So großartig lebte Dave Brubeck - der Viehzüchter am Klavier
Vieh oder Musik? Dave Brubeck brauchte eine Weile, um zu entscheiden, wem er sein Leben widmen soll. Ob er Pianist werden oder die Rinderranch seines Vaters übernehmen soll?
Hätte er sich für Letzteres entschieden, würde an diesem Sonntag niemand seines hundertsten Geburtstags gedenken. Und ein anderer Musiker hätte das erste Jazz-Album aufgenommen, das über eine Million Exemplare verkaufte.
Fast wäre Brubeck Cowboy geworden
Doch fast hätte der am 6. Dezember 1920 in Kalifornien geborene David Warren Brubeck eben einen ganz anderen Lebensweg gewählt. Seine Eltern lockten ihn auf zwei verschiedene Pfade. Die Mutter hatte Musik studiert, wollte Konzertpianistin werden und wurde Klavierlehrerin. Den kleinen Dave unterrichtete sie ab seinem vierten Lebensjahr, und er erwies sich als ähnlich begabt wie seine beiden älteren Brüder, die auch Profimusiker wurden.
Doch als Dave zwölf war, zog die Familie auf eine Ranch um, und sein Leben änderte sich: Mit den Klavierstunden war es vorbei, stattdessen fing der Junge Kälber mit dem Lasso. Sein Vater wollte, dass er Viehzüchter und Cowboy wird wie er. Aber Jazz machte der Jugendliche weiterhin. Schon mit 13 trat er mit professionellen Bands auf. Sein Jugendtraum sei gewesen, sagte er einmal, dass seine Viehherde den Tourbus des Benny-Goodman-Orchesters zum Anhalten zwingen würde und er die Gelegenheit hätte vorzuspielen.
Von der Tiermedizin zur Musik
1938 schrieb er sich am College dennoch für Tiermedizin ein, mit der Absicht, auf die Ranch zurückzukehren. Doch 1941 entschied er sich um und begann Musik zu studieren. Er lernte unter anderem bei Arnold Schönberg und dem französischen Komponisten Darius Milhaud, die beide in die USA geflohen waren. Brubecks Weg führte in die umgekehrte Richtung: 1944 wurde er als Soldat nach Frankreich geschickt, dort wurde er aber ausgewählt, eine Band zu formieren: Swing zur Stärkung der Truppenmoral. Die "Wolf Pack Band", die er gegründet hatte, war die erste in der Armee, in der weiße und schwarze Männer zusammen spielten; das gab die Richtung vor für eine seiner großen Lebensleistungen, aber dazu später mehr.
Wie er Jazz in der weißen Mittelschicht verbreitete
Nach dem Krieg studierte Brubeck weiter Komposition bei Milhaud. Und der klassische Musiker ermunterte ihn, auch noch Jazz zu spielen. Brubeck gründete noch als Student ein Oktett mit Saxophonist Paul Desmond, der sein wichtigster musikalischer Partner wurde.
1949 schrumpfte das Oktett zum Trio, 1951 wurde es zum Dave Brubeck Quartett, in dem der schwarze Eugene Wright Bass spielte. Die Combo spielte nicht nur in Clubs, sondern auch in Colleges, mit großem Erfolg. Das trug stark dazu bei, das Publikum des Jazz in der weißen Mittelschicht zu vergrößern.
Dave Brubeck: Seine größten Erfolge
Brubeck wurde berühmt, 1954 schaffte er es als zweiter Jazzmusiker nach Louis Armstrong auf das Cover des "Time Magazine". 1959 feierte Brubeck seinen größten Erfolg: Das Album "Time Out" wurde der erste Millionenseller des Jazz. Dabei sind die Songs, von einer Ausnahme abgesehen, allesamt in komplexen Taktarten, die Brubecks Markenzeichen waren: Der Hit "Blue Rondo A La Turk" ist im 9/8-Takt, und der berühmteste Song trug den ungewöhnlichen 5/4-Takt schon im mehrdeutigen Titel: "Take Five".
Auch diese Single verkaufte sich über eine Million Mal. Ironischerweise hatte dieses Stück, das auf ewig mit Brubeck verbunden sein wird, sein Saxophonist Paul Desmond geschrieben.
Dave Brubeck: Swingt er oder swingt er nicht?
Aber Brubeck gelangen als Komponist auch Songs, die Standards wurden, "In Your Own Sweet Way" etwa oder "The Duke". Der coole "Unsquare Dance" im 7/4-Takt schaffte es erst kürzlich auf den Soundtrack des Hollywood-Films "Baby Driver". Aber Brubecks musikalisches Spektrum war viel weiter. Er verband Jazz mit klassischer Konzertmusik und außereuropäischer Musik, schrieb sinfonische und kammermusikalische Werke, spielte mit Leonard Bernstein und den New Yorker Philharmonikern, komponierte geistliche Orchesterwerke und Oratorien - 1980 wurde er Katholik - und er studierte die Musik der nordamerikanischen Indianer. Musikalische Schubladen langweilten ihn, sagte er mal.
In den 70ern gründete er eine Band mit drei seiner sechs Kinder, "Two Generations of Brubeck", die "Blue Rondo A La Turk" mit Rock und Boogie-Woogie aufjazzte. Doch trotz oder wegen seines Erfolgs: In der Jazzszene war Brubeck umstritten, immer wieder wurde diskutiert, ob er denn nun swinge oder nicht.
Dave Brubeck: Musiker und Aktivist
Über jeden Zweifel erhaben war seine menschliche Haltung in den Jahren der Bürgerrechtsbewegung. Wenn Clubbesitzer oder College-Obere verlangten, dass er seinen schwarzen Bassisten Eugene Wright durch einen weißen Musiker ersetzen solle, und das kam nicht selten vor, sagte Brubeck die Auftritte ab. Als ihm bei der Produktion einer TV-Sendung klar wurde, dass der Regisseur den Bassisten nicht im Bild haben wolle, verließ Brubeck die Bühne.
Und er weigerte sich, vor segregiertem Publikum aufzutreten, ob in den 50ern und 60ern in den US-Südstaaten oder in den 70ern in Südafrika. Anfang der Sechziger schrieb Brubeck das Jazz-Musical "The Real Ambassadors" mit Texten seiner Frau Iola, die die Segregation satirisch aufs Korn nahmen. Nach einer Plattenaufnahme wurde es nur ein einziges Mal aufgeführt, beim Monterey Jazz Festival 1962, Louis Armstrong übernahm eine Rolle.
Zahlreiche Auszeichnungen und ein Auftritt im Weißen Haus
Mit Bassist Eugene Wright trat Brubeck 1964 im Lyndon B. Johnsons Weißem Haus auf. 1988 begleitete er Ronald Reagan nach Moskau, um bei einem Gipfel mit Gorbatschow aufzutreten. Bill Clinton überreichte Brubeck 1994 die National Medal of Arts, Barack Obama 2009 den Preis des Kennedy Centers.
Dazu erhielt er mehrere Ehrendoktorwürden, einen Stern auf dem Hollywood Walk Of Fame und unzählige weitere Auszeichnungen. Am 5. Dezember 2012, einen Tag vor seinem 92. Geburtstag, starb Dave Brubeck. Niemand findet heraus, wie ein Leben verlaufen wäre, wenn manche Entscheidungen anders getroffen worden wären. Aber bei Dave Brubeck kann man wohl von außen resümieren: Gut, dass er sich gegen die Viehzucht entschieden hat.
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