Sir Simon Rattle dirigiert Gustav Mahler: Die ganz große Harmonie
Die Symphonie beginnt vorsichtig und tastend, mit zwei Tönen der Violoncelli im Pianissimo. Ihnen antwortet ebenso leise ein Horn. Ehe ein weiteres, gestopftes Horn hinzutritt, macht sich die Harfe - für dieses Instrument eher unüblich - mit einem harten Forte bemerkbar.
Perfektionisten wie die Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks hätten sich um diese Nuancen auch im Gasteig bemüht. Die Akustik der Isarphilharmonie macht derlei Feinheiten aber auch in der 18. Reihe hörbar.
Schon die ersten Takte lassen Besonderes erwarten
Und wenn dann ein Dirigent wie Simon Rattle für seinen ersten Auftritt im neuen Saal an den Details von Gustav Mahlers Neunter gefeilt hat, werden bereits die ersten Takte zu einem Versprechen, dass Besonderes bevorsteht.
Rattle überlässt nichts dem Zufall
Für Rattle sind die vielen Farben Mahlers kein Selbstzweck. Der designierte Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters fügt sie zu einer schlüssigen und im Finale überwältigenden Deutung zusammen. Alles wirkte in dieser Aufführung überlegt.

Von der gelegentlichen Indifferenz von Rattles Mahler-Deutungen mit den Berliner Philharmonikern war nichts zu spüren. Und das Orchester spielt unter seiner Leitung auch mit einer körperlichen Energie, die in eine in jedem Augenblick lebendig-frische Deutung umschlägt.
Rattle betonte im ersten Satz das leidenschaftliche und suchende Aufbäumen, das immer wieder abbricht und von düsteren Trauermärschen erstickt wird. Die Schwierigkeit, dass sich die beiden Mittelsätze in ihrer Häufung an Groteskem gleichen, überwand er mit dem Orchester mühelos: Der Ländler-Satz atmete eine unglaubliche Vitalität, das Rondo war eine grelle, aber nie wirklich überzeichnete Karikatur, in der kurz einmal das noble Hauptthema des Finales erscheint, ehe es von schrillen Bläsern verzerrt, verschmutzt und wieder vertrieben wird.
Orchester und Dirigent harmonierten brillant
Grandios dann das Finale, und zwar sowohl in der Deutung des Dirigenten wie in der Spiel- und Klangkultur des Orchesters. Die Streicher feierten maximale Opulenz. Die Eigenfarben der Kontrabässe, Celli und Bratschen steigerten sich wechselseitig.
Aber alle dies wurde nicht als Selbstzweck vorgeführt, es diente einer absolut schlüssigen Interpretation: Auf den von den Satz zu Satz gesteigerten Blick in allzumenschliche Abgründe folgt letztendlich Trost - und zwar ganz ohne Abschiedsmetaphysik und Erlösungsgesäusel.
In den letzten Minuten ließen Rattle und die Streicher des BR-Symphonieorchesters ohne bedeutungsschwangere Gesten allein den Klang sprechen. Die rund 400 zugelassenen Besucher folgten der Auflösung des Hauptthemas und aller Konflikte der Symphonie in Einzeltöne mit höchster Konzentration.
Stehender Beifall zum Schluss
Dann folgte eine Viertelminute absoluter Stille, ehe sich die Spannung nach dieser außerordentlichen Aufführung in heftigem, zuletzt stehendem Beifall löste und das Orchester und sein künftiger Chef die ganz große Harmonie zelebrierten.
Ein Video des Konzerts unter www.br-so.de