusammenzubringen, verfolgen Sie ja auch bei sozialen Projekten, wie mit dem Verein "Salut Deluxe".
Es werden immer mehr. Ich arbeite unter anderem mit dem Rapper Samy Deluxe zusammen. Mit ihm zusammen habe ich vor ein paar Jahren den Song "Wie tief kann man lieben" geschrieben. Wir kommen aus völlig unterschiedlichen Blasen, und wir wollen die Grenzen dazwischen am liebsten ganz auflösen.

"Dirigieren für Mädchen"

Was passiert in dem Projekt?
Da sägen die Kinder und Jugendlichen F-Löcher in Geigendecken, lernen beatboxen oder Afrodance, machen Graffiti oder produzieren Songs. Eine Freundin von mir, die mit Daniel Barenboim das West-Eastern Divan Orchestra aufgebaut hat, gibt beispielsweise den Kurs "Dirigieren für Mädchen". Die Idee, dass Frauen genauso gut dirigieren können wie Männer, scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken. Es ist toll, dass so viele Jugendliche eine Chance bekommen, an solchen Projekten teilzunehmen.

Ihr erstes Projekt haben Sie schon mit 20 ins Leben gerufen.
Ich hatte schon früh das Gefühl, dass ich in einer privilegierten Situation lebe. Es ist für mich ein Luxus, dass ich tun darf, was ich tue, dass ich leben darf, wo ich lebe. Und ich empfinde es als ungerecht, wie viele Menschen auf der Erde all das nicht können oder dürfen. Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch. Also versuche ich, das zu tun, was ich kann.

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Haben Sie noch einen Überblick, wie viele Kinder und Jugendliche Sie zur Zeit betreuen?
Ich habe das noch nie summiert. Bei den "Ghetto Classics" in Korogocho, einem Slum in Kenia, geht es zum Beispiel jetzt gerade darum, dass die Kinder lernen, selber Gruppen zu leiten. Wir haben es geschafft, 50 Geigen dorthin zu transportieren, und die Kinder können schon einiges auf ihren Instrumenten.

Junge Menschen für Musik begeistern

Auch in Südamerika sind Sie schon lange aktiv.
Ich habe 2003 als Botschafterin der Kindernothilfe die "Escuela Popular des Artes" in Achupallas besucht, das ist eine Musikschule in einem Elendsviertel der chilenischen Stadt Viña del Mar. Dort wird dann gemeinsam gekocht, die Kinder bekommen sowohl eine Perspektive als auch etwas zu essen.

Und in Hamburg...
...gibt es die "Young ClassX", ein Projekt, mit dem wir junge Menschen für Musik begeistern wollen. An vielen Schulen gibt es kaum noch Musikunterricht, deshalb haben wir beispielsweise Schulchöre gegründet, die bei Stadtteilkonzerten, aber auch in der Elbphilharmonie und demnächst sogar in der Carnegie Hall auftreten. Außerdem leite ich den Hamburger Instrumentalwettbewerb. Und in diesem Frühjahr steht noch ein tolles Projekt an: "Daniel Hope und die wilden 80", eine Reihe von Orchester-Workshops für mittlerweile über 100 Kinder im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals, für die ich die künstlerische Leitung übernommen habe. Es ist bestimmt ein bisschen verrückt, all diese Projekte, aber ich kann gar nicht anders und es erfüllt mich sehr.

"Ich glaube, es gibt kein Kind, das nicht grundsätzlich offen wäre für Musik"

Ist es schwerer geworden, Kinder zur Musik zu bewegen?
Wenn ich sage, wir studieren jetzt den Quintenzirkel, dann hat auch keiner Lust. Aber wenn man es andersherum angeht und sagt: Guck mal hier, das ist tolle Musik, und nimm doch mal das Instrument - dann brennen sie dafür. Ich glaube, es gibt kein Kind, das nicht grundsätzlich offen wäre für Musik.

Das ist das erste, was auffällt: Sie sind ein echtes, wirbelndes Energiezentrum auf der Bühne, ganz anders, als man sich klassische Musiker meist vorstellt.
Ich denke immer gerne daran, wo unsere Musik eigentlich herkommt. Bachs Tänze, zum Beispiel die Bourrée: Das war Musik zum Tanzen! Keine Musik zum Stillsitzen und möglichst lautlos Atmen. Bei Bachs Groove könnte ich das auch gar nicht. Wir spielen die Musik auf der Bühne so, wie wir sie empfinden. Und ich glaube, das ist auch der Grund dafür, dass unsere Konzerte nicht nur erfahrenes Klassik-Publikum ansprechen, sondern auch Menschen, die sich sonst keine Kammermusik anhören.

"Dieses Kind ist sehr begabt" 

Sie waren sehr jung, als Sie mit der Musik angefangen haben.
Das stimmt, ich bin auch die ersten Jahre gar nicht zur Schule gegangen, um mehr Geige üben zu können, der Hamburger Senat hatte mich freigestellt. Dazu kam dann auch bald noch Kompositionsunterricht und allgemein die Beschäftigung mit Komponistinnen und Komponisten. Die wichtigste Entdeckung war für mich, wie selbstverständlich es früher in der Klassik war, zu variieren und zu improvisieren. Seitdem verstehe ich Noten als Vorschlag eines Komponisten, den ich natürlich verändern, ergänzen und zu etwas Eigenem machen kann.

Wie kamen Sie zur Geige?
Ich komme aus einer musikfernen Familie, da sind gefühlt alle Steuerberater. Ich war drei, wollte unbedingt eine Geige haben, wir waren aber nicht gerade wohlhabend. Ich habe also ein Jahr lang gebettelt, am Ende sogar gedroht, mir die Haare auszureißen - und zum vierten Geburtstag gab es dann die Geige. Nach drei Stunden an der Musikschule hat die Lehrerin gesagt, ich solle Professor Michael Goldstein vorspielen. Dieser wiederum sagte: "Dieses Kind ist sehr begabt" - und dann hat das so seinen Lauf genommen. Ich habe meine Kindheit also "vergeigt".

Wie feiern Sie nun die 20 Jahre Salut Salon?
Wir gehen auf Tournee mit unserem Programm "Träume". Musik ist ja voll von Träumen, und wir wollten möglichst viele Facetten dieser Träume zum Klingen bringen: sanfte Klänge von Tschaikowsky oder spooky Momente aus dem "Hexeneinmaleins" von Goethe oder der "Walpurgisnacht" von Mendelssohn. Es wird diabolisch mit dem "Tango del Diablo" von Astor Piazzolla. Es geht aber auch um geplatzte Träume, und da kann es dann auch schon mal zu Vivaldi mit Kung Fu kommen.


Samstag, 18. März, 19.30 Uhr, Stadthalle Germering, Karten 29 bis 39 Euro bei muenchenticket.de., Telefon 54 81 81 81

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