Bayerisches Staatsorchester im Livestream: Tief ins Herz
München - Alle sehnen sich in die Theater und Konzertsäle zurück. Das heißt nicht, dass man als Hörer nicht auch die Vorzüge einer Übertragung im Internet mitnehmen könnte.
Zum Beispiel kann man im jüngsten Livestream aus der Staatsoper den Dirigenten Krzysztof Urbanski immer wieder einmal frontal beobachten. Man sieht, was die Musiker des Bayerischen Staatsorchesters auf der Bühne des Nationaltheaters sehen: eine selbstsichere Schlagtechnik, ästhetische Bewegungen, die wirken, als ob sie durch einen Weichzeichner gefilmt würden, Unbetroffenheit statt dem Willen zum Anfeuern.
Angesichts dieses Laissez-faire beginnt man zu verstehen, warum die Orchester unter Urbanski immer so entspannt spielen. Seine Interpretation der "Coriolan"-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven ist wahrscheinlich innerhalb der Aufführungsgeschichte des Werks sogar die entspannteste überhaupt. Die drohend anschwellenden und explodierenden Töne des Beginns: ausgezählt und statisch. Die Pausen: spannungslos. Der Orchesterklang: glatt, bei erregten Passagen tranig.
Wann wacht Dirigent Urbanski aus seiner Verträumtheit auf?
In der Symphonie Nr. 7 d-moll von Antonín Dvorák ist die Langeweile nicht einmal wirklich gepflegt. Immer wieder führt die Nonchalance des polnischen Dirigenten zur Nachlässigkeit, etwa zu einer verwackelten Eingangsphase. Seine Einsätze wirken so, als ob er dabei mit Wattebäuschchen werfen würde - und das bei einem Stück, in dem es immer wieder zuckt und krampft? Und der langsame Satz sich in geistesabwesendem Rhapsodieren verliert? Manchmal wünscht man sich als Zuschauer, dass Urbanski einmal aus seiner seligen Verträumtheit aufwachen würde.
Thomas Hampson: Sein Gesang rührt
Die "Kindertotenlieder" von Gustav Mahler begleitet Urbanski ziemlich unauffällig. Nur manchmal scheint ihn sein Solist, der Bariton Thomas Hampson, zu verwirren, wenn dieser einzelne Passagen eher unvermittelt verzögert und andere flüssiger deklamiert. Diese Unstetigkeit erklärt sich daraus, dass die Stimme des Amerikaners mittlerweile mehr Zeit braucht, um sich einzuschwingen, er aber über tiefe Passagen, die er nur noch andeuten kann, rascher hinweggeht. Das ist reine Biologie: Der Mann ist 65 Jahre alt.
Dafür ist es bemerkenswert, was ihm an stimmlichem Material noch zur Verfügung steht. Hampsons Darstellungskunst und Textpräsenz sind sowieso singulär. Mit seinem Ausdruck verhaltener, fast erstaunter Trauer rührt sein Gesang selbst über die technischen Umwege einer Übertragung tief ins Herz.
Auf staatsoper.tv ist das Video für 14,99 Euro abrufbar. Am nächsten Montag folgt um 19 Uhr ein weihnachtliches Benefizprogramm mit Jonas Kaufmann und dem künftigen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski.